Teil 2

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Am nächsten Morgen hatte ich zum ersten Mal seit langem keine Lust, in die Schule zu gehen. Vielmehr war ich nicht gerade scharf drauf, Tyler über den Weg zu laufen, denn die Schulflure gehörten definitiv ihm und seiner Möchtegern-Gang. Und nicht zu vergessen, den ganzen hirnlosen Hungerhaken, die sich auf den Fluren wie auf dem Laufsteg fühlten und Tyler permanent anhimmelten. Meine Tante war wie so oft schon in der Klinik, wenn ich zur Schule ging. Ich verzichtete auf ein Frühstück und schnappte mir nur einen Apfel, den ich auf dem Weg zum Bus aß.

Ich bahnte mir meinen Weg durch sämtliche Cliquen vor der Schule und in den Fluren bis ich mich endlich im Klassenzimmer auf einen Platz am Fenster fallen ließ. Ich war meistens eine der ersten, aber das störte mich schon lange nicht mehr. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ich keiner einzigen Clique hier angehörte. Ich war eben ein Einzelgänger und die Schule war ja ohnehin nicht mein Gebiet. Ich schrieb nur meine guten Noten, um im nächsten Jahr vielleicht ein Collegestipendium zu bekommen. Ansonsten verbrachte ich hier nicht mehr Zeit als notwendig war.

„Hey, die kleine Streberin ist schon wieder als erste da. Den Preis für den pünktlichsten Streber räumst du bestimmt ab. Ach halt, den gibt's ja gar nicht." Die Stimme von Tylers bestem Freund Kyle triefte nur so vor Spott und die umstehenden Laufsteg-Hungerhaken lachten. Es klang so künstlich, dass sogar das Lachen in einer Sitcom sich besser anhörte, aber ich schwieg einfach nur. Es war dasselbe wie fast jeden Morgen und im Laufe der Zeit stumpfte man ab. Nur Tyler beteiligte sich heute nicht mit einem Wort an den Sticheleien. Als der Lehrer das Klassenzimmer betrat und ich einen kurzen Blick in seine Richtung riskierte, hob er den Kopf und sah mich aus seinen dunkelgrünen Augen an. Diese Augen waren unglaublich schön und wie dafür geschaffen, jedes Mädchen in ihren Bann zu ziehen. Jedes Mädchen nur mich nicht, auch wenn mich das in diesem Moment einige Mühe kostete. Ich wandte rasch meinen Blick ab und konzentrierte mich auf diese und die folgenden Unterrichtsstunden. Das Fazit des Schultages: Tyler war und blieb ein Idiot. Genauso wie der Rest seiner Freunde. Aber ich musste sie ja nur noch für den Rest des Schuljahres ertragen. Und das waren zu meinem Glück nur noch ein paar Wochen. Der Wettbewerb der Tanzschulen fiel allerdings genau auf denselben Tag wie der Abschlussball. Meine Priorität in diesem Fall lag ganz klar auf dem Wettbewerb, auch wenn der schon am Vormittag beginnen würde.

Ich machte mich nach der Schule direkt wieder auf den Weg in die Tanzschule, diesmal jedoch ohne meine Tanzschuhe, heute war ja kein Training. Ich wollte nur selbst ein wenig üben und vielleicht einspringen, sollte jemand fehlen. Ich stieg vor der Tanzschule mit ein paar anderen aus dem Bus und betrat das Studio. Ich begrüßte Mrs. Summers, der ich im Flur über den Weg lief, und ging hinunter in den Raum im Untergeschoss, den kaum jemand benutzte, weil er der kleinste war. Aber für mich alleine reichte er völlig aus. Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und befestigte meinen alten iPod an meinem Oberarm, da störte er am wenigsten. Dann begann ich mit der Schrittfolge für den Wettbewerb. Ich hatte auf dem Weg hierher beschlossen, noch die ein oder andere Kleinigkeit zu ändern, um es den Teilnehmern für den Anfang ein wenig leichter zu machen. In Musik und dem Tanzen ging ich auf. Das war, wie man so schön sagte, mein Leben. Wenn ich hier für mich tanzte, konnte auf der Straße der nächste Weltkrieg ausbrechen und ich würde ihn verpassen. Dementsprechend schrak ich auch heftig zusammen, als ich bei der nächsten schnellen Drehung gegen jemanden prallte und im nächsten Moment nach hinten gebeugt wurde. Starke Arme hielten mich und bewahrten mich vor dem Fall auf dem Boden. Ich starrte sprachlos in Tylers Gesicht und riss mir mit meiner freien Hand, die andere lag an seiner Schulter, die Ohrstöpsel aus den Ohren. „Verdammt, lass den Mist!", fuhr ich ihn an.
Sofort ließ er mich los und ich knallte mit dem Rücken auf den Boden. Ich verzog das Gesicht, doch er zuckte nur mit den Schultern. „Du hast gesagt ich soll loslassen", verteidigte er sich fast schon gleichgültig. Ich richtete mich auf und ignorierte die Hand, die er mir entgegenstreckte. „Ich hab nicht gesagt, dass du loslassen sollst. Du solltest diesen Mist lassen. Und dabei dachte ich eher an das Unterbrechen meiner Choreografie. Was machst du überhaupt hier unten? Hier ist niemand außer mir", fragte ich dann ein wenig misstrauisch nach und kämmte mit meinen Fingern durch meine offenen Haare. Wieder zuckte er mit den Schultern. „Vielleicht wollte ich ja zu dir."

Bad Boy on the DancefloorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt