Memories.

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Verzweifelt sah ich in seine von tiefster Sehnsucht ergriffenen, dunkelbraunen Augen. Die Tränen, welche seine Wange hinab rannen, versiegten im Holz, auf welches sie leise tropften. Das leise „Auf Wiedersehen Tate", welches nur gehaucht über meine Lippen drang, nahm er vermutlich nur undeutlich verschwommen wahr, ehe ich wieder verschwunden war. Ich lehnte an einer der kalten, grauen Kellerwände und schluchzte laut auf. Meine Gedanken kreisten um die Zeit, welche ich mit dem toten, blonden Jungen gehabt hatte. Wie er für mich da war, als es sonst niemand war. Er mir zuhörte, mich tröstete, aufheiterte, glücklich machte. War es falsch den einzigen Menschen zu verleugnen, welcher einen bedingungslos liebte? Ich liebte ihn. Um Gottes Willen ja ich liebte ihn mehr als alles andere! Doch immer, wenn ich in die fast schwarzen Augen sah, sah ich ihn, wie er das Leben anderer auslöschte, zerstörte. Das war nicht mein Tate. Nicht der so kindlich wirkende Junge, den ich kennengelernt hatte. Der mir seine Narben zeigte, von längst vergangen Tagen, an welchem es ihm wie mir erging. Alleine, einsam, unverstanden und als einzige Lösung die Klinge sehend. „DU BIST ALLES WAS ICH WILL, DU BIST ALLES WAS ICH HABE!!" immer wieder ertönten seine Worte, hallend in meinem Kopf. Weitere Tränen rannen meine kühlen Wangen hinab. Er hatte mich vor dem Tod schützen wollen, er hatte mich vor mir schützen wollen, er wollte nichts weiter, als mich glücklich sehen. Ob es nun mit, oder ohne ihn war, interessierte ihn dabei nicht, denn wie hatte er gesagt? Meine Gefühle sind ihm so viel wichtiger, als die seinen. Ich habe nie vorher jemanden kennengelernt, der so ehrlich liebte, wie Tate es tat. Jeder Tag ohne ihn schmerzte unendlich doll, und ich fühlte mich, als wäre ich in der Hölle, statt in dem Haus, in welchem ich und auch er gestorben waren. Mein Dad hatte gesagt, dass er keine Reue, kein Mitleid und keine Empathie empfinden konnte. So war das mit Psychopathen. Doch warum glaubte ich ihm das nicht? Es konnte doch nicht sein, dass ein Mensch von Grund auf Böse und schlecht war. Als ich Tate kennengelernt hatte, wusste ich zwar, dass er Patient bei meinem Dad war. Doch dachte ich, er wäre mein Retter. Der Jenige, welcher mich aus dieser zerrütteten Familie herausholen würde. Ich träumte davon mit ihm abzuhauen, irgendwo zu leben, wo uns niemand fand. Halb im Leben, halb in der Dunkelheit. Es schien alles so erreichbar und nah. Hätte ich doch bloß eher gewusst, dass er nicht mehr lebte, ja sogar länger als Toter umher wandelte, als er je auf der Erde gelebt hatte. Dad sagte auch, dass er es nicht verdiente, dass man ihm verzeiht, dass es mir niemals möglich wäre, ihm zu verzeihen, weil ich nicht das verzeihen kann, was er anderen an Leid zugefügt hatte. Mum meinte, sie sei stolz, dass ich den Schritt gegangen war, Tate wegzuschicken, ihn aus meinem jetzigen Dasein zu verbannen und doch hatte sie mir erklärt, dass man es einfach merkt, wenn man so richtig verliebt ist, dass es sich anfühlt, als sei man verrückt oder würde es zumindest werden. Ich lag in seinen Armen, als ich lebte, und lag auch in seinen Armen, als ich starb. Tate war mehr für mich da gewesen, als es meine eigenen Eltern waren, sie hatten doch niemals auch nur annähernd eine Ahnung was ich in meinem Zimmer machte, geschweige denn, dass ich mir wehtat. Erst Tate hatte mich dazu gebracht, dass ich es bleiben lies, mir selbst weh zu tun und warum? Weil er mich bat es ihm zu versprechen, und ich versprach es ihm, weil ich ihn so sehr liebte. Die Erinnerung an unseren letzten Kuss, kurz nachdem er Gabe vor einem Jahr für mich töten wollte, lies meinen Körper erzittern und ich strich, mich nach seinen Lippen sehnend, über die Meinen. Meine Sehnsucht nach ihm, wuchs mit jedem Tag, ohne ihn mehr. Ich wollte doch immer nur ihn. Das hatte ich ihm auch so gesagt, und keines meiner leisen Worte war gelogen gewesen. Es war seine Art, die mich faszinierte, seine Art zu Denken und zu Handeln und mit Menschen umzugehen, wie er alles verspielen würde, für das was er vollends liebte. Tate war nicht normal. Er war es vermutlich nie gewesen. Und wird es mit Sicherheit auch nie sein. Und doch wollte ich ihn. So wie er war. Es kann doch sein, dass ich innerlich schon immer wusste, dass er so ist, wie er ist, dass ich es ignorierte und nicht wahrhaben wollte, weil ich ihn liebte. Ich liebte ihn noch immer, also warum konnte es nicht möglich sein, dass ich erneut darüber hinwegsah?


Taint. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt