Kapitel 1 ~ Inmitten von Toten

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Der latente, aber stetig anschwellende, düstere Gesang der völlig in weiß gekleideten Priesterinnen strömte auf die auf dem kühlen, glatten Boden liegende Avery ein und ließen ihre Augenlider schwer werden.

Das flackernde Licht der in einem Zirkel um die vier am Boden liegenden Mädchen angeordneten Kerzen malte Schatten an die Wände aus schroffen Stein die sich zu dem Gesang in einem Tanz zu wiegen schienen. Undeutlich trat Zads rauchige Stimme an Averys Ohr, deren schwarze Locken über dem Stein ausgebreitet lagen und wurde langsam deutlicher sodass sie verstehen konnte was die Weiße sagte.

"...fallt in einen tiefen Schlaf...seht was euch erwartet..oder hinter euch lag." Avery spüre einen schwachen Windhauch an ihren Füßen als Zad sie im Kreis gehend passierte und die Lider, zu schwer um sie länger geöffnet zu halten fielen ihr zu sodass ihre langen Wimpern Schatten auf ihre hohen Wangen warfen. Sie schlief und begann zu träumen....

Das erste was sie bemerkte war ein metallischer Geschmack in ihrem Mund und der aufdringlich unangenehme Geruch von Blut der schwer in der heißen, trockenen Luft lag. Benommen öffnete sie die Augen und blickte in den Himmel, der rot wie eine frische Wunde war. Sie runzelte die blasse Stirn während sie sich mühevoll auf dem Rücken liegend auf die Unterarme stemmte.

Ihr Körper schien so schwer wie Blei zu sein und ihre Sicht verschwamm, wofür sie recht dankbar war, denn der Anblick der sich ihr bot als sich ihre Sicht wieder scharf gestellt hatte ließ sie würgen und erklärte zumindest den Blutgeruch, der die Luft unheilvoll schwängerte.

Die menschlichen Leichen, teils schon ausgeblutet, teils offenbar noch frisch waren grausam zugerichtet, ihnen fehlten Köpfe, die Bäuche waren ihnen auf- und die Kehlen durchgeschnitten worden. Einige Aasgeier labten sich bereits an dem frischen Fleisch und verteidigen ihre Besitzansprüche laut kreischend wie zankendes Weibsvolk.

Übelkeit stieg von dem Geruch und dem Anblick ausgelöst in ihr auf und ließ sie den teils von ledernem Armzeug bedeckten Handrücken auf ihre von der Hitze spröden Lippen drücken. Eine Welle Brechreiz schwappte über sie hinweg, doch sie kämpfte sie nieder und setzte sich auf, wobei ein mit Scharten übersähter Schild von ihrem Oberkörper rutschte und mit der konkaven Innenseite an der die ledernen Armriemen befestigt waren nach oben fiel.

Sie saß zweifellos in den Überresten eines Massakers.

Ein leises Stöhnen kam ihr über die Lippen als sie den Pfeil mit gefiedertem Ende aus ihrem linken Knie ragen sah und spürte jetzt auch den pochenden Schmerz in ihrem Bein. Das Bild ihrer zerschlissenen, dreck- und blutverschmierten Hose passte gut zu dem Anblick ihres ledernen Harnisches, wies aber bis aus ihr Knie auf keine weitere Verletzung hin.

Ein leises Stöhnen kam ihr über die aufgesprungenen Lippen, sie war so durstig als hätte sie seit Tagen nichts getrunken. Was ihr allerdings das größte Unwohlsein bereitete war das Gefühl beobachtet zu werden. Wie ein gehetztes Tier blickte sie nach rechts und links, ergriff beiläufig den Schild, den sie auf die Kante stellte um sich steifbeinig aufzurichten und tastete mit der anderen Hand an ihrem Gürtel nach einer Waffe, nach irgendetwas mit dem sie sich gegen den Beobachter dessen Blicke sich in ihren Rücken zu bohren schienen verteidigen konnte.
Doch alles was sich an ihrem Gürtel befand war eine leere Schwertscheide.

Sie war unbewaffnet, bis auf den Schild schutzlos und eine Flucht kam mit ihrem Bein nicht in Frage. Wer auch immer der Schütze war, er verstand sein Handwerk. Der Pfeil war von oben an ihrer Kniescheibe vorbei durch ihr Bein geschlagen und schaute aus ihrer Kniekehle heraus wie ein widerhakiger Auswuchs.
Blut strömte ihr über Bein und Hose und der Schweiß lief ihr vom Aufstehen in Strömen über den Rücken und das Gesicht. Knirschende Schritte auf dem sandigen Boden ließen sie reflexartig auf einem Bein herumwirbeln und den Schild hochreißen, ihr Atem klang gehetzt.

"Bist du jetzt zufrieden, Göttin des Krieges? Hast du genug gemetzelt? Bist du des Blutes leid?"

Ihr Gegenüber stand mit dem breitschultrigen Rücken zur untergehenden Sonne die den Himmel rot färbte, sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme jagte ihr einen Schauer der Erkenntnis über den Rücken.

"Es sind nur noch wir übrig Reeva, du und ich."Die Schritte näherten sich ihr. "Aber dieses Mal siege ich."

Die Stimme des jungen Mannes hatte einen siegessicheren, herausfordernden Unterton, der sie gereizt und wütend brüllen ließ. Sie spürte die Wut in sich aufsteigen und neue Kraft wie Gift durch ihre Venen schießen.

Kampfbereit erhob sie den eisenbeschlagenen Schild, schob ihren linken Unterarm in die Lederschlingen und verengte die Augen um ihren Widersacher bei dem Licht der Sonne zu erkennen. Ein leises, metallisches Kratzen ertönte als dieser den Stiel seiner Axt mit der Rechten packte, der links neben seinem Hals über seiner Schulter herausragte.

Ein Ruck ging durch den geschmeidigen Körper des Mannes als er einen Schritt auf sie zumachte und seine beidseitig mit Klingen bestückte Streitaxt über den Kopf nach ihr schwang. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihr der Schädel gespalten worden wäre, riss sie den Schild hoch, der den Angriff leicht ablenkte sodass dieser in den Boden einschlug, aber unter der Wucht des Hiebes zerbrach wie morsches Holz.

Sie taumelte humpelnd und leicht betäubt einen Schritt nach hinten, ihr Körper schien durchgeschüttelt zu werden von der Kraft des abgewehrten Hiebes.

Sie war chancenlos, das wusste sie, aber niemals würde sie kampflos aufgeben solange sie noch stehen konnte und beide Arme hatte. Demonstrativ reckte sie das Kinn während der Angreifer seine Streitaxt aus dem Boden zog, sie für den nächsten Angriff über den Kopf schwang und laut knurrte. Das Metall der Klinge blitze im Sonnenlicht auf bevor diese leise pfeifend auf sie herabfuhr.

Ein leises Knacken, gefolgt von einem matschigen Geräusch und dem Klang von spritzendem Blut waren die letzten Laute, die von ihr zu hören waren während ihr Schädel von der Wucht gespalten wurde....dann setzte sich die stillgelegte Erde wieder in Bewegung....

Avery erwachte schweißgebadet und panisch keuchend, ihr Atem hallte durch ihr stockfinsteres, leeres Zimmer. Szenen, komplett aus dem Zusammenhang ihres düsteren Traumes gerissen, geisterten durch ihren Kopf während sie sich zittrig, wie nach einem kräftezehrenden Fieber aufsetzte.

"Es war so real...das Blut, der Gestank, die Hitze...und der Schmerz." Als müsse sie sich davon überzeugen ihr Schädel wäre nicht gespalten hob sie die Hände und fuhr sich durch die schwarzen Locken.

"Das habe ich nur geträumt...das war nicht real, kein Stück." Sie schwang die Beine leise raschelnden über die Kante ihres Bettes, tastete über ihren Nachttisch und hob den mit Wasser gefüllten Tonbecher an die Lippen um ihre ausgedörrte Kehle zu befeuchten. Bei dem Gedanken an die Kadaver aus ihrem Traum wurde ihr übel und sie fürchtete sich zu übergeben.

"Ist das meine Zukunft? Erwartet mich das, wenn ich erwählt werde?", schoss es ihr durch den Kopf.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 09, 2021 ⏰

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