Wer auch immer die Dusche erfunden hatte, ich stelle immer wieder fest: Ich bin ihm für diese Weltverbesserung ewig zu Dank verpflichtet. Mit angeschrumpelten Fingern drehe ich das Wasser heißer, bis große Dampfschwaden das komplette Badezimmer ausfüllen und der Spiegel beschlägt. Ich seufze und fühle mich, als würde das Wasser auch alle Probleme weg waschen. So fühle ich mich eigentlich immer, wenn ich dusche. Einfach raus aus den Poren und für immer im Abfluss verschwunden. Wenn es nur wirklich so leicht wäre.
Ich denke an den vergangenen Nachmittag zurück. Jessica hatte noch ewig von der Party geredet. Wen sie einladen würde und wie sie vorhatte zu dekorieren. Ich hörte jedoch nur mit halbem Ohr zu. All der Aufwand und Wirbel um meine Person. Nervosität überkommt mich bei dem Gedanken an die vielen Menschen, die da sein werden. Im Nachhinein tut es mir dennoch ein bisschen Leid, dass ich so desinteressiert war, sie meint es ja nur gut.
Ich halte mein Gesicht unter das warme Wasser und atme tief aus. Die Wärme fließt von meinem Gesicht durch meinen ganzen Körper, ich verdränge alle negativen Gedanken und ich entspanne mich endlich.
Als ich schließlich das Wasser abschalte, geht es mir besser. Ich steige aus der Dusche und mache mich langsam fertig. Schminken werde ich mich heute nur dezent, für viel Make-up ist es definitiv zu heiß. Weiterhin wähle ich meine grauen Lieblings-Hotpants mit den kleinen Nieten und ein schwarzes Tanktop. Mehr Stoff wird auch heute nicht von Nöten sein. Meine Haare lasse ich offen, wie fast immer. Ich finde, das steht mir einfach besser. Außerdem bin ich was Frisuren betrifft so talentiert wie eine 10 Jährige. Wobei das schon fast an einer Beleidigung für alle 10 Jährigen gleichkommt.Als ich aus dem Bad komme und in mein Zimmer gehe um meine Handtasche zu holen, bemerke ich beim Blick auf die Uhr, dass es erst viertel vor 8 ist. Ich habe also noch ein paar Minuten Zeit. Ungewohnt, normalerweise bin ich immer spät dran. Ich hatte es wohl wirklich eilig heute von Jessica weg zu kommen. Die blöde Party nervt mich jetzt schon!
Weil ich nichts anderes mit mir anzufangen weiß, setze mich noch auf die Couch im Wohnzimmer und sehe auf mein Handy. Eine Nschricht von Jan: „Bin gleich bei dir! Ich hoffe du bist fertig! *grins*" Blödmann! Ich verdrehe die Augen, aber doch stiehlt sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Jan ist mein bester Freund seit ich 6 Jahre alt wahr. Natürlich kennt er mich gut genug um zu wissen, dass ich zu Unpünktlichkeit neige. Nur nicht heute. Ich stecke das Handy in meine Handtasche und lege die Hände in den Schoß. Wirklich ungewohnt!
Ich sehe aus dem Fenster und meine Gedanken schweifen zu dem Moment ab, als Jessica Ben erwähnte. Musste sie mich an ihn erinnern? Ich hatte es gerade geschafft, das ich nicht den ganzen Tag an ihn dachte. Ben ist mein Exfreund und ich erinnere mich nur ungern an ihn zurück. Es endete vor zwei Monaten, als er mich mit einer anderen betrog. Mir wird kalt bei dem Gedanken und ich drücke mich tiefer in die Couch. Er war ein süßer Kerl. Blond, sportlich, gutaussehend. Aber das wusste er auch. Kein Kerl, den man lange halten kann. Ich fummele an einem Faden herum, der sich aus dem Saum meines Shirts gelöst hat und lehne den Kopf zurück. Wenn ich so an ihn zurück denke, frage ich mich (und das nicht zum ersten Mal), was die andere hatte, was ich nicht habe. Ich seufze und reiße den Faden ab.Ein allzu bekanntes Hupen holt mich plötzlich aus meinen Gedanken zurück. Jan ist da. Glücklich über die Ablenkung greife ich nach meiner Tasche, stülpe meine grauen Chucks über und verlasse das Haus. Jan steht wie immer mit seinem Wagen an der Straße. Ein überraschter Ausdruck huscht über sein Gesicht, als ich auf ihn zu laufe. Ich öffne die Tür und lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. Als ich zu ihm rüber sehe, mustert er mich mit großen Augen.
„Was?" frage ich etwas zu patzig, aber diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Er macht sich über mich lustig.
„Wer bist du und was hast du mit Kate angestellt!?" fragt er spöttisch und kichert.
„Die 90er haben angerufen. Sie wollen ihren Spruch zurück. Aber ich frage trotzdem: Wieso!?" Herausfordernd schaue ich ihn an.
„Weil du so pünktlich bist!" sagt er amüsiert und startet den Motor „Normalerweise muss ich mindestens drei mal hupen, oder sogar rein kommen und dich aus deinem Bau treiben!" Wieder kichert er.
Ich verdrehe genervt die Augen. „Ach, halt die Klappe!" sage ich, grinse aber. Er lacht.
Jan fährt wie immer wahnsinnig schnell. Das macht mich wahnsinnig, aber ich habe es schon vor langer Zeit aufgegeben ihn dazu überreden zu wollen langsamer zu fahren. Dennoch muss ich zugeben, dass er den Wagen sehr gut im Griff hat und zu verstehen scheint, was er da tut.
Als ich erneut zu ihm rüber sehe, mustert er mich wieder, sieht aber schnell weg. Diesmal ist der Blick aber ein anderer.
„Was ist? Habe ich Vogelkacke im Gesicht?" frage ich scherzend.
„Was? Nein!" sagt er lachend und sieht wieder nach vorn. Sein Gesicht verändert sich und als er mich wieder ansieht, erkenne ich den Ausdruck, den ich schon so oft bei ihm gesehen habe. „Du siehst toll aus." Seine blauen Augen sehen mich durchdringend an.
Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt und sehe schnell weg. „Danke." sage ich nur.
Jan ist nicht nur mein bester Freund, sondern war auch meine erste Liebe gewesen. Als ich 13 war, hatte es plötzlich gefunkt, nach 7 Jahren Freundschaft. Das Schicksal schlägt manchmal komische Wege ein. Oder eben einfach die Pubertät.
Wir waren dann vier Wochen zusammen. Eine waschechte Kinderbeziehung eben. Aber weil wir beide noch zu unreif waren, kam es erst Jahre später, als wir bereits lange getrennt waren, zu unserem ersten Kuss. Es war eine Weile wirklich schön zu der Zeit. Wir waren (noch) nicht wieder zusammen, aber wir waren uns nahe. Ich verliere mich kurz in Gedanken, doch als ich daran denke, wie das Ganze endete, überzieht mich ein kalter Schauer. Es ist besser, es bei der Freundschaft zu belassen.
„Ist dir kalt?" fragt er mich musternd und hebt die Hand zum Armaturenbrett. „Soll ich die Klimaanlage ausmachen?"
Ich sehe stur nach vorne.
„Nein... es geht mir gut." sage ich und mustere ihn dann doch. Er zieht die Hand wieder zurück, fährt sich durch die blonden Haare und schaut jetzt konzentriert auf die Straße. Ein angespannter Ausdruck umspielt seine Lippen.
Ich weiß, dass er noch etwas für mich empfindet. Eine gewisse Spannung würde zwischen uns wohl immer herrschen, aber es ist besser so. Wir funktionieren wohl einfach nicht als Paar und für gewöhnlich meiden wir das Thema auch und belassen es bei der Freundschaft.
Irgendwie nehmen meine Beziehungen nie ein gutes Ende, stelle ich fest und seufze leise.
Beim Blick aus dem Seitenfenster bemerke ich überrascht, dass wir schon in die Straße von Julian einbiegen. Julian und sein bester Freund Paul sind auch Teil unserer Clique. Wir kennen uns alle schon ewig.
Als wir endlich anhalten, packe ich meine Tasche und verlasse schnell das Auto. Ich will diese angespannte Stimmung am liebsten schnellstmöglich hinter mir lassen.
Hinter mir höre ich Jan die Autotür zuschlagen und mir zur Haustür folgen. Ich vermeide seinen Blick, als wir an der Tür auf Julian warten. Endlich öffnet er die Tür. „Da seid ihr ja schon!" sagt er auf seine Armbanduhr schauend. „So pünktlich! Kate, was ist los?" fragt er lachend. Ich verdrehe die Augen und drängele mich ohne ihn zu begrüßen an ihm vorbei in den Flur. Nicht schon wieder! Hinter mir höre ich die beiden über mich lachen.
So gerne ich mit Männern befreundet bin, aus unzähligen Gründen, aber man ist andauernd das Opfer ihrer Jokes!
Schnell streife ich mir die Schuhe ab und steuere auf die Treppe in Richtung Julians Zimmer zu, bevor ich mir auch noch anhören darf, dass ich langsam bin. Oben angekommen rufe ich „Ihr seid Idioten!" hinter mich. Ich höre sie wieder lachen. Auch ich muss kichern, als ich sein Zimmer betrete.
