Es war der 13. August 1961; jener Tag welcher alles ändern und unsere Gesellschaft nur noch aus Kommunismus bestehen lassen sollte. Der erste Stein, durch den die Grenze noch bedrohlicher wirkte, der Stein der unsere Welt in zwei grausame Teile teilte.
13. August 1961
"Mandy, schau dir das an!", rief mein Vater aufgebracht als er die Mengen von auf ein Ereignis konzentrierten Schaulustigen kritisch musterte. Sofort wagte ich ebenfalls einen Blick aus dem Fenster und schluckte. "Vater, was ist da los?", fragte ich ihn verängstigt; hoffend dass er eine für mich verständliche Erklärung dafür hatte. Er nahm mich in seinen Griff und wir verließen gemeinsam das Haus. Langsam näherten wir uns dem Gemeuter um den Grund für den Aufstand zu erfahren. Ein stämmiger Mann kam auf uns zu und packte mich an meinen Schultern, daran rüttelnd. "Es ist alles zu spät!", schrie er rasend und wiederholte sich immer wieder. Seine Augen strahlten Angst und Furcht aus, vor dem was noch kommen könnte. "Bitte sagen Sie das nicht", murmelte ich leise und schaute lächelnd zu ihm auf. Mein Vater und der Mann waren erstaunt, dass ich so reagierte und warfen sich verwunderte Blicke zu. Ein Soldat unterbrach die wütenden Stimmen der Bürger. Als sie noch immer nicht aufhörten, zog er sein Gewähr und zielte auf die Menge. Der Mann, der gerade noch mit mir gesprochen hatte, fiel leblos zu Boden. Ich schrie panisch auf und krallte mich an meinem Vater fest. "Der arme Mann hat niemandem was getan", brachte mein Vater wütend zu Wort während er den Soldaten auffordernd anschaute. "Wenn Sie nicht ruhig sind, sind Sie der nächste", sprach er drohend und schoss in die Luft. "Nun gut, da jetzt alles geklärt wurde, möchte ich Ihnen bekanntgeben dass heute der Bau der Mauer beginnen wird. Heute am 13. August 1961."
2. September 1970
Es sind nun schon an die neun Jahre her, dass die Mauer Existenz gefunden hat und trotz alledem konnte ich die Bilder des Tages nicht vergessen. Damals verstand ich nicht was passierte - doch jetzt wo ich mit meinen fünfzehn Jahren allmählich erwachsen werde, schaffte mich alles umso mehr, da ich die unser Schicksal bestimmende Wahrheit kannte. Mein Vater wurde von Tag zu Tag schwächer und lebte mit einem Traum: Endlich Frieden zu finden. Doch Ost-Berlin bot uns alles andere als das, sie nahmen uns unser Eigentum und unsere Würde. Eines Tages fragte er mich, ob wir eine Flucht riskieren sollten, wir hatten nichts was wir verlieren konnten. Außer unser Leben natürlich, aber ob wir nun hier oder im Himmel waren - was bedeutete das für einen Unterschied? Lieber wollte ich sterben als dieses Leben weiterzuleben, denn es bestand nicht mehr aus Liebe und Freude - sondern nur noch aus Wut und Hass. Ich stimmte also zu und wir nähten von morgens bis in die Nacht hinein an einem Heißluftballon, der uns über die Mauer bringen sollte.
Die Nacht vom 3. Dezember auf den 4. Dezember 1973
Alles war bereit, unsere Sachen gepackt und der Heißluftballon einsatzbereit. Wir stiegen ein und ließen ihn langsam und vorsichtig steigen. Alles funktionierte nach Plan, es fehlten uns einige Meter bis hin über die Mauer, doch genau an diesem Punkt sollte alles scheitern. Einer der Wachmänner wurde auf uns aufmerksam und schoss mit seinem riesigen Gewähr auf uns, mein Vater wurde zweiunddreißig Mal getroffen. Auch der Heißluftballon trug einen schweren Schaden davon. Er stürzte in einem Waldgebiet ab und hing an einem der mächtigen Äste fest. Ich sah nur ein schwarzes Bild und fiel in einen tiefen Schlaf. "Öffne bitte deine Augen", hörte ich eine Stimme verzweifelt rufen. War es die meines Vaters? Als ich erneut den Worten lauschte, erkannte ich, dass es ein jüngerer Mann sein musste. Ich richtete mich zitternd auf und schaute nach meinem Vater. Als mein Blick ihn dann endlich fand, realisierte ich, dass es kein Traum war - er war tot. "Oh mein Gott, es ist alles meine Schuld", schluchzte ich während ich mein Gesicht hinter meinen Händen versteckte. "Komm mit mir, wir können nichts mehr für ihn tun", sprach die Stimme von vorhin erneut. Dieses Mal konnte ich erkennen, dass er eine mir bekannte Uniform trug. Wie es ausschaute war er ein Soldat. Panisch schreckte ich auf und stolperte einige Schritte zurück. "W-Was willst du von mir?", stotterte ich ängstlich und wischte mir meine Tränen weg. "Ich möchte dir helfen. Ich bin nicht wie die anderen. Vertrau mir - wir finden einen Weg um nach West-Berlin zu kommen. Zusammen.", wisperte er und half mir hoch. Ich griff nickend seine Hand und folgte ihm zu einer Hütte, in welcher viele Pläne aushingen. "Ich arbeite nun schon sehr lange daran, einen Fluchtweg zu finden", sagte er und warf mir ein Lächeln zu. "Komm ruhig näher, du sollst sie dir anschauen", hing er seinen Worten an und verschaffte mir einen Einblick in seine Gedanken. Schon von klein auf hatte ich eine sehr gute Menschenkenntnis, jener Mann der vor mir stand trug ein großes Herz innerhalb seiner Brust. Er gab mir das Gefühl sicher zu sein - genau das, fehlte mir seit Jahren. "Ich bin Kevin. Kevin Balkowfski", sagte er in einem ruhigen Ton und formte seine Mundwinkel zu einem Lächeln. "I-Ich bin Mandy", informierte ich ihn schüchtern und schluckte. "Mir gefällt dein Name", machte er mir schmunzelnd als Kompliment und holte tief Luft. "Du wirst hier solange schlafen", meinte er und deutete auf eine morsche, klapprige Matratze. "Ich möchte, dass du das hier überlebst", ließ er mich wissen und warf mir einige Schlafutensilien zu. Ihm gehorchend legte ich mich auf die Matratze und schlief mit dem Gedanken an meinem Vater ein.