7. Blutrot

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Nach einiger Zeit öffnete ich die Türe der Mädchentoilette und machte mich auf den Weg nach draußen.  Die Flure  waren fast komplett leer, aber das störte mich natürlich nicht im geringsten. Das Letze was ich jetzt gebrauchen konnte waren weitere Schüler, die diese Gelegeheit nutzen würden, ihre zahlreichen Gemeinheiten loszuwerden.

Auf Höhe des Sekretariats hörte ich mehrere Stimmen. Eine gehörte der stets gestresst wirkenden Sekretärin Mrs. Salters und die Zweite einem Mädchen ungefähr in meinem Alter, die ich allerdings noch nie gesehen hatte, aber das war keine große Überraschung. Ich war schon froh wenn ich wusste wer überhaupt mit mir in einem Kurs war und wer nicht. (Trotzdem war es ein wenig seltsam, dass sie mir bisher nicht aufgefallen war, denn ihre Haare waren blutrot.) Mrs. Salters hatte kurze, braune Haare und trug ihre Brille immer viel zu weit vorne auf ihrer Nasenspitze und wenn sie einmal nicht ganz so viel zu tun hatte, konnte man mit ihr auch sehr gute Gespräche führen. Allerdings ist das eben eher selten und trotzdem hatte ich immer das Gefühl, sie wäre die einzige Person, die mich hier mochte und mit der ich freiwillig reden würde.
Das Mädchen stand mit dem Rücken zu mir, ihre glatten Haare fielen wie ein Wasserfall aus Blut so geschmeidig über ihren Rücken, wie ich es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Sie reichten ihr bis zur unteren Hälfte ihres zierlich gebauten Rückens. Sie trug einen schwarzen Pullover mit U-Boot-Ausschnitt, der an der Rückseite mit feinen Bändchen zusammengehalten wurde und die Schultern zur Hälfte frei ließ. Dazu einen leicht blauen Faltenrock und schwarze Lederschuhe mit leichtem Plateauabsatz. Ich fragte mich, wie zur Hölle sie es bei der Kälte so aushalten konnte.. Abgesehen davon versuchte sie verzweifelt der Sekretärin zu erklären, dass sie Biologie statt Chemie belegen wollte und dafür ein Formular benötigte, um sich ab- bzw. anzumelden, wurde jedoch dem Anschein nach ignoriert.

Ich erreichte die Tür und setzte mich draußen auf eine Bank in der Nähe der Bushaltestelle. Der Schnee glitzerte im Sonnenlicht und ein leichter Windzug bewegte die letzten verbliebenen Blätter an den Bäumen.
Es würde eine Weile dauern bis der nächste Bus fährt, also zog ich vorsichtig mein Buch aus der Tasche und begann zu lesen. Sofort flüchtete ich in eine andere Welt, in der es viel friedlicher und heldenhafter zu sein schien als in dieser der buchstäblich kalten Realität.

Eine Stimme holte mich zurück in die Wirklichkeit. "Hey, ich will nicht stören, aber der Bus ist da und ich wollte fragen, ob du auf den gewartet hast, nicht dass du ihn verpasst." Die Stimme gehörte dem Mädchen, das vorher im Sekretariat war und mich nun höflich anlächelte. Sie hatte sich einen leicht lachsfarbenen, knielangen Mantel übergezogen und ein schwarz-weiß karierter Schal fiel ihr um die Schultern.
"Oh, dankeschön! Das habe ich gar nicht mitbekommen.. Ich bin wohl heute etwas zu sehr in Gedanken versunken.." Ich konnte förmlich spüren, wie das Blut in meine Wangen schoss. Es kam mir vor als, läge auf mir ein ein Fluch, der besagt, dass ich mich in Gegenwart anderer Personen zwangsläufig peinlich benehmen musste.
Das Mädchen lächelte wieder während wir schweigend in den Bus stiegen. Doch die Stille hielt nicht lange..
"Das scheint ein sehr spannendes Buch zu sein, verrätst du mir den Titel?"
Wiederwillig antwortete ich und versuchte dabei darauf zu achten, dass ich nicht so klang als würde ich mich weiter unterhalten wollen. "Es ist mein Lieblingsbuch, aber ich denke nicht dass du das kennst und du findest es vermutlich sowieso langweilig.."  Als ich den Gang entlang ging spürte ich wie meine Augen wieder feucht wurden bei dem Gedanken an Catherine und ihre Clique und setzte mich auf meinen gewohnten Platz am Fenster. Nicht weinen. Bloß nicht weinen. Das Mädchen steuerte den Platz neben mir an. Oh nein.. Ich wollte doch einfach nur meine Ruhe..

"Woher willst du das denn wissen? Und wie kann es langweilig sein wenn du so tief darin versunken bist, dass du den Bus nicht bemerkt hast, der vor deiner Nase gehalten hat und du noch dazu sagst, dass es dein Lieblingsbuch ist?"
"Ach keine Ahnung..."
Sie beobachtete mich eine Weile und begann dann erneut zu reden.
"Okay, verstehe, du wirst mir das nicht verraten, aber sagst du mir wenigstens wie du heißt?"
Nach kurzem Zögern sagte ich leise: "Amelia.. Und du? Bist du in einem meiner Parallelkurse? Es tut mir leid ich hab nie so richtig auf andere Schüler geachtet..."  Meine Wangen erröteten immer mehr.. Oh Gott ist das peinlich, sie muss denken ich bin komplett verrückt.. Wahrscheinlich freute sie sich gerade in mir ein Gesprächsthema für die nächste Woche  gefunden zu haben, denn ich war mir sicher, dass sie meine geröteten Augen längst bemerkt hatte. Doch aus irgendeinem Grund sagte sie dazu noch kein Wort. Ich war ihr jedoch mehr als dankbar dafür.
"Ist nicht so schlimm, du hättest mich trotzdem nicht erkannt, ich bin neu hier", lachte sie. "Ich heiße Althea, aber eigentlich nennen mich alle nur Thea"
Wieder lächelte sie und diesmal versuchte sie noch mehr zu strahlen, als gäbe es nichts schöneres als in einem Schulbus banale Gespräche zu führen. Ich verstand die Menschen einfach nicht.. Das einzige Positive an der Situation gerade war die Aussicht darauf, dass ich bald wieder allein in meinem Zimmer sitzen durfte.
Thea erzählte mir dass sie hierhergezogen war, nachdem ihre Mom hier die Chance bekommen hatte einen Pflanzen- und Kräuterladen zu eröffnen. Außerdem wohnte sie ebenfalls am Ortsrand allerdings etwas weiter südlich. Dass ich ihr nicht mehr wirklich antwortete schien sie nicht weiter zu stören und ich war froh als wir endlich an meiner Bushaltestelle hielten.
"Bye, vielleicht sehen wir uns ja wieder und irgendwann krieg ich den Buchtitel schon noch raus!"  sagte das ungewöhnliche Mädchen, während ich aufstand , um auszusteigen. Ihre großen, blaugrauen Augen strahlten eine Lebensfreude aus, wie ich es noch nie gesehen hatte und erst jetzt fiel mir auf, dass ihre Augen aussahen als wären es winzige Kristalle, die die Iris bildeten. Möglicherweise waren es ja Kontaktlinsen? Irritiert erwiderte ich: "Mhm, ja vielleicht..". Ich wollte nur noch meine Ruhe und war froh als ich die Straße entlang lief, die nach Hause führte und den Bus nicht mehr sehen konnte. Wieso merkten die Leute denn nicht, dass ich einfach meine Ruhe haben möchte? Ich meine sie scheint ja ganz nett zu sein, aber im Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einfach auszuwandern in eine ferne Galaxie, in der ich mich nicht ständig fragen muss, ob ich mich gerade peinlich verhalte oder ähnliches..
Doch irgendwie hatte sie es geschafft immer wieder in meinen Gedanken aufzutauchen. Sie schien so ganz anders als der Rest der Schüler.. und irgendwie hoffte ich, sie wirklich bald wiederzusehen, auch wenn ich mir das nicht voll eingestehen wollte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 04, 2022 ⏰

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