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Ich ließ meine Beine über das schmale Geländer unserer Terrasse baumeln und genoss die mäßige Wärme der untergehenden Sonne auf meinem Gesicht. Ich reckte den Kopf vor, streckte die Hand aus. Es sah so aus, als könne ich die Sonne berühren, wenn ich mich nur ein wenig mehr streckte. Die Strahlen kitzelten mich an der Nase, dann erst zuckte ich zurück.

"Luca?" ich sah meinen Bruder neben mir nicht an, sondern betrachtete weiter unser kleines Dorf, das einen matten blassorangen Schimmer annahm.

"Ja?" Lucas Augen musterten mein Gesicht, er wusste, irgendwas beschäftigte mich. Er spürte so etwas. Oder so kam es mir zumindest vor.
"Hast du schon mal über den Tod nachgedacht?"
Er zuckte leicht zurück: "Wie kommst du jetzt darauf?"
Als ich mich zu ihm wandte, wich er ungeschickt meinem Blick aus und tat so als müsste er den kalten Steinboden nach unzähligen, nicht vorhandenen, Käfern absuchen.
"Ich weiß nicht"

Er lachte gekünstelt, aber dann machte er dem Sarkasmus Platz: "Na wahrscheinlich ist das ein lächerlicher Traum und wir schlafen alle" er gestikultierte wild mit den Armen, senkte dann den Kopf, "Und wenn wir sterben, dann wachen wir auf."

Mein Blick ruhte auf ihm, aber ich sagte nichts. Und er blieb auch stumm. Ich öffnete meinen Mund, aber ich bekam nichts heraus. Stattdessen stand er schließlich zerstreut auf und ging zurück in die Wohnung.
Ganz toll Tamara! Echt!
Warum musste ich auch soetwas fragen?

Aber ich wollte es wissen. Wirklich. Die Frage war schon lange in meinem Kopf gewesen, doch erst jetzt hatte ich sie ausgesprochen.
Ein Fehler, wurde es mir schmerzlich bewusst. Seufzend stehe ich auf und streife nicht vorher den Schmutz von meiner Hose.

Es war gerade Anfang Herbst und es wurde immer kälter draußen, weshalb ich gezwungen war, wieder lange Klamotten zu tragen. Ich sehe nochmal hoch in den Himmel und für einen Augenblick sah die Wolke dort merkwürdig aus. Richtig unscharf und irgendwie... verpixelt? Irgendwie, wie ein Grafikfehler in einem Videospiel.
Ich schüttelte schnell den Kopf, das musste ich mir eingebildet haben, das kann nicht echt gewesen sein. Das wäre ja total absurd. Vielleicht brauche ich einfach eine Brille oder so.

Ich drehte mich um und ging wieder hinein in mein Zimmer. Ich muss immer wieder an Luca denken und wie nervös er war, als ich ihn nach dem Tod gefragt hatte. Komisch. Ich hatte schon oft über ihn nachgedacht und wurde weder nervös, noch fühlte mich unwohl.

Könnte sein, dass es an dem Tod unserer Eltern lag, sie waren aber schon vor Jahren gestorben. Drei, um genau zu sein. Ich war damals 13 und Luca 15. Damals hatte ich begonnen über den Tod nachzudenken. Hatte mir viele mögliche Situationen ausgedacht, aber sowas, wie aus einem Traum aufzuwachen, ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Es scheint mir auch ziemlich lächerlich, ich meine, wie sollte das alles ein Traum sein? So funktioniert das menschliche Gehirn nicht, wir können uns keine Sachen ausmalen, die es nicht gibt. Wir können es zwar versuchen, aber werden es trotzdem nicht schaffen, da wir immer wieder an irgendetwas denken, was es bereits gibt. Das hat mir mein bester Freund Ayaz vor vielen Jahren mal erklärt. Zu dieser Zeit hatte ich es noch nicht verstanden und hatte ihn einen Idioten genannt, weil er so einen Schwachsinn redete.
Ich träumte doch auch von Einhörnern und Trollen und die gab es auch nicht. Doch jetzt, wo ich so darüber nachdachte, merke ich, dass ich schon Bilder von Einhörnern gesehen hatte, bevor ich von ihnen geträumt habe. Also hatte mein Gehirn sie sich gar nicht ausgemalt, sondern ich hatte mich nur daran erinnert, wie ich das Bild gesehen hatte.

Also ist das ganze mit dem Traum einfach nur Mist. Das geht nicht. Es war nicht möglich und doch lag ich hier in meinem Bett und dachte angestrengt darüber nach. Warum machte ich mir so viele Gedanken darüber?

Das machte keinen Sinn und das würde Ayaz mir auch sagen, wenn er hier wäre, aber das war er leider nicht. Er war bei sich Zuhause und trainierte wahrscheinlich. Er trainierte gerne und oft, er hatte mir auch ein paar Sachen beigebracht, ein paar Grundlagen, damit ich mich verteidigen konnte, falls jemand bei uns einbrach, was auch gar nicht so unwahrscheinlich war. Es war schon mal passiert und es wird sicher nochmal passieren.
Ayaz hatte mir schon angeboten bei ihm zu wohnen, in seiner Villa. Doch ich lehnte ab, denn er hatte nicht angeboten, Luca aufzunehmen und ich wollte ihn nicht alleine lassen.

Also versteht mich jetzt nicht falsch, Ayaz ist echt nett und ein super Freund, aber er und mein Bruder kommen nicht so gut klar und Luca ist mir wirklich wichtig, mehr als alles andere, auch Ayaz, obwohl ich ihn schon kenne, seit wir beide in den Kindergarten gegangen sind. Aber es ist einfach etwas anderes, ob man befreundet oder verwandt war.
Seufzend drehte ich mich zu meinem Lichtschalter und schaltete das Licht aus. Es war schon spät und ich musste morgen früh aufstehen.

"Gute Nacht Ayaz", flüsterte ich zu mir selbst und fiel in einen kurzen, ruhelosen Schlaf.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 09, 2017 ⏰

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