Kapitel 1

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"Mrs Kathrin Tomlinson?", rief die Sprechstundenhilfe mich auf. Ich erhob mich von dem Stuhl, strich mein schwarzes Top nochmal glatt und folgte dann ihrer Anweisung mich in Zimmer zwei zu begeben. Ein jüngeres Mädchen, welches mit ihrer Mutter hier war, schaute mir hinterher, als sie meinen Nachnamen realisierte.

So saß ich da, auf dem Stuhl vor einem ordentlichen Schreibtisch und schaute ungeduldig auf meine Handyuhr, um das flaue Gefühl in meinem Magen zu bekämpfen. Jedoch wurde es nicht besser. Mir war kotzübel und kalt, trotzdem schwitzte ich mehr als normal. Durch das Fenster strahlte die Sonne auf mein Gesicht, als die Tür geöffnet wurde. Ich zuckte zusammen.

Eine Frau mit kurzen, schwarzen Haaren trat herein und reichte mir ihre Hand mit den Worten: "Schönen guten Tag, Mrs Tomlinson."

Sie lächelte mich übertrieben an, ich aber brachte nur ein kurzes, schiefes Lächeln auf meine Lippen. "Guten Tag", murmelte ich, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte.

Sie tippte kurz auf ihrer Tastatur und wandte sich dann wieder an mich.

"So Mrs Tomlinson, ich freue mich Ihnen sagen zu dürfen, dass wir uns in Zukunft öfter sehen werden und wir einiges zu bereden haben." Ihre Zähne waren strahlend weiß, und schienen die Sonne gerade so zu reflektieren.

Mein Herz begann zu rasen und meine Finger zitterten was das Zeug hält.

"Warum? Ein einfaches negativ reicht doch", versuchte ich möglichst locker mitzuteilen, doch mein Kiefer verkrampfte.

"Ich fürchte nicht. Mrs Tomlinson, der Test ist positiv. Sie sind schwanger, meinen herzlichen Glückwunsch."

Mit diesen Worten brachte sie mein Marathon laufendes Herz zum kurzeitigen Stillstand und in mir zog ich alles zusammen. Ich schluchzte einmal auf.

"Nein. Nein, das geht nicht. Ich nehme die Pille!" Tränen sammelten sich in meinen Augen. Das konnte doch nicht wahr sein!

Wie sollte ich das denn jetzt aus noch schaffen?

"Es gibt Ausnahmefälle, Mrs Tomlinson. Die Pille garantiert keinen 100%tigen Schutz." Das Lächeln meiner Frauenärztin wurde immer schwächer. Ich fasste mir nur an die Stirn und schloss meine brennenden Augen. Angesammelte Tränen entwich und rollte meine Wange hinunter. "Aber das geht nicht, ich bin Studentin, ich habe keine Zeit-", meine Stimme brach ab.

"Mrs Tomlinson, Sie werden das schaffen. Es gibt Hilfe und-", begann sie wieder doch ich unterbrach sie.

"Nein", ich warf einen Blick auf die Uhr. "Tut-, tut mir wirklich leid, aber ich muss los. Ich habe noch einen Termin mit meiner Schwester", stotterte ich, stand auf und verließ zügig das Besprechungszimmer.

"Mrs Tomlinson!", rief die Ärztin mir hinter her. Doch ich wollte nur noch weg hier und stürmte gerade Wegs aus dem Gebäude. Ich machte mich zu Fuß direkt auf, zu dem Ort, wo Charly und ich uns treffen würden.

Um nicht zu viel Aufsehen zu erregen wischte ich mir die Träne weg und hielt meinen Blick auf dem Gehsteig.

Ich wollte und konnte kein Kind großziehen. Ich hatte mein Studium. Charly und meine restliche Familie würden mir nicht helfen können, sie alle waren zu weit weg.

Immer noch mit gesenktem Kopf betrat ich den alten Friedhof. Einen Ort der Trauer und der Tränen. Stille umhüllte mich, ersticke jedes Geräusch, nur die Bäume rauschten im leicht kühlen Wind.

Langsam schritt ich durch die Reihen der Grabsteine, auf der Suche nach einem ganz bestimmten. So viele Namen, wunderschöne Blumen und andere Deko zierten die Gräber.

Weiter hinten endeten die Grabsteine und die Sicht lag frei auf einer grünen Wiese mit mehreren kleinen Bäumen. Die Genehmigung für das Grab unter der Trauerweide hatte ein Vermögen gekostet, doch er wollte es unbedingt so haben. Koste es, was es wolle.

Gitarrentöne erklangen, gefolgt von einer leisen, rauen Stimme, die zu singen schien. Ruhig, leise und erfüllt von Trauer.

"If I could fly, I'll be coming right back home to you."

Jemand hockte unter dem Baum, gelehnt an das Grab, das Instrument auf dem Schoß und spielte.

"Hallo", begrüßte ich ihn leise, fast schon flüsternd. Sofort als meine Augen den Namen auf dem Stein lasen, schossen mir die die Tränen in die Augen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und ließ sie endlich raus.

Charlotte Miz

Niall blickte zu mir hoch. Seine Augen waren rot und auch ihm rollten Tränen über sein Gesicht.

Es war ein Ort, an dem das so viele weinten. Nun auch wir. Niall stand auf und zog mich in seine Arme. "Es ist alles gut", wisperte er gegen meine Stirn. Zusammen setzten wir uns hin.

"Wie lange bist du schon hier?", fragte ich mit schwacher Stimme.

"Lange", gab er knapp als Antwort. Auch sein Blick schwenkte auf das Grab und er verzog das Gesicht. Seine angeschwollenen, geröteten Augen wurden glasig und er kämpfte damit nicht weiter zu heulen. "Ich vermisse sie so sehr", schluchzte er und die Tränen kullerten unnachgiebig seine feuchten, glänzenden Wangen hinunter.

"Warum sie? Sie hat das nicht verdient! Und mir hätten diese Symptome viel eher auffallen sollen! Sie wäre doch deine Mrs Horan geworden."

Wieder konnte ich den Tränen nicht standhalten. Sie flossen ohne Unterlass aus meinen Augen.

"Sie-", seine Stimme brach ab und er brauchte eine Weile bis er sie wieder kontrollieren konnte

"Sie ist meine Mrs Horan"

Seine Worte brachen mir das Herz.

"Es tut mir so wahnsinnig leid!"

"Shh- " Er strich mir sanft über die Schulter. "- es ist nun mal so passiert. Alles hat seinen Grund, gib dir nicht die Schuld daran." Es kostete ihn so viel Kraft, das zu sagen. Seine Stimme zitterte und immer wieder kullerten ein paar Tränen.

"Aber wäre es mir früher aufgefallen, wäre der Tumor nicht schon so groß gewesen", brach es aus mir heraus, "sie hätte operiert werden können. Vielleicht hätte ich auch die Geräte nicht abstellen lassen sollen. Sie hätte es schaffen können."

"Das hätte sie nicht gewollt. Außerdem Kathy, war die Chance doch so gering und auch wenn, hätte sie mit Schmerzen leben müssen. Es wäre egoistisch gewesen sie kämpfen zulassen. Ich bin mir ganz sicher, dass sie jetzt an einem besseren Ort ist, ohne Leid und Schmerzen. Vielleicht sieht sie uns sogar", er versuchte zu lächeln, was mit seinen dicken Augen so unecht wirkte.

"Hast ja recht", schniefte ich, aber die Tränen wollten nicht stoppen.

Er legte einen Arm um mich und mein Kopf fand Platz auf seiner Schulter.

"Was sie wohl zu dem Baby gesagt hätte?" Meine linke Hand wanderte auf meinen Bauch, an dem man allerdings nichts erkennen konnte.

"Welches Baby?" Erstaunt schaute er zu mir und verstand sofort. "Sie hätte sich über den Titel Tante Charly gefreut." Er machte seine Augen zu und lächelte.

Der Satz und die Vorstellung entlockten auch mir ein winziges Lächeln und ich schloss die Augen.

"Wir werden dich nicht vergessen", flüsterte er.

"Ich weiß nicht ob ich das schaffen werde oder ob ich es überhaupt behalte", gab ich leise zu und Niall guckte mich geschockt an.

"Kathy, das ist ein Geschenk! Vielleicht sogar eins von Charly", er kniff die Augen zusammen und weinte wieder.

Ich antwortete nicht.

Noch lange saßen wir da, und genossen die Stille und die Nähe zu meiner Schwester, bis Niall irgendwann sagte: "los, erzähl es Louis, er wird sich freuen."

"Kommst du mit?", wollte ich wissen.

Niall schüttelte den Kopf. "Ich bleibe bei meiner Prinzessin." Ich nickte und er nahm wieder die Gitarre zur Hand.

Einsam und traurig machte ich mich auf den Rückweg.

Und Niall sang und spielte weiter.

"If I could fly, I'll be coming right back home to you."

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