Doch dort sitzt schon jemand auf dem Bett. Das Gesicht ... kenne ich!
Mich trifft fast der Schlag! Das kann nicht wahr sein! Ich bleibe abrupt stehen. Dort sitzt David. Der Junge, für den ich früher schwärmte. Den ich heimlich in der Realschule angeschmachtet hatte. Oh Gott!
Ich hatte nicht erwartet, hier oben auf jemanden zu treffen. Ich wusste, Paul wollte später kommen.
Ich stottere ein überraschtes: „Oh, hi...!" heraus und starre ihn an, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
„Hi!" sagt er, scheinbar so überrascht wie ich. Wusste er auch nicht, dass ich kommen würde? Er mustert mich von oben bis unten. Weiß er noch wer ich bin?
Ich habe ihn seit der 9. Klasse nicht mehr gesehen. Damals hat er keinerlei Interesse an mir gezeigt, war sogar kurzzeitig mit einem Mädchen aus der Parallelklasse zusammen. Ich erinnere mich noch, wie traurig ich war. Als er kurze Zeit später dann schließlich weg zog, war die Sache dann endgültig für mich gelaufen.
Nun sitzt er jedoch direkt vor mir, zweifellos. Obgleich dieser David nicht mehr derselbe kleine Junge wie früher ist. Er sieht wahnsinnig gut aus, die kindlichen Züge sind verschwunden. Er wirkt reifer und vor allem größer. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Was macht er hier? Ich weiß, dass Jan und er beste Freunde waren, oder ja vielleicht noch sind, doch hatten sie sich, seit er vor ein paar Jahren weg zog, nicht oft sehen können. Ist er nur zu Besuch, oder ist er wieder hier?
Er sieht mir direkt in die Augen. Blut schießt mir in die Wangen. Mühsam reiße ich mich von seinem schönen Gesicht los. Ich fühle mich mit einem Mal unwohl und hoffe die „beiden Idioten" lassen sich nicht so viel Zeit.
Weil hier herumzustehen alles irgendwie noch peinlicher macht, beschließe ich mich hinzusetzen. Doch gibt es in Julians Zimmer nur das Bett und keine Couch, also werfe ich meine Tasche hinter mir aufs Bett und setze mich an das andere Ende, weit von David entfernt. Ich wische meine verschwitzten Hände an meiner Hose ab. Gerade wünsche ich mir, ich hätte eine lange Jeans gewählt. Ich fühle mich irgendwie verletzlich. Niemand sagt etwas. Die Stille ist fast hörbar. Nur die Jungs, die sich unten unterhalten sind ab und zu zu hören. Fantastisch! Wieder so eine angespannte Stimmung! Dieser Tag wird besser und besser!
„Ist verdammt lange her, hm?" sagt er plötzlich. Vermutlich bloß um diese peinliche Stille zu unterbrechen. Seine Stimme ist jetzt tiefer, angenehm. Er hat mich also erkannt!
„Kann man wohl sagen!" Ich sehe ihn an. Seine Augen sind starr auf meine gerichtet. Diese Augen. Sie sind groß und hellblau. Ich fühle mich plötzlich wieder wie in der 8. Klasse. Ich fange an zu schwitzen. Ist es heiß hier drin? Schnell sehe ich wieder weg.
Ich spüre seinen Blick weiter auf meinem Gesicht, aber er sagt nichts mehr und es wird wieder still.
Ich will mein Handy raus holen, aber es liegt hinter mir in meiner Tasche und es würde bestimmt nur noch unangenehmer werden, wenn ich so offensichtlich versuchen würde, diese peinliche Stimmung zu unterbrechen.
Gerade als ich glaube, ich müsse mir ein Loch graben um darin zu verschwinden, höre ich Jan und Julian endlich die Treppe hochkommen. Na endlich!
Gott sei Dank bemerkt keiner der beiden die Anspannung, die man in dem Raum fast schmecken kann, weil sie zu beschäftigt mit ihrer Unterhaltung sind.
Als Jan David entdeckt strahlt er über das ganze Gesicht: „David! Wie geht's dir, man?!" David steht vom Bett auf und drückt Jan kurz an sich. „Super geht's mir! Es ist schön, wieder hier zu sein." sagt er und schlägt Jan brüderlich auf die Schulter. Also ist er tatsächlich wieder hier! „Es hat sich ja einiges verändert, seit ich weg war!" sagt er und sein Blick streift kurz mein Gesicht, als er sich im Zimmer umsieht. Meint er mich? Ach, Blödsinn! Er war ewig weg, hier muss sich ALLES verändert haben. Wie um mich selbst davon zu überzeugen schüttele ich den Kopf.
Ein Türklingeln reißt mich aus den Gedanken. Das muss Paul sein!
„Ich geh schon!" rufe ich und springe vom Bett auf, ehe Julian etwas sagen kann.
Julian sieht kurz verwirrt aus, widmet sich dann aber sofort wieder David zu.
Als ich auf der Treppe ankomme atme ich aus. Erst die doofe Party, von der Jessica sich partout nicht abbringen lassen will, dann diese angespannte Stimmung mit Jan im Auto und nun das! Was ist das nur für ein Tag?
Unten angekommen, öffne ich die Tür und Paul steht mir gegenüber. Er sieht mich überrascht an und grinst dann. „Oh, hallo Julian! Du siehst heute aber weiblich aus! Sind das etwa Extensions?" sagt er und kichert!
„Ja, das sind die Brusthaare deiner Mama!" Schlagfertig kann ich!
"Ey, nichts gegen meine Mama!" sagt er lachend und drückt mich kurz an sich.
„Ist er schon da?" fragt er plötzlich.
„Wer?"
„Na, David! Er wollte eigentlich schon hier sein." sagt er und knallt seine Schuhe neben meine.
„Achso... Ja, er ist schon da." sage ich und fange an mich darüber zu ärgern, dass scheinbar alle außer mir Bescheid wussten.
„Super!" sagt er nur und rennt schnell die Treppe nach oben. Ich kann hören wie er David lautstark begrüßt.
Ich stehe immer noch neben der Eingangstür, die mit einem Mal sehr verlockend für mich aussieht. Da fällt mir aber ein, dass meine Tasche noch oben liegt. Verdammt! Ich beiße mir auf die Lippe. Es gibt also keine andere Möglichkeit, ich werde wieder nach oben gehen müssen.
Ich weiß einfach nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Dort oben sitzt der Typ, der sich nie für mich interessierte. Und jetzt sieht er auch noch um so vieles besser aus, als damals. Meine Hände fangen schon wieder an zu schwitzen. Ich wische sie schnell an der Hose ab. Was soll ich nur tun? Ich habe mich damals schon so dumm in seiner Gegenwart verhalten, zappelte herum und wurde rot, sobald er nur etwas sagte. Entwürdigend.
„Kate? Wo bleibst du? Bist du angewachsen?" höre ich Jan von oben rufen. Lautes Gelächter.
Ich grummele in mich hinein und gehe zur Treppe. Als ich den Fuß auf die erste Stufe setze, schüttele ich mit dem Kopf. Lächerlich! Das alles ist Jahre her und ich bin kein kleines Mädchen mehr. Reiß' dich mal zusammen, Kate! Ich renne die Treppe nach oben in Julians Zimmer.
„Darf man nun nicht mehr auf Toilette gehen, oder was?" schwindele ich.
„Ist ja gut! Setz' dich zu uns, David wollte uns gerade von Kanada erzählen!" Julian winkt mich zu sich. Sie sitzen alle auf der Bettkante und blicken zu David.
Ich meide Davids Blick und setze mich zu Julian ans andere Ende.
„Nun ja..." setzt David an. „So spektakulär war es gar nicht. Aber es ist ein wirklich schönes Land. Unglaubliche Landschaft. Viele Seen. Ich bin viel Boot gefahren. Habe Verwandte besucht."
Er hat also Verwandte in Kanada? Das habe ich gar nicht gewusst. Aber was wusste ich eigentlich wirklich von ihm? Ich weiß, das er Klavier gespielt hat, wie ich. Zumindest hatte er das damals erzählt. Ich habe ihn aber leider nie spielen hören.
Ich blicke auf seine Finger, die in seinem Schoß ruhen. Sie sind lang und schmal, Klavierfinger. Schön. Ob er weiche Hände hat? Als ich aufsehe bemerke ich, dass er mich ansieht. Schnell sehe ich weg und laufe knallrot an. Ob er gemerkt hat, das ich seine Hände angestarrt habe? Bestimmt hat er das. Gott, ich möchte im Boden versinken. Was ist nur los mit mir?
„Das nächste Mal nimmst du uns mit, man!" Jan haut David auf die Schulter.
David lächelt. „Bestimmt."
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LOVE or FAITH
Teen FictionEigentlich hatte Kate mit David schon abgeschlossen, als dieser zu seiner Familie nach Kanada auswanderte. Doch da ist er nun plötzlich und löst Gefühle in ihr aus, denen sie schon vor einer guten Weile den Rücken gekehrt hatte, doch auch dieses Mal...