3. Kapitel

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Eine neue Entdeckung: Ich senke langsam meinen Kopf und starre auf einen Grashalm. Da ich in Gedanken versunken bin kann ich den Halm nur mehr verschwommen sehen. Im inneren Auge sehe ich nur die Szenen die sich heute abgespielt haben. Eine nach der anderen huscht durch meinen Kopf. Scheiße. Wieso hat Vater die Sanitäter angelogen?! Mama hätte niemals, wirklich nie ihrer Familie etwas angetan! Da bin ich mir nicht 100% sicher, sondern 1.000.000%. Mein ganzer Geburtstag ist im Arsch ey! Polarstern ist in dieser Situation kein „einfaches" Geschenk, sondern viel mehr mein Lebensretter in der Not. Ich beginne sogar schon daran zu zweifeln, dass Mom wirklich gestorben ist. Weg aus diesem Leben... Ein leichter Stups holt mich zurück in die wahre Welt. Ich bemerke erst jetzt, dass Polarstern direkt vor mir steht. Was er wohl von mir will? Ich hebe meinen Kopf um mit ihm in Augenkontakt zu sein. Ich stehe auf und streichele ihm über sein glattes braunes Fell. Ganz unerwartet legt er sich vor meinen Füßen hin. Warum er sich wohl vor mir niederlegt? Der Hengst deutet mir zum Aufstieg. Ich kenne ihn nicht richtig und habe auch noch nie jemanden auf ihm reiten gesehen... Aber er hat mich die ganze Zeit liebevoll behandelt und mir seine Wärme geschenkt wenn ich sie nötig hatte. Warum sollte er mich jetzt also abwerfen? Also setze ich mich auf seinen breiten Rücken. Vorsichtig steht der Hengst auf. Oh Gott! Es ist einfach ein wundervolles Gefühl auf meinem eigenen Pferd zu sitzen. Von hier oben kann ich gut auf den Hof sehen. Ich sehe meinen Dad wie er gerade die Schweine füttert. Wut steigt in mir hoch als ich das Gesicht meines scheinheiligen Vaters erblicke. Ich versuche ruhig zu bleiben, aber Polarstern merkt trotzdem, dass etwas nicht stimmt. Er dreht sich um und fängt an zu traben. Nun reiten wir immer weiter von unserem Hof weg und ich gebe die Hilfen zum galoppieren. Der treue Hengst versucht so ruhig wie möglich in diese Gangart zu parieren. Ohne Sattel fällt es mir ziemlich schwer nicht herunter zufallen. Sanft halte ich mich in seiner weichen Mähne fest. Als ich mich daran gewöhne und einen sicheren Halt habe werden wir immer schneller. Ich muss sagen, dass er wirklich toll galoppiert. Es fühlt sich an wie ein Traum. Meine Haare flattern im Wind und man merkt dass das Pferd richtig Spaß daran hat. Ich genieße den Ritt so sehr. Polarstern schnaubt und schaue gespannt zwischen den gespitzten Pferdeohren hindurch. „Halt Süßer!" Der Weidenzaun kommt uns immer näher. Aber wieso hört er nicht auf das was ich ihm gesagt habe? Auch wenn ich ihm vertraue habe ich ein wenig Angst. Da steht der Zaun auch nur mehr einen Meter vor uns. Ich schließe meine Augen und kralle mich tief in die Mähne. Meine Füße drücken haltsuchend in die Flanken des Pferdes. Ich spüre nur noch wie die Pferdefüße vom Boden abheben und kurz darauf wieder aufsetzen. Es fühlte sich an als wir fliegen würden. Ich empfand mich sogar für einen kurzen Augenblick schwerelos. Nur wohl fühlte ich mich bei dem Sprung nicht. Ich bin noch nie zuvor über ein so hohes Hindernis gesprungen und schon gar nicht ohne Sattel. Ich bin richtig...geflasht! Polarstern hat mittlerweile in den Trab gewechselt. Mein Herz ist aber immer noch auf 180. Der Hengst spürt wie angespannt ich bin. Er wiehert einmal befriedigend und kommt zum Stehen. Ich bleibe noch kurz sitzen um mich zu sammeln. Mit einem kräftigen Schwung steige ich von Polarstern ab. Ich gehe näher an seinen Kopf heran und streichle seine Nüstern. „Der Sprung war toll mein Großer!" Ich lächle. „Wir sollten das weiterhin üben." Er schnaubt und schwenkt seinen Kopf auf und ab. Ich nehme ihn am Halfter und gehe neben ihm her. „Wollen wir galoppieren?", höre ich mich sagen. Bestätigend legt er sich vor meinen Füßen nieder. Ich steige auf ihn. Polarstern rappelt sich auf und fängt an zu traben. So langsam bekomme ich ihn in Griff. Mit meinen Füßen lenke ich ihn zum Gatter der Weide auf der wir nach dem Sprung gelandet sind. Vom Rücken des Pferdes aus öffne ich es und schließe es hinter uns wieder. Gemeinsam reiten wir zur ersten Weide wo ich den Strick von Polarstern abgelegt hatte. Auf dem Feldweg sind mehrere Raupen, weshalb wir im vorsichtigem Schritt gehen müssen. Im Slalom umgehen wir die kleinen Insekten. Wir biegen in einen kleinen Weg ein und reiten auf das Gatter der Weide zu. Ich steige von Polarstern ab und laufe auf den am Boden liegenden Strick zu. Ich schnappe mir ihn und laufe zurück zu Polarstern. Das Ende mit dem Haken hake ich rechts am Halfter ein und das andere Ende knote ich an der anderen Seite fest. Ich schließe das Gatter und steige erneut auf den Hengst. Den Strick verwende ich nun als Zügel um mehr Kontakt zum Maul des Tieres zu haben. Ich lenke ihn zu einer kleinen Landstraße, wo wir so fünf Minuten entlang reiten. Der Wald ist zu erkenne und wir reiten vorsichtig in ihn hinein. Rechts neben uns fließt ein kleiner Bach, links befindet sich das Naturschutzgebiet und wir beide traben genüsslich auf dem Weg. Plötzlich bleibt Polarstern ruckartig stehen. Zum Glück kann ich mich noch festhalten. Der Hengst spitzt seine Ohren. Ich lausche ebenfalls gespannt in den Wald. Nichts. Oder etwa doch? Irgendetwas knackte. „Ist bestimmt nur ein Hase oder ein Reh mein Großer!", versuche ich meinem Pferd einzureden. Ich gebe ihm einen kräftigen Tritt in die Flanken, doch er bleibt einfach stehen. Noch Einer. Keine Reaktion. Es muss ihm Angst machen, denn sonst würde er nicht stocksteif dastehen. „Mach schneller! Wir sollen heute noch alle Tonnen entleert haben!", kommandiert ein Mann mit tiefer Stimme herum. „Sehr wohl Chef", kam die Antwort von einem Jüngeren. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass hier im Wald eine Müllhalde ist. „Was hat das zu bedeuten?", flüstere ich Polarstern zu. Er setzt sich leicht in Bewegung und schleicht sich in die Richtung aus der Krach kommt. Nach fünf Metern bleibt er wieder stehen. Durch die Blätter konnte ich sie gut erkennen. Wir sind jedoch gut getarnt. Die Männer sind mit einem orangenen Jeep da. Mehrere grüne Tonnen befinden sich auf der Ladefläche. Eine nach der Anderen entleeren sie in eine Grube im Waldboden. Aus den Behältern quillt eine eklige, schwarze Masse heraus. Ich kann nicht feststellen was es ist, aber es riecht widerlich. Wie eine Mischung aus Schwefel, Teer und Benzin. Das kann also keine natürliche Zusammensetzung sein. Nachdem die Männer alle Tonnen entleert haben, wirft der Ältere dem Jüngeren eine Schaufel zu. „Buddel mal schnell das Loch zu Yu!", beauftragt er ihn. „Yu" häuft Erde auf einen Haufen und schüttet damit das Loch mit dieser komischen Masse zu. Danach fahren die beiden ohne ein Wort zu wechseln mit ihrem Auto weg. Schnell geht Polarstern in Deckung. Als die Beiden endlich weg sind steige ich von Polarstern ab. Ich binde ihn an einem festen Ast an und schlüpfe durch das Dickicht. Mein ganzer Körper zittert vor Aufregung. Ich muss mir die Nase zuhalten, damit ich mich nicht wegen dem Geruch übergebe. Meine Anspannung steigt. Ich stehe nun direkt vor dem zu gebuddeltem Loch. Mit einem angewiderten Blick mustere ich die merkwürdige Stelle. Mit meiner Hand grabe ich eine Mulde in das zugemachte Loch um an diese ekelhafte Masse heran zu kommen. Beinahe steinhart ist diese Flüssigkeit geworden. Ich nehme ein bisschen was davon in meine Hand um es zu untersuchen. Meine Diagnose: ungewöhnlich und nirgends zu zuordnen. Diese Probe lege ich kurz neben mich und schütte die Mulde wieder mit der Erde zu. Mit diesem seltsamen Etwas in der Hand kämpfe ich mich wieder durch das Gebüsch geradewegs zu Polarstern. Er begrüßt mich herzlich und lässt mich auf sich aufsteigen. Im schnellen Galopp stürmen wir aus dem Wald hinaus und reiten am Straßenrand im Schritt wieder zum Hof nachhause. Bevor wir tatsächlich auf den Hof reiten schaue ich mich noch nach meinem hinterhältigen Vater um. Keine Spur. Wir schleichen in den Stall. In Windeseile putze ich kurz übers Fell und entferne den Matsch von den Hufen. Dann bringe ich Polarstern auf die Weide zum Grasen und ich verschwinde in meinem Zimmer. Im ganzen Haus ist es still. Mein Vater ist anscheinend mit dem Traktor ins Dorf gefahren. Die Probe der komischen Masse lege ich nun auf meinen Schreibtisch. Aus dem Badezimmer hole ich einen Becher, Wasser und eine Pinzette. Fast fühle ich mich schon wie eine Laborantin. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. Die Sachen stelle ich ebenfalls auf meinem Schreibtisch ab. Unter meinem Bett hole eine Kiste mit der Aufschrift „Selten benutzt" hervor. Ich krame ein bisschen und stoße dann auf das Gesuchte. Mein altes Mikroskop. Ich hatte es zu meinem zehnten Geburtstag bekommen, doch ich nutzte es so gut wie nie. Vorsichtig hebe ich es aus der Kiste. Das Zubehör dafür habe ich auch bereits gefunden. Mein Schreibtisch gleicht nun eher einem kleinen Labor als einem Tisch um Hausaufgaben zu erledigen. Mit der Pipette träufle ich ein paar Tropfen Wasser auf das bereits steinharte Material. Sofort wird der feuchte Teil wieder zähflüssig. Mit einem Skalpell rasple ich ein bisschen etwas, der trockenen Masse herunter. Die Krümel gebe ich behutsam auf ein Blättchen aus Glas und lege es unter mein Mikroskop. Auf den ersten Blick nicht viel zu erkennen. Für mich sieht es aus wie „normales" Gestein. Fürs Erste nehme ich das Glasblättchen und verpacke es vorsichtig in einen Frischhaltebeutel. Nun kratze ich mit dem Messer etwas der zähflüssigen Masse herunter und schaue mir dies genauer an. Unter dem Mikroskop kann ich erkennen, dass sich die Masse irgendwie...bewegt. Wie schwarzer Wackelpudding sieht das Ganze aus. Ich füge noch ein bisschen Wasser hinzu. Die vorher noch zähe Masse ist jetzt flüssig. Also mit Berührung von Wasser verflüssigt sich dieses Material, muss ich feststellen. Ich habe auch ein kleines Döschen mit verdünntem Chlor. Gekonnt träufle ich paar Tropfen davon auf die Probe. Dieses ekelige, schwarze Zeug beginnt zu rauchen und zu glühen. Gespannt verfolge ich die Szene durchs Mikroskop. Meine Hände fangen vor Aufregung an zu schwitzen und mit meinen Zähnen kaue ich auf meiner Unterlippe herum. Plötzlich verfärbt sich das Material giftgrün und brodelt. Aus Angst irgendwie verletzt zu werden schaue ich dem Spektakel nur mehr aus einer Entfernung von mindestens 50 Zentimetern zu. Wirklich widerlich dieser Anblick. Mit zittriger Hand greife ich nach der Pipette. Mit ihr tropfe ich fünf Tropfen reines Wasser auf das brodelnde Etwas. Sofort hört es auf zu glühen und zu rauchen, verfärbt sich wieder schwarz und wird steinhart. Nichts passiert mehr. Alles ist wie am Anfang. Das heiße Glasblättchen nehme ich mit einem Stück Stoff zwischen meinen Zeigefinger und meinen Daumen und befördere es ebenfalls in einen Frischhaltebeutel. In meinem Zimmer schweben so einige Rauchwolken und die Temperatur ist bestimmt auf 27° Grad angestiegen. Ich schiebe mein Fenster auf um den Dampf abzulassen, doch es kommt mir vor, als würde ich gute 30 Kilo hochstemmen. Der Geruch und die Wölkchen verschwinden nach draußen. Ich lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen und wische mir den Schweiß von der Stirn. „So eine Scheiße...", murmle ich vor mich hin. Ich liege nun flach auf meinem Gemach und starre nutzlos an die Decke. „Das war ja mal ein Abenteuer." Es hört sich an als wäre es zu Ende, doch eigentlich beginnt es jetzt erst. Ich setze mich auf und stütze mit meinen Handflächen mein Kinn. Da meldet sich mein Magen. Ich lege eine meiner Hände auf meinen Bauch mit der Hoffnung, dass das Magenknurren aufhören würde. Ich schaue auf meine Wanduhr. 17:33 Uhr. Mich trifft fast der Schlag. Seit ungefähr...drei Uhr in der Früh bin ich auf den Beinen und habe gerade einmal einen Kakao zu mir genommen. Na ja, bei so vielen Adrenalinkicks kommt man halt nicht dazu ans Essen zu denken. Ich seufze. Mein Magen meldet sich nochmals. Ich stehe auf und meine Beine tragen mich in die Küche. Dort trinke ich erst einmal hastig zwei Gläser Wasser, worauf ich mich verschlucke. Ich muss husten. Nach dem kleinen Missgeschick schneide ich mir zwei Scheiben Brot ab, streiche Butter darauf und belege sie mit Käse. Als „Sahnehäubchen" lege ich oben drauf noch eine Weintraube. Leider fällt sich gleich danach runter, sodass ich sie sofort aufessen muss. Ich packe die Brote und eine Wasserflasche in einen Korb. In Gummistiefeln und mit dem Korb in der Hand mach ich mich auf in den Stall. Einen Apfel und vier Karotten verstaue ich noch im Korb und gehe gleich danach zur Weide wo Polarstern bereits sehnsüchtig auf mich wartet. Meine Decke breite ich inmitten der Wiese aus. Der Hengst versucht währenddessen eine Karotte aus dem Korb zu klauen. Als ich ihn bei der Tat erwische schaut er mich mit einem Schmollblick an. Ich muss lachen. „Dir kann auch niemand böse sein Polarstern! Die Karotte hättest du außerdem sowieso bekommen!" Mit dem Gemüse im Maul galoppiert er glücklich am Zaun entlang und macht zwischendurch auch leidenschaftliche Bocksprünge. Ich habe es mir schon gemütlich auf der kuschligen Decke gemacht und verzehre genüsslich mein Käsebrot. So vergehen einige Stunden. Einen kleinen Abendritt haben Polarstern und ich auf der Weide auch noch gemacht. Nachdem ich ihn gründlich im Stall versorgt habe bin ich auf mein Zimmer gelaufen. Ich zog mir rasch meinen wärmsten Schlafanzug an, schnappte mir eine dicke Schlafdecke und lief aus dem Haus. Im Flur musste ich noch an Papa vorbei der mich aber keines Blickes würdigte. So, jetzt liege ich am Heuboden werfe immer stets ein Auge auf Polarstern. Ich leuchte mit meiner Taschenlampe noch einmal in die Box von ihm. Es sieht toll aus wenn er sorgenlos dasteht und vor sich hin döst. Ich schalte die Taschenlampe aus und lege sie wieder neben mich. Dann schließe ich meine schweren Lider und in Gedanken durchlaufe ich noch einmal die Szenen des Tages. Irgendwann schlafe ich dann vor Ermüdung erschöpft ein und versinke im Träumeland

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 20, 2013 ⏰

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