Schwesterherz

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Es ist still in meiner Wohnung, man hört nur das leise brummen des Toasters. Ich stehe in der Küche und schaue aus dem Fenster in den Hof unter mir. "Klong" das Geräusch des herausspringenden Toastes lässt mich ein wenig zusammenzucken. Ich bin schon immer sehr schreckhaft gewesen, im Gegensatz zu meiner Zwillingsschwester. Nichts konnte sie erschrecken. Obwohl wir fast gleich aussahen, hatten wir beide extrem unterschiedliche Charaktere. Ich war schüchtern, sie war wild. Doch auch Menschenscheu, sie hat nie Freunde mit nachhause gebracht und war generell nie wirklich in der Schule oder Zuhause. Wo sie genau war, weiß ich bis heute nicht. Aber wahrscheinlich hat sie Tiere gequält, oder so. Während ich an sie denke schmiere ich Mayonaise auf mein Toast. Der Saure Geruch liegt nach kurzer Zeit in der Luft und ich öffne das Fenster. Ich gehe zur Schublade und hole ein Messer heraus und dann noch eine Tomate. Toast mit Mayonaise und Tomaten, das war ihr Lieblingsessen. Ich weiß nicht warum ich es tue. Jeder kurze Gedanke, ja sogar schon ihr Name macht mich traurig. Ich lege das Toast auf einen Teller und trage es ins Wohnzimmer. Ich setze mich auf die Bank und beiße herzhaft zu. Lisa...Schwesterherz... denke ich. Warum nur? Warum hast du das getan? Warum hast du meine, unsere Eltern getötet? Und Josh, er war gerade mal 4. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Und du?! Was machst du? Du löschst sie alle einfach aus. Ich vermisse meine Eltern. Sie sind immer gut zu uns gewesen. Doch als Josh geboren wurde, hat sie sich verändert: Sie hat sich benachteiligt Gefühlt, wurde jedes Mal wütend, wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand. Und irgendwann ist bei ihr anscheinend die Sicherung durchgebrannt und sie ist mit dem Messer auf sie losgegangen. Ich war zu dem Zeitpunkt auf dem Heimweg vom Schreibwarengeschäft. Die Nachricht von dem Ereignis hat mit wie ein Schlag getroffen. Es war sofort klar, das es Lisa gewesen sein muss, sie war als einzige noch im Haus gewesen. Man hat sie nicht gefunden, was die Sache nicht besser machte. Während mir der Geschmack von Mayonaise im Mund klebt, lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Als meine Eltern gestorben sind und Lisa weg gewesen ist, bin ich bei Verwanden unterkekommen. Ich war 17. Sie waren alle geschockt von der Sache mit Lisa. Mir ist immer aufgefallen, wie sehr sie Lisa vergessen wollten. Wenn ich sie darauf angesprochen habe, haben sie sich geschockt abgewandt. Sie haben sogar alle Bilder von ihr vernichtet, als ob sie nie dagewesen wäre. In ihrer Wohnung standen nur Bilder von mir. Es macht mich traurig. Ja, sie war böse, ja, sie ist psychisch krank, aber das gibt ihnen doch nicht das Recht sie auzulöschen, als ob sie nie dagewesen wäre, oder? Mein Blick fällt auf die Zeitung: 22. Januar 2006. Vor zwei Jahren genau ist es passiert. Ich blättere gelangweilt durch die Zeitung, bis ich einen Artikel finde:

Psychopatischer Mörder gesichtet! Wird er nach zwei Jahren nun endlich gefasst werden?

Darunter ist ein Bild meiner Zwillingsschwester abgedruckt. Sie wurde anscheinend gestern in der Bank neben dem Parkhaus gesehen. Seltsam, die Bank war bis auf mich und ein paar Angestellte so gut wie leer gewesen. Dort hätte ich sie doch treffen müssen. Ausserdem hat Lisa nie ein Konto gehabt.

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