Endloses Nichts ➽ 02

51 3 2
                                    

Niall

Es gab gewisse Tage, an denen man lieber im Bett geblieben wäre und genau zu so einen Tag entwickelte sich dieser. Ich strich über das Laken neben mir um binnen Sekunden später festzustellen, dass ich es als kalt und leer empfand. Das Bettbezug wurde nicht von der Wärme umhüllt, wie es sonst üblich war. Ich öffnete erst das eine und dann das andere Auge um einen Blick auf meine linke Seite zu werfen, aber niemand blickte mir entgegen. Ich hätte es wissen müssen - auch wenn ich jeden Moment erwartete in die so geliebten Katzenaugen ihrerseits schauen zu können - aber ich wollte es einfach nicht begreifen.

»Horan, du wirst es wohl nie in deinen Kopf kriegen« Ich schüttelte benommen den Kopf und bohrte meine Fingerkuppen immer weiter in die Hand hinein; mit mir selbst kämpfend. »Marie wird nie wieder zu dir zurückkehren, sieh es ein« murmelte ich. Nun führte ich schon Selbstgespräche -Großartig. »Pass auf, dass du nicht in die Klapse kommst«

Trotz all dem lag sie nicht neben mir. Mein inneres Auge spielte mir etwas vor. Dieser Gedanke schmerzte. Ich konnte nie wieder mit ihrem Lächeln, das sie mir schenkte, in den Tag starten. Frustriert drückte ich mein Gesicht noch weiter in das Kissen um mich vor jeglichen Schmerz zu schützen. Ich würde es wohl nie wahrhaben wollen. Somit ignorierte ich die Klingel, die von der Tür aus ertönte. Ich wollte keinen Besuch. Ich wollte nur in meinem Selbstmitleid baden und alles um mich herum vergessen, aber selbst das war zu viel verlangt. Was hatte ich denn falsch gemacht?

Es klopfte. Oder nein, es hörte sich vielmehr danach an, als würde jemand unsere - ab jetzt wohl meine - Haustür eintreten wollen.

»Niall. Ich weiss, dass du Zuhause bist, also mach die verdammte Tür auf!«

Einen Teufel werde ich tun. Ich konnte aber nicht verhindern, dass mein Körper sich aus dem Bett schleppte. Schritt für Schritt steuerte ich auf die Tür zu, änderte dann plötzlich die Richtung, um im nächsten Moment vor meiner Stereo-Anlage zu stehen, die ich sogleich einschaltete. »Du kannst dich hier drin nicht ewig verstecken", hallte es durch die Tür. »Irgendwann musst du wohl oder übel daraus kommen und dann ...« Seine nächsten Worte wurden verschluckt, als ich an den Knöpfen des CD-Abspielers herum drehte. Der Bass dröhnte mir entgegen. Der Boden wackelte unter meinen Füssen, die Erschütterung kam einen Erdbeben gleich. Ich konnte also damit rechnen, dass ich nicht unbestraft davon blieb. Immerhin war ich nicht der einzige, der in diesem Betonklotz wohnte. Unter mir belegten noch andere eine Wohnung und diese Räume wurden bestimmt von meiner Musik erfüllte. Aber was solls. Ich machte mir keine Gedanken über morgen, oder kümmerte mich um die Folgen meiner Taten. So wie meine Stereo-Anlage einen Standby-Knopf besass, hatte auch ich einen, deren Bedeutung ich mühelos befolgte.

Meine Kraft gab nach und ich liess mich an der Tür herunter gleiten. Ich zog meine Beine an und stützte den Kopf darauf ab.
Mir war klar, dass Greg nicht so schnell nachlassen würde, so wie er wusste, dass ich meinen Kopf versuchte durchzusetzen. Dafür kannte wir uns zu gut. Immerhin lebten wir 16 Jahre unter einem Dach, bevor One Direction ins Leben gerufen wurde und ich mehr Zeit damit verbrachte Koffer ein- und auszuräumen, anstatt Zuhause zu sein. Irgendwann bemerkte ich, dass es viel einfacher war das aus dem Koffer zu nehmen, was ich brauchte und nicht in die Schränke der Hotels einzusortieren. Aber dieses Kapitel meines Lebens hatte ich nun abgeschlossen.

Wie lange ich so verharrte, wusste ich nicht. Vielleicht nur einige Minuten, oder waren bereits Stunden an uns vorbei gezogen? Als ich beschloss die Musik einem Ende zu setzen. Sie verstarb sogleich, nachdem ich den Standby-Knopf gedrückt hatte. Meine Ohren summten, denn sie waren der plötzlichen Stille ausgesetzt.

»Ich bin für dich da, weisst du? Wenn du jemanden zum Reden brauchst ... ich muss dir nicht erzählen, wie du mich erreichen kannst«

Ich meinte Schritte wahrzunehmen, die von Sekunde zu Sekunde leiser wurden, bis ich sie nicht mehr hörte. Ich fing an zu seufzen.

Irgendwann kam die Sekunde, in der ich, wie von der Tarantel gestochen, aufsprang.

Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich mein Handicap verbesserte. Also hatte ich mir meinen Golfschläger geangelt, den Ball in die richtige Position gebracht und einfach darauf losgeschlagen. Meine ganze Wut verbarg sich hinter diesen Schlägen. Ich achtete gar nicht darauf, wo der Ball landen könnte und ob dieser irgendwelche Möbel oder gar Gegenstände zerstörte. Diese Dinge waren nur materiell, man konnte sie leicht ersetzen. Ich jedoch hatte etwas verloren von besonderer Bedeutung und ich war mir im Klaren, dass kein Geld der Welt ausreichen würde, um dafür zu bezahlen, damit ich sie wohl an meiner Seite fand. Ich konnte nicht begreifen, wie manch andere ihr Handy keine Sekunde aus den Augen verloren, aber ihre Freunde nicht beachten. In was für eine Welt lebten wir eigentlich, dass materielle Gegenstände als wichtiger eingestuft wurde?

Eigentlich beruhigte mich Golf, lenkte mich zum Beispiel ab von den damaligen Stress, der die Welttouren mit sich brachte, aber diesmal schaffte der Sport es nicht mich zur Ruhe zu bewegen.

Ich holte zum nächsten Schlag aus; stand still wie eine Statue, (obwohl ich am liebsten davon laufen würde) drehte den Oberkörper nach rechts, führte den Golfschläger nach hinten und bewegte die Hüfte und die Schultern in die richtige Richtung um den Treffmoment einzuleiten.

Ich verfolgte die Flugbahn des Balls und sah wie dieser die Blumenvase zerstörte, die vor einem Bruchteil der Sekunde noch auf einem Sideboard gestanden hatte. Tausend Risse bildeten sich, das Porzellan gab nach und konnte nicht länger standhalten. Das Wasser nahm seinen Lauf, hinterliess eine Pfütze auf dem Laminat. Im Grunde genommen, erging es mir genauso wie diese Vase. Ich fühlte mich kaputt und eine vollkommene Leere hatte sich in mir ausgebreitet.

Dieses Spiel musste kein Ende gesetzt werden. Ich konnte ewig so weiter meine Einrichtung zerstören. Alles erinnerte mich an sie, (was kein Wunder war, schliesslich hatte Marie so gut wie allein sich darum gekümmert, was die Gestaltung der Penthouse-Wohnung betraf) und diese Tatsache schmerzte.

Es schien endlos.

Dark Paradise [nh]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt