Ich betrat das Tanzstudio und legte meine Tasche auf der Bank am Rand ab, dann tauschte ich meine Chucks gegen meine Tanzschuhe. Es war unsere erste Probe nach dem Casting und ich war ein bisschen früher da als die anderen der Gruppe, um die Choreografie noch einmal für mich durchzugehen. Ich schaltete die Musik an und trat in die Mitte des Saals mit Blick auf die große Spiegelwand. Ich zählte mich in Gedanken ein und begann zu tanzen. Zwar fehlte der Tanzpartner, um alle Figuren zu tanzen, aber diese Einzelprobe galt ja nur dafür, um mich abzusichern, dass auch alles auf das Lied passte.
Ein langsames, spöttisches Klatschen riss mich aus den letzten Takten des Liedes und ich blieb stehen. „Wow, das war beeindruckend." Ich drehte mich zu der sarkastischen Stimme um und erstarrte. Was machte der denn hier? Tyler, offizieller Bad Boy unserer Schule, lehnte gelangweilt neben der Bank an der Wand und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Was willst du hier, Tyler?", fragte ich genervt. Doch ehe er antworten konnte, betrat die Leiterin des Tanzstudios den Raum. „Charlotte, wie schön, dass du schon da bist. Das ist Tyler, er ist ab heute Teil deiner Gruppe." Ich wollte gerade protestieren, dass die Gruppe bereits voll war, als sie weiter redete. „Heute Morgen hat Michael angerufen und leider abgesagt, er hat sich den Fuß gebrochen bei seinem Fußballspiel am Wochenende. Tyler kann also seinen freien Platz übernehmen. Ich wünsche euch viel Spaß beim Üben." Sie verließ fröhlich winkend den Raum und ließ mich fassungslos mit einem grinsenden Tyler zurück.
Ich wandte mich von ihm ab und trat zurück in die Mitte des Saals. „Kannst du überhaupt tanzen?", fragte ich dann. Es hatte schließlich nicht umsonst ein Casting gegeben, um in die Gruppe zu kommen. Er zuckte gelangweilt mit den Schultern und gab keine Antwort. „Bist du beim Tanzen etwa auch so ehrgeizig wie in der Schule?", fragte er nur. Ich hob leicht eine Augenbraue. Ich war wirklich erstaunt, dass er wusste, dass wir auf dieselbe Schule gingen. Sogar in ein und dieselbe Klasse, wenn man es genau nahm. „Ja, bin ich. Das Tanzen ist mir wichtig, vor allem dieser Wettbewerb, an dem wir hier teilnehmen wollen. Also versau es nicht." Er nickte nur langsam.
Nach und nach trudelte der Rest unserer Gruppe ein und wir konnten das Training beginnen. Zuerst ließ ich die Gruppe noch einzeln tanzen und brachte ihnen einzelne Schrittfolgen bei. Die Paare würde ich beim nächsten Mal erst einteilen. Ich musste zugeben, dass die meisten sich sogar ziemlich gut anstellten, logisch, sie waren ja beim Casting auch ausgewählt worden. Allerdings waren fast alle noch auf einem ziemlich niedrigen Niveau, nur waren das eben die Besten gewesen. Ich seufzte leise, was zum Glück in der Musik unterging und beobachtete die gemischte Gruppe, die noch einmal die bisher gelernten Tanzschritte am Stück und zur Musik durchging. Dann klatschte ich kurz zweimal laut in die Hände und schaltete den CD-Player aus. „So, das war's für heute. Übt bitte die Schritte bis zur nächsten Stunde und macht euch Gedanken über euren Tanzpartner. Wir teilen das nächste Mal die Paare ein", rief ich in den Raum und blieb noch eine Weile bei der Spiegelwand stehen bis das Chaos an der Bank sich aufgelöst hatte und fast alle gegangen waren.Als ich mich allein wähnte, ließ ich mich auf dem Boden neben meiner Tasche nieder und griff nach meiner Wasserflasche. Bis auf Tyler schienen alle wenigstens motiviert zu sein, das Beste aus sich herauszuholen, aber bis wir es auf Wettbewerbsniveau schafften, lag noch viel Arbeit vor uns. Und vor allem musste ich Ersatz für Michael finden, Tyler konnte auf gar keinen Fall in der Gruppe bleiben. Ich hatte keinen in der Gruppe, der sich so dämlich anstellte wie er. Seine Einstellung war absolut nicht zu gebrauchen und ich fragte mich ernsthaft, was Mrs. Summers dazu gebracht hatte, ihn als Ersatz in diese Gruppe zu stecken. Ich stellte die Flasche beiseite und fuhr mir mit geschlossenen Augen über die Haare bis zum Ende meines Pferdeschwanzes. „So fertig nach dem bisschen tanzen?" Ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen, als ich Tylers spöttische Stimme neben mir hörte. Ich öffnete schließlich die Augen und sah zu ihm hoch. „Was machst du denn noch hier? Hast du nichts Besseres zu tun? Tanzen üben zum Beispiel? Du warst wirklich schlecht. Der Schlechteste in der Gruppe. Warum bist du überhaupt hier?", bombardierte ich ihn mit Fragen und der Wahrheit, während ich aufstand und mich auf die Bank setzte, um meine Schuhe zu wechseln. Ich packte die Tanzschuhe in meine Tasche und sah Tyler abwartend an. „Hat es dir jetzt etwa die Sprache verschlagen? Ich hätte nicht gedacht, dass jemand Tyler Campbell jemals zum Schweigen bringen könnte. Gibt's dafür einen Preis?", fragte ich spitz und stolzierte an ihm vorbei auf den Gang. Einen Moment war es still, dann erklangen schnelle Schritte und Tyler erschien neben mir. „So lustig kenn ich dich ja gar nicht, Char. Hast du heute Morgen einen Clown gefrühstückt?" Erneut verdrehte ich die Augen und blieb dann stehen. „Der war lahm. Denk dir was Besseres aus. Und wenn du jetzt nichts Wichtiges mehr von mir willst, dann verzieh dich bitte und lern tanzen bevor ich dich doch noch aus der Gruppe schmeiße." Als er schwieg, nickte ich. „Dann wäre das also geklärt. Und eins noch: Hör endlich auf, mich Char zu nennen."
Ich machte mich auf den Weg nach draußen. Innerlich war ich wirklich stolz auf mich. In der Schule war ich ziemlich zurückhaltend und schüchtern, aber das Tanzstudio war mein Revier. Da hatte ich das Sagen, zumindest manchmal, wenn meine Kurse liefen. Aber dort fühlte ich mich wohl und sehr viel selbstsicherer als in der Schule. Den lahmen Witzen und den fehlenden Worten nach zu urteilen, hatte Tyler damit definitiv nicht gerechnet. Ich musste unwillkürlich grinsen, so sehr freute mich sein sprachloser Gesichtsausdruck von vorhin. Ich wartete an der Bushaltestelle beinahe ein wenig ungeduldig auf den Bus, der mich bis fast vor die Haustür fahren würde, was nicht schwer war, wenn man mitten in der Innenstadt wohnte. Theoretisch hätte ich auch Laufen können, denn genau genommen brauchte ich mit dem Bus sogar länger, aber das war so eine Eigenart. Ich fuhr gern mit dem Bus durch die halbe Stadt, da konnte ich einfach abschalten und musste keine Gedanken an die Schule verschwenden. Nur heute ging die Fahrt für meinen Geschmack viel zu schnell vorbei und ich stieg an meiner Haltestelle aus. Nur zwei Häuser weiter betrat ich schließlich die kleine Erdgeschosswohnung, die ich mit meiner Tante Claire bewohnte.
„Charlotte, wie war deine erste Probenstunde?", fragte Claire sofort überschwänglich und trat lächelnd aus der Küche in den Flur, um mich zu umarmen. Seit dem Tod meiner Eltern vorzehn Jahren war sie für mich wie eine Mutter. Auch wenn sie selbst nie Kinder oder einen Mann gehabt hatte, machte sie ihren Job richtig gut. „Ganz in Ordnung", murmelte ich wenig begeistert in die kurze Umarmung. „Der Wettbewerb ist in ein paar Wochen und wir werden nur zweimal die Woche trainieren. Ich weiß nicht, ob wir das schaffen. Und wenn wir diesen verdammten Wettbewerb nicht gewinnen, muss Mrs. Summers schließen und ich verlier meinen Nebenjob. Dann krieg ich das Geld für das College nie zusammen." Claire sah mich aufmunternd an. „Mach dir keinen Kopf. Du bist eine gute Tänzerin und eine gute Lehrerin, du kriegst das schon hin." Ich schnaubte wenig begeistert und begann meiner Tante von Tyler zu erzählen, während wir uns gemeinsam in der Küche an den Tisch setzten und darauf warteten, dass das Essen warm wurde. „Der Tyler Campbell, in den du seit Jahren verliebt bist?", fragte meine Tante aufgeregt und ich konnte nicht verhindern, dass ich leicht rot wurde. „Claire, das ist schon längst verjährt, damals war er neu in der Klasse und jedes Mädchen fand ihn toll. Eigentlich ist er ein richtiger Idiot und er kann absolut nicht tanzen. Ich weiß nicht, was Mrs. Summers sich dabei gedacht hat", wechselte ich schnell das Thema. Claire stellte das Essen auf den Tisch und wir begannen zu essen.
„Vielleicht solltest du ihm Einzelstunden geben", schlug Claire dann vor und ich verschluckte mich an meinem Essen. „Bitte was?", fragte ich fassungslos, nachdem ich etwas getrunken hatte und nicht mehr hustete. „Einzelstunden", wiederholte meine Tante. „Du weißt schon... Einzelstunden eben." Sie grinste amüsiert über meinen Gesichtsausdruck. „Niemals."Damit war für mich das Thema vorerst beendet. Nachdem Essen half ich meiner Tante noch schnell in der Küche und setzte mich dann an meine Hausaufgaben. Meistens dauerte das bis spät in die Nacht, weil ich nach der Schule die meiste Zeit im Tanzstudio verbrachte.
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Bad Boy on the Dancefloor
Short StoryIn der Schule mag Charlotte ja eine Streberin sein, aber das Tanzen bedeutet ihr alles. Auch der Wettkampf, der nun ansteht, hat bei ihr oberste Priorität. Als sie jedoch sieht, wer in ihrer Gruppe sein wird, zweifelt sie, dass ihr Traum Wirklichkei...