Irgendwann löste ich mich meiner Schockstarre und griff nach meinem Handy. Ich wollte mit jemandem sprechen. Mit jemandem, der mir wirklich zuhörte. Ann.
Meine beste Freundin hatte ich die letzten Wochen auch selten gesehen. Eher hatten wir telefoniert. Es wurde langsam also höchste Zeit, dass wir uns wieder trafen.
Es wählte nicht allzu lange und dann hörte ich ihre Stimme.
"Hey, Alex! Was geeeht?"
Sie hatte gute Laune. Warum auch nicht?
"Hallo, Ann." Meine Stimme hörte sich rau an, verweint. Das hatte ich vorher nicht bemerkt.
Man konnte förmlich durchs Telefon hören, wie ihr Lächeln und die gute Laune in den Keller verschwand.
"Okay, Schnecke. Was ist los?"
"Können wir uns treffen und das so bereden", fragte ich mit trauriger, aber flehender Stimme.
"Ja, klar. Ich hab eh gerade nicht vor. Max ist beim Training."
Max ist ihr Freund und er ist betreibt Kickboxen. Die Zwei sind wie ein Herz und eine Seele, wie Philipp und ich das sind. Oder eher waren.
Bei dem Gedanken an Philipp kamen mir schon wieder die Tränen.
"A-lex-an-dra? Huhu! Bist du noch dran? Antworte mir?" Ach ja, Ann.
"Ja, sorry. War in Gedanken. Was wolltest du jetzt?"
"Ach, Gottchen, bist du durch den Wind! Ich wollte wissen, ob wir uns in einer Viertelstunde im Bella treffen?"
Ich bestätigte und legte dann auf.
Nun hatte ich zehn Minuten, um mich aufzufrischen. Das sollte ich schaffen.
Tatsächlich war ich sogar in neun Minuten soweit startklar. Ich schnappte mir die Autoschlüssel von meinem alten Opel Adam, nahm meine Handtasche und ging dann aus dem Haus.
Den Weg zum Bella kannte ich auswendig. Es war Anns und mein Lieblingscafé. Dort trafen wir uns eigentlich immer. Schon alleine wegen des leckeren Kuchenangebotes.
Eine Minute vor abgesprochener Zeit betrat ich das Café, welches man schon fast als innenarchitektonische Meisterleistung. Es war sowohl lichtdurchflutet als auch so eingerichtet, dass man in aller Ruhe Gespräch führen konnte. Das was kaum einer auf den ersten Blick sah, war, dass in der hinteren Ecke eine Wendeltreppe zu Séparées leitete. Diese hatten extrem bequeme Sitzgelegenheiten, ähnlich einem Sitzsack, aber man konnte dennoch in ordentlicher Manier an einem halbhohen Couchtisch essen. Oder genießen.
Eins dieser Séparées betrat ich gerade. Es war meist frei, da es ganz im Äußeren war. Für die meisten also zu weit. Oft nutzten Ann und ich dieses. Es ist unser Stammplatz.
Ich wartete auch nicht lange, bis Ann ebenfalls das Café betrat. Keine Minute später war sie bei mir und wir begrüßten uns.
"Jetzt erzähl mal, was ist los", fragte Ann neugierig und setzte ihren Hundeblick auf.
"Also ...", begann ich mein Erlebtes zu erzählen. Zwischendurch kam die Bedienung und nahm unsere Bestellung auf. Sie war anscheinend neu, denn die anderen wussten meist schon, was wir wollten.
"Wie? Du bist echt schwanger?" Ich nickte zustimmend, aber wehmütig.
"Oh Himmel! Wie krass! Ich werde Patentante!"
Ann schien begeistert uns stellte den Rest des Erzählten erstmal in den Hintergrund. Ich musste lächeln. Sie ist einfach die beste Freundin, die man haben kann. Auch sie war 23, ich kannte sie allerdings nicht so lange wie Philipp, den ich schon seit der Grundschule kenne. Ich lernte sie erst in der fünften Klasse kennen. Wir besuchten beide das gleiche Gymnasium und schon als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass wir beste Freundinnen werden würden.
Die folgenden zehn Minuten freute Ann sich. Währenddessen versank ich wieder in Gedanken.
Die verschiedensten Fragen stellte ich mir. Allerdings gab es drei Fragen, die mich am meisten beschäftigten, waren:
Was ist mit dem "Wir", von Philipp und mir, passiert?
Warum habe ich so überreagiert und rausgeschmissen?
Wie sieht meine Zukunft aus, wenn er nicht zurückkehrt?
Schließlich bemerkte Ann, dass ich abwesend und niedergeschlagen war. Fragend sah sie mich an.
"Da ist doch noch mehr, oder?"
Und wieder merkte man, wie gut sie mich kannte.
Von dem Rausschmiss hatte ich ihr nämlich noch nichts erzählt. Sie hatte nur von den Streits eine ausführliche Erklärung gehört.
Ich nickte und meinte: "Ich hab ihn rausgeschmissen. Nachdem er das Würmchen, was da", ich zeigte auf meinen Bauch, "mit aller größter Wahrscheinlichkeit drin wächst, als Schreihals bezeichnet hatte."
Ann sah mich mit offenem Mund an.
"Wait... what?! Du hast ihn rausgeschmissen?! Jetzt versteh ich auch, warum du die ganze Zeit so niedergeschlagen bist. Das Kind wäre für dich überhaupt kein Problem!"
Sie hatte ja so recht! Ohne viel zu sagen, verstand sie mich. Sie war, ist und bleibt die Beste.
"Ja, sowas lasse ich mir doch nicht gefallen!"
"Ist schon richtig, Alex."
Sie umarmte mich kurz, dann sprach sie: "Und du weißt, ich bin immer für dich da! Wenn du Hilfe brauchst, gib mir Bescheid!"
"Danke."
"Doch nicht dafür! Ich bitte dich, dass sind Freundschaftsdienste. Die sind selbstverständlich."
Ich nickte grinsend.
"Lass uns das Thema wechseln", schlug ich vor.
Und so quatschten wir eine ganze Weile belangloses Zeug. Irgendwann meldete sich Anns Handy. Max habe Hunger.
"Ich muss dich jetzt leider verlassen, du weißt ja wie Max ist, wenn er hungrig ist."
Ich lachte: "Ja, und wie ich das weiß. Er wird ja quasi zur Diva."
Ann stimmte mit ein, wurde aber schnell wieder ernst.
"Weißt du, Alex. Ich koch eh immer zu viel. Komm doch einfach mit. Max wird's schon verstehen. Achso und ein 'Nein' akzeptiere ich nicht", meinte Ann.
Ich seufzte.
Nahm aber meine Tasche und bezahlte für uns beide - auch wenn sie sich dagegen sträubte.
Der Tag an sich wurde noch ganz angenehm. Am späten Nachmittag brach ich allerdings wieder nach Hause auf. An einer Apotheke hielt ich kurz. Ich wollte dann doch Vergewisserung. Auch wenn ich in zwei Tagen einen Termin bei meiner Frauenärztin habe.
DU LIEST GERADE
In my mind I call you home
Teen FictionAlexandra, kurz Alex genannt, versteht die Welt nicht mehr. Seit zwei Jahren wohnt sie mit ihrem Freund Philipp in einer kleinen Wohnung am Stadtrand. Noch nie haben sie sich so oft gestritten wie in den letzten vier Wochen. Aber dann ist da noch ei...