Ana sitzt schon den gesamten Tag in der Schule. Okay, nicht den gesamten Tag, denn die Schule beginnt erst um 8 Uhr. Außerdem hat sie heute erst zur 2. Stunde zur Schule erscheinen müssen. Trotzdem hat Ana das Gefühl, die Zeit würde nicht vergehen. Als ob die Zeit stillstehen würde. Gerade will der grimmige Lehrer Ana fragen, ob sie denn auch zugehört hatte, als die Pausenglocke klingelt. Alle Schüler springen auf und stürmen aus der Klasse und die einzigen beiden die übrig bleiben, sind der griesgrämige Mathematiklehrer und seine steinalte Tasche.Auch Ana hat so schnell wie möglich den Klassenraum verlassen um sich jetzt, so wie jede Pause in ihre Stammecke zurückzuziehen. Ihre Stammecke: Eine harte Fensterbank aus Stein, ganz am Ende des Flures, weil hier nie jemand ist und Ana so die Möglichkeit besitzt in aller Seelenruhe zu lesen. Wenn sie lesen konnte, war sie glücklich, denn hier konnte sie sich in andere Personen hineinversetzen. In Personen, die nicht wie Ana selbst, die kleine Unsichtbare, sind, sondern mutig und meist sogar heldenhaft.
Jetzt sitzt sie da also, auf ihrer Jacke, die die Härte der Fensterbank ein wenig erträglicher macht, mit ihrem Lieblingsbuch in der Hand und liest; verschlingt die Seiten nahezu. Wenn man genau hinschauen würde, könnte man sogar sehen, wie sie die Lippen mitbewegt. Würde man genau hinsehen. Doch das tut niemand. Ana ist die Unsichtbare. Sozusagen das Opfer der gesamten Schule. Nur hat sie das Glück von Mobbing oder ähnlichem verschont zu sein. Zumindest noch. Denn natürlich gibt es an ihrer Schule, so wie in jeder anderen Schule auch, die Badboys von Basketballern und die Cheerleader, die "Könige und Königinnen" der Schule. Dazu kommt die breite Mittelschicht an Schülern, die auf unterschiedliche Arten und Weisen irgendwie wichtig aber auch gleichzeitig unwichtig sind. Zusätzlich gibt es die Nerds und diejenigen, die als Opfer der "Kings and Queens" fungieren und Ana, die von niemandem bemerkt wird. Es bemerkt einfach keiner, dass sie existiert. Eigentlich war es ihr immer möglich dies zu ignorieren, doch seit einem Jahr geht es nicht mehr. Am liebsten würde sie bemerkt werden. Gesehen werden. Von ihnen. Von ihm. Denn ein Junge aus ihrer Schule hat es ihr besonders angetan. Natürlich nicht irgendein einfacher Schüler, Nein, der allerschlimmste Badboy von allen. Er hat ihr ganz einfach mit seinen blonden Haaren und klaren blauen Augen den Kopf verdreht und beschert ihr tagtäglich massenhaft Schmetterlinge im Bauch. Doch er bemerkt sie nicht. Niemals. Wieso sollte er sich auch auf ihr Niveau herablassen?! "Der spielt nicht in meiner Liga...", denkt sich Ana jeden Tag und schaut ihm trotzdem anhimmelnd hinterher. Würde seine zickige Blondine, Cheerleadercapt'n und natürlich seine Freundin, Anas Blicke sehen, sie würde Ana höchstpersönlich die Augen mit ihren langen Fingernägeln auskratzen. Doch sie sieht sie nicht.
Schon wieder klingelt die Schulglocke: Die Pause ist vorbei, die nächste Stunde beginnt. Ana packt ihr Buch in ihre Tasche und geht angespannt zurück zum Klassenzimmer. Jetzt folgt der Geografieunterricht, beim schlimmsten Lehrer der ganzen Schule. Jeder hasst ihn. Er ist mit Abstand der strengste und unfreundlichste Lehrer. Keiner konnte ihn toppen. Genau das will er wahrscheinlich auch... Er ist unangefochten an der Spitze der Liste mit den schlimmsten Lehrer und es gibt seit Jahren niemanden, der auf dieser Liste auch nur annähernd in seine Nähe käme. Auf Platz eins steht er. Die nächsten 15 Plätze sind frei und dann folgen ein paar andere Lehrer. Er verdeidigt seinen Platz nicht schlecht.
Seine tiefe Stimme dringt Ana schon durch die Tür entgegen, als sie an der geschlossenen Klassenzimmertür ankommt. Leise öffnet sie diese und schleicht sich auf ihren Platz. Niemand hat sie bemerkt. Warum auch?!? Herr Blake hält gerade einen Vortrag über irgendeinen Wandel in Indien und denkt ihm würden alle zu hören. Falsch gedacht! Genau das hat er auch gerade bemerkt und prompt landet sein dickes schweres Schlüsselbund scheppernd auf dem Tisch von Brandon, sodass er zusammen zuckt und von seinem Handy unter dem Tisch auf schaut. Ana erhascht einen kurzen Blick auf das Handy des Jungen, der ihr den Kopf verdreht hat. Auf seinen offenen Chat und erkennt anhand der vielen roten Herzchenemojis, dass er wohl mit seiner Freundin schreibt. Daniela. Von jedem hier, der sich ihr Bekannter nennen darf, Dani genannt.
Eine weitere Unterrichtsstunde verging ohne, dass Ana auch nur ein Wort gesagt hat. Die ganze Stunde saß sie nur da und versteckte sich hinter ihren blonden Haaren. Jetzt ist Schulschluss. Endlich! Während alle Schüler aus der Schule stürmen, schlendert Ana ganz langsam aus der Tür heraus. Von allen Seiten wird sie angerempelt. Doch es interessiert sie nicht. Weder Ana noch die Schüler, die sie anstoßen.
Ana verlässt das Schulgelände und biegt in Richtung Stadtmitte ab. Sie soll noch Einkäufe für ihren chaotischen Vater erledigen und dort würde sie alles einkaufen können.
Die Straßen sind schon wie leer gefegt, als Ana die Stadtmitte erreicht. Bloß in ein paar Läden brennt noch Licht. Für Herbst ist es ziemlich warm, aber trotzdem wird es schon früh dunkel. