Miss Jackson

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Er stand inmitten einer erdrückenden Menschenmenge, alle gekleidet in Seide, Satin und anderen teuren Stoffen. In der Luft lag der schwere Geruch von Unmengen an Parfum, das sich zu einer einzigen, stickigen Wolke vermischt hatte. Langsame Geigenmusik hallte durch den prunkvollen Saal, der von einem gewaltigen Kronleuchter erhellt wurde. Das unterdrückte Lachen und Gemurmel der Gäste um ihn herum verschwamm langsam aber sicher zu einem unverständlichen Stimmengewirr, aus dem man keine einzelnen Gespräche mehr heraushören konnte . Er ließ den Blick durch den Raum und über die anwesenden Personen schweifen, während er sich die schwarze Krawatte seines maßgeschneiderten Anzugs zurecht rückte.

Diese Art von Veranstaltung war normalerweise nicht sein Ding und er hatte zum Glück auch noch nicht viele besuchen müssen. Die aufgetakelten Frauen in teurer Abendgaderobe und mit aufwendig geschminkten Gesichtern, die ihm immer wieder aufreizende Blicke zuwarfen, und die dicken, reichen Schnösel, deren Bierbäuche sich unter viel zu kleinen Jackets spannten,
konnten ihm gerne gestohlen bleiben. Er war sowieso nur wegen einer einzigen Person hier.

Der Mann stand am Fuße der breiten, mit Gold lackierten Treppe, ein Glas Champagner in der linken Hand. Er unterhielt sich mit zwei Gästen, einer Frau in einem kurzen, blauen Glitzerkleid und einem kleinen, rundlichen Mann mit Halbglatze. Sein Lächeln wirkte reserviert und alles an seiner Haltung strahlte Reichtum und Macht aus. Sein graubraunes Haar war ordentlich nach hinten gegeelt und das silberne Gestell seiner Brille reflektierte das Licht. Er war der Veranstalter dieser Feier, zu der man nur die wichtigen Personen eingeladen hatte. Na ja, die wichtigsten Personen und ihn.

Er fuhr sich mit einer Hand durch die hellbraunen Haare, die ihm etwas zerzaust über die blaugrauen Augen fielen. Nicht, dass er nervös wäre, aber sein Job bescherte ihm bei jedem neuen Auftrag ein angenehm elektrisierendes Gefühl, als würden Stromstöße seinen Körper durchlaufen. Mit einer Hand tastete er unauffällig in die versteckte Innentasche seines Anzugs und schloss die Finger um das kleine, gläserne Fläschchen, in dem sich eine klare Flüssigkeit befand. Nur ein Tropfen davon und das Herz hörte innerhalb von Minuten auf zu schlagen. Bei der ganzen Flasche war es eine Sache von Sekunden.

Die Herausforderung seines Jobs war es, nicht entdeckt zu werden. In der Zeit, in der er schon für seinen Auftraggeber arbeitete, hatte er sich eine Geschicklichkeit und Ruhe angeeignet, mit der er ohne Probleme auch komplizierte Aufträge ausführen konnte. Ein tödliches Nervengift in ein unbeaufsichtigtes Glas zu schmuggeln oder jemandem geräuschlos die Kehle durchzuschneiden erforderte bei ihm mittlerweile nicht mehr als ein oder zwei gezielte Handgriffe. Wie sein Auftraggeber es jedoch schaffte, ihm zuverlässig Zugang auf solche exklusiven Veranstaltungen zu beschaffen, war ihm ein Rätsel . Es hatte ihn aber auch noch nie wirklich interessiert, für wen er die Aufträge ausführte und welche Mittel dieser jemand hatte , solange die Bezahlung stimmte. Von dem, was er bei einem einzigen Auftrag verdiente, konnte er sich problemlos ein halbes Jahr lang über Wasser halten. Das war so ziemlich alles, was er brauchte. Seit fünf Jahren lebte er schon so und mit der Zeit hatte es ihm immer weniger ausgemacht, dass er fremde Menschen systematisch ausschaltete. Er wollte sich selbst nicht als kaltblütig bezeichnen, aber das war es wahrscheinlich, was ihn am besten beschrieb. Kaltblütig und gefährlich. Die Chance, dass ihm eines seiner Opfer entwischte, war verschwindend gering. Möglich war es immer, aber bisher hatte er jeden Auftrag erfolgreich ausgeführt.

Gelassen schlenderte er hinüber zu einer langen Buffett-Tafel, auf der sich verschiedene, teuer aussehende Speisen aneinander reihten, und nahm sich ein Glas Champagner von einem Tablet, das gleich neben einem Teller mit kleinen Lachshäppchen stand. Mit zu Schlitzen verengten Augen ließ er abermals den Blick schweifen, das Glas abwesend zwischen den Fingern drehend.

„Nicht gerade die spannendste Art von Feier, nicht wahr?"

Ihre Stimme war weich und tief, allerdings ohne den verführerischen Unterton, den du andere Frauen im Laufe des Abends benutzt hatten, wenn sie mit ihm flirteten. Sie erinnerte ihn entfernt an eine Raubkatze. Listig und mit dem Hauch eines Schnurrens. Mit einem lange trainierten, höflichen Lächeln drehte er sich zu der Besitzerin dieser Stimme um und musterte sie von oben bis unten.

Miss JacksonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt