Der verbotene Wald

1.

Claire starrte aus ihrem Zimmerfenster direkt in Richtung des großen, düsteren Waldes, der ein paar hundert Meter hinter ihrem Haus lag. Wie gerne sie einmal im Leben einen Fuß hineinsetzen würde... Der Wald hatte sie schon immer gereizt, sogar schon als kleines Kind hatte sie immer wieder davon geträumt ihn einmal zu betreten und sie hätte es ein paar mal fast geschafft ihn zu betreten, doch die Dornensträucher wuchsen am Rand so dicht, dass es unmöglich war, auf mehr als ein paar Schritte an den Wald heranzugelangen. Sie hatte es an vielen Stellen versucht, doch es gab keine einzige,  an der der Wald betretbar gewesen wäre und irgendwann hatte Claire ihre Versuche aufgegeben. Ihre Neugier über den Wald war einigen Bewohnern des Dorfes schon immer ein Dorn im Auge gewesen und sie wusste nicht weshalb. Niemand verlor je ein Wort über ihn oder hatte gar versucht ihn zu betreten. Doch Claires Gedanken wurden wie magisch von dem Wald angezogen und sie träumte immer wieder den selben Traum. Sie lief auf den Wald zu und hörte leises Flüstern aus dem Gesträuch, Stimmen die sie zu sich rufen wollten. Sie rannte immer schneller, doch je schneller sie wurde, desto weiter schien der Wald in fernem Nebel zu verschwinden, bis er schließlich von Dunkelheit verschluckt wurde und sich um sie herum nichts außer Nebel un Kälte befand. Danach wachte sie jedes mal so Schweißgebadet auf, als wäre sie wirklich Kilometer weit gelaufen. Sie hatte zwar auch früher schon oft von dem Wald geträumt, doch diese sich wiederholenden Albräume waren erst in letzter Zeit aufgetreten und langsam bekam Claire Angst vor ihnen. Die Träume waren so bedrohlich und düster, dass sie sich Nachts stundenlang im Bett herumwälzte und sich dagegen wehrte einzuschlafen weil sie wusste, dass sie keinen friedlichen Schlaf finden würde, sondern von Albträumen sofort wieder wachgerissen werden würde.

Sie stand auf und ging durch ihr Zimmer in Richtung Bad. Sie musste sich für die Schule fertig machen und brauchte dringend eine Dusche. Die unruhige Nacht war nicht spurlos an ihr vorüber gegangen wie sie mit einem raschen Blick in den Badezimmerspiegel feststellte. Ihre Wangen waren eingefallen und ihre Haut hatte einen ungesunden Grauton angenommen. So sieht man also aus, wenn man seit Wochen nicht richtig geschlafen hat, dachte sie, während sie ihren Schlafanzug in den Schmutzwäschebehälter schmiss. Nachdem sie frisch geduscht war suchte sie sich die Klamotten für den heutigenTag aus. Es war weder sehr kalt, noch sehr warm, also entschied sie sich für eine enge schwarze Hose, und ihren weinroten Lieblingspulli. Unten schnappte sie sich schnell einen Apfel aus der Obstschale, warf sich Jeansjacke und Rucksack über die Schulter und wollte ihrer Mutter zum Abschied zurufen, als ihr einfiel das diese sowieso nicht zuhause war. Sie arbeitete so gut wie rund um die Uhr. Geschwister hatte sie keine und ihr Vater, der einst Sheriff des Dorfes gewesen war, starb als Claire noch sehr klein war. Sie hatte zwar keine genauen Erinnerungen mehr an ihn doch sie wusste noch wie viel sie mit ihm gelacht hatte und welch ein größes Vorbild er für sie war. Ihr Vater war immer für Claire da gewesen und hatte sie nie ausgelacht, als sie ihm ihre erfundenen Gruselgeschichten über den Wald erzählte. Er war während dem Dienst in einen tragischen Autounfall verwickelt worden und starb kurz danach um Krankenhaus. Claires Mutter hatte sich wohl nie ganz von dem Verlust erholt und hatte sich zur Ablenkung tief in ihre Arbeit als Journalistin gestürzt. Mit ihrem Beruf waren viele Reisen verbunden und da Claire keine Geschwister hatte war sie die meiste Zeit allein. Sie verstand sich zwar mit fast allen Leuten ihres Jahrgangs gut, doch wirkliche Freunde mit denen sie sich treffen konnte hatte sie eigentlich nicht. Sie verbrachte ihr Zeit Vormittags in der Schule und ging fast jeden Nachmittag in die Bibliothek des Ortes wo sie bis Abends in alten Büchern stöberte, Hausaufgaben machte oder für ihren Schulabschluss, der dieses Jahr war, lernte.