Kapitel 2

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Geschockt blickte Joyce ihr Gegenüber an.

Blasse Haut. Dunkle Augenringe. Farbenlose Lippen. Ungepflegtes Haar. An einzelnen Stellen konnte man blaue Flecken erkennen und ihr halber Kopf war mit einem weissen Band eingebunden. Sie war auch ziemlich mager. Alles in einem: einfach nur schrecklich! Sie hatte mit vielem gerechnet, aber, dass sie so schlimm zugerichtet war, hatte sie nicht gedacht.

Sie stützte sich am Waschbecken ab, um noch näher an den Spiegel zu gelangen. Ihr fiel auf, dass sie dieselbe Augenfarbe wie Dad hatte. Sie hatten ein warmes braun. Ihr Haar war ebenfalls braun und reichte ihr über die Schultern.

Das erste Mal hatte sie sich nach dem Unfall nun betrachtet. Als hässlich würde sie sich nicht bezeichnen, aber eine Schönheit, fand sie, war sie auch nicht. 

Sie wendete ihren Blick wieder ab und nahm ihre Gehhilfe zur Hand. Ohne die konnte sie nur schon wegen dem gebrochenen Bein nicht laufen. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass nach zwei Wochen ein Gehstock ausreichen sollte.

Nur sehr langsam kam sie voran. Als sie es endlich aus dem Klo geschafft hatte, das sich gleich in ihrem Zimmer befand, sah sie, dass eine Krankenschwester gerade ihr Bett machte. 

Joyce war vor etwa einer halben Stunde aufgestanden. Das Frühstück war aber noch nicht gekommen und langsam machte sich ihr Bauch, durch lautes knurren, bemerkbar. Die Krankenschwester musste leicht schmunzeln, als sie die Geräusche von Joyce's Bauch wahrnahm. 

"Das Frühstück kommt gleicht!", kündigte sie daraufhin an und verschwand, wie jeden Morgen, aus ihrem Zimmer. 

Seufzend setzte sich Joyce auf ihr Bett. 

Wie Dad es bereits angekündigt hatte, würden heute ihre beiden Freunde sie besuchen kommen. Dies machte sie ziemlich nervös. Sie wusste, dass sie sie nicht wiedererkennen würde. Wie denn auch? Sie hatte ja nicht einmal ihren eigenen Vater erkennen können!

Dad hatte ebenfalls gesagt, dass ein paar ihrer Verwandten auch kommen würden. Das gäbe ein volles Haus! Doch auch vor dem Treffen mit ihren Verwandten fürchtete sie sich. Vor allem fand sie es nicht korrekt von Dad, niemandem von ihrem Verlust erzählt zu haben. Sie müsste es schlussendlich selbst machen, da war sie sich sicher.

Auch Dad hatte sie in diesen wenigen Tagen wieder besser kennengelernt. 

Er war ein liebevoller Mensch, der sich aber durch alle Hürden hindurch schleichen konnte. Immer wenn es brenzlig wurde, weichte er geschickt aus und konnte somit die ganzen Probleme auf andere schieben. Das war eine Sache, die sie an ihm überhaupt nicht leiden konnte.

"Mrs. Winston? Ihr Frühstück ist da!" Joyce zuckte zusammen und blickte zur Tür, wo der Kopf einer lächelnden Krankenschwester durch den Türspalt herein lugte. Als diese erkannte, dass Joyce sie bemerkt hatte, stiess sie die Tür ganz auf. Sie schob, rückwärtsgehend, ein kleiner Wagen, der vollbeladen mit Essen war, hinein. Vor Joyce, die immer noch am Bettrand sass, stellte sie ihn dann ganz ab und wandte sich zum gehen.

"Wie spät ist es?", fragte Joyce sie noch, worauf die Krankenschwester ihr mitteilte, dass es bereits halb neun war. Joyce hielt der Atem an. In nicht einmal einer Stunde würden sie kommen. 

Sie verdrängte diese beunruhigende Tatsache und widmete sich ihrem Frühstück. Es war zwar nicht gerade schmackhaft, aber es war trotz allem noch besser als gar nichts. Bevor sie jedoch richtig loslegen konnte, musste sie irgendwelche Tabletten schlucken. Schmerzmittel, hatte der Arzt erklärt.

Nachdem sie das Meiste verschlungen hatte, musste sie sich kurz hinlegen. Die kleinsten Bewegungen waren bereits anstrengend genug, um sie ausser Atem sein zu lassen.

Der Weg der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt