Kapitel 2

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Ich war nun bereits seit 3 Wochen wieder in Deutschland und meine Bewerbung hatte ich vor gut zwei einhalb Wochen abgeschickt. Auch wenn ich mir einredete, dass dieses Praktikum nur eines von vielen verschiedenen Möglichkeiten war, wollte ich doch eigentlich nur genau diesen Platz. Das Warten auf die Rückmeldung machte mich ganz verrückt. Ich bemerkte wie ich ständig abwesend war und in der Gegend herumstarrte. Auch sonst machte ich nicht viel: Ich hing in meinem Bett oder auf dem Sofa rum und genoss es, nicht mehr für eine ganze Familie verantwortlich zu sein. Natürlich vermisste ich auch die beiden Knirpse, denn ich hatte die Zeit in Amerika als Au-Pair wirklich genossen: allerdings war es schön, abwechslungsweise nur für mich verantwortlich zu sein. Wenn ich keine Lust hatte zu kochen, dann aß ich Brot und wenn ich eine Pizza bestellen wollte, dann tat ich das, denn jetzt musste ich nicht mehr darauf achten, dass die Kinder eine gesunde Ernährung genossen. Ansonsten war ich viel alleine, was nicht daran lag, dass ich die Einsamkeit bevorzugte, sondern viel mehr daran, dass meine Freunde alle mit der Uni oder ihrer Ausbildung beschäftigt waren. Und genau das stachelte mich noch mehr an, endlich etwas geregeltes für meinen Alltag zu finden. Denn ich wollte unbedingt etwas tun.

Deshalb half ich unserer Nachbarin, einer freundlichen alten Dame, gelegentlich im Garten. So hatte ich etwas zu tun - und Gesellschaft. Und auch sie zog ihren Vorteil daraus, denn ihr Garten und ihre Rosen waren ihr Ein und Alles. Da sie allerdings nicht mehr so mobil war, fiel es ihr schwer, täglich die körperliche Arbeit alleine zu verrichten. Und sie sparte Geld für einen Gärtner.

Mir war bewusst, dass ich ein wenig Geld für meine Hilfe hätte verlangen können, aber das wollte ich nicht. Ich half gerne, und der Kaffee und Kuchen, den sie mir nachmittags immer anbot, waren Bezahlung genug. Abends war ich dann meistens platt wie eine Flunder und freute mich auf mein Bett. Doch das letzte, woran ich vor dem Einschlafen dachte, war an diesen verflixten Praktikumsplatz, der mir einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Jeden Morgen musste ich mich zwingen, nicht zum Briefkasten zu rennen. Und dennoch schlich sich immer wieder ein enttäuschter Ausdruck in mein Gesicht, wenn der erhoffte Brief nicht dabei war.

Doch genau an dem Tag, an dem ich den Gang zum Briefkasten bis spät nachmittags aufschob, um die Enttäuschung zu verzögern, entdeckte ich unter einem Haufen von Werbebriefen und anderen Schreiben ein Couvert mit der verschnörkelten Aufschrift „Architektenbüro Stieger". Unbewusst hielt ich auf dem ganzen Weg zurück ins Haus gespannt die Luft an. Erst als ich drinnen nach Luft schnappte, wurde mir bewusst, dass dieser Brief meine Laune für die nächsten Wochen entweder erheblich verbessern konnte - oder mich für die nächsten Wochen zu einem der ungenießbarsten Personen machen konnte. Natürlich hoffte ich auf Ersteres, denn allein das Warten war schon ein schreckliches Prozedere, einschließlich Stimmungsschwankungen und Wutanfällen, gewesen.

So saß ich also geschlagene zehn Minuten in der Küche am Esstisch und starrte auf den ungeöffneten Brief. Ich wurde aus der Starre gerissen, als die Haustür mit einem Knall zugeworfen wurde und kurz darauf die Stimme meines Bruders zu hören war.

„Hallo? Lisa? Hast du die Tür aufgelassen?"

Er streckte seinen Kopf zur Tür herein und musterte mich mit einem besorgtem Blick. Ihm musste wohl aufgefallen sein, wie sehr ich tatsächlich neben der Spur war. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich näherte, einen Stuhl vom Tisch schob und sich neben mich niederließ. Doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Brief losreißen.

Luke begriff sofort, dass ich ein wenig überfordert war. Deshalb nahm er vorsichtig den Brief aus meiner Hand, woraufhin ich die Stelle auf dem Tisch anstarrte, wo er bis vor Kurzem noch gelegen hatte.

„Lisa", sagte er mitfühlend und legte einen Arm um mich. „Mach dir nicht so viele Gedanken. Egal was darin steht, es ist nicht das Ende. Du setzt dich so sehr unter Druck, wegen dieser einen Stelle. Aber es gibt noch so viele andere Chancen für dich. Du bist doch eine intelligente, eigenständige Person. Mach dich nicht so abhängig von diesem Brief, okay?", er nahm mein Kinn in die Hand und drehte meinen Kopf in seine Richtung, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu blicken.

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