„Kommst du, Sienna?“Ein letztes Mal blicke ich in mein leer geräumtes Zimmer, fahre mit den Fingerspitzen über die kahlen Wände und Blicke durch die verstaubten Fenster in unseren verwilderten Garten. Dass hier, unser kleines Häuschen südlich von London, ist – oder besser gesagt war – mein Zuhause, mein Zufluchtsort, ein Stück Erinnerung für mich.
„Sienna, Liebes! Wir fahren!“, ruft Tom, der Freund meiner Mutter.
Ich hasse es, wenn er mich Liebes nennt. Ich hasse diesen Mann. Wegen ihm ziehen wir nun in eine teure Wohnung in der Londoner Innenstadt, angeblich, weil er von dort besser zu seiner Arbeitsstelle kommt. Meiner Meinung nach will dieser Schnösel bloß wegziehen, weil er unser Haus zu alt, zu dreckig und zu klein findet. Dabei ist das hier das einzige, was mein verstorbener Vater uns hinterlassen hat. Ich liebe meine Mutter, aber ich werde ihr nie verzeihen können, dass sie sich bereit erklärt hat, umzuziehen.
Langsam schleiche ich die Treppen hinab. Ich will nicht weg. Tom steht an der Tür und lächelt mich an. Ich werfe ihm einen eisigen Blick zu und gehe an ihm vorbei zum Auto. Meine Mutter, sitzt schon im Wagen und wirft Tom durch die Scheibe einen entschuldigenden Blick zu. Jetzt bloß nicht umdrehen, ermahne ich mich in Gedanken. Wenn ich unser Haus noch einmal ansehe, fange ich definitiv an zu weinen und das vor Tom! Die Blöße werde ich mir nicht geben. Ich steige geräuschvoll ins Auto und schlage die Tür zu. Ich versuche, den Kloß in meinem Hals zu ignorieren, und beiße mir auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen. Tom nimmt neben meiner Mutter Platz und dreht sich zu mir um. „Hey, freust du dich denn nicht? Du bekommst ein größeres Zimmer und ganz neue Möbel!“
Langsam bezweifle ich, dass Tom zu etwas anderem in der Lage ist, als über Geld nachzudenken. Er kapiert nicht, was dieses Haus für mich bedeutet. Ich ignoriere ihn. Drehe mich zum Fenster und lehne meinen Kopf dagegen. Schließe die Augen. Wahrscheinlich guckt meine Mutter mich gerade vorwurfsvoll an. Sie will, dass ich nett zu Tom bin, aber das werde ich nicht sein, niemals. Der Motor wird gestartet und ich kneife die Augen fester zu. Ich will hier nicht weg. Nicht in die Großstadt, nicht auf eine neue Schule und in eine neue Wohnung. Das einzige, was ich nicht vermissen werde, sind meine Freunde. Das liegt daran, dass ich hier nie welche hatte. Ich bin nicht gut im Freunde finden. In der Schule, auf die ich bis vor kurzem noch ging gab es viele, die nett zu mir waren, aber ich wollte mich an keinen von ihnen binden. Sie waren freundlich, aber trotzdem wollte ich ihnen nicht vertrauen. Es gibt hier niemanden, den ich habe außer meiner Mutter und meinem Haus. Ich hatte bisher auch nie ein Problem damit. Doch nun habe ich das Gefühl, dass ich daran bin, beide zu verlieren.
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Verano
RomanceIch heiße Sienna Adams, bin sechzehn Jahre alt, und soeben wurde mein Leben vollkommen auf den Kopf gestellt. Als meine Mom beschloss, nach London zu ziehen, ahnte ich noch nicht, was mich hier erwarten würde. Und dass ich einen Jungen wie Tyler Ben...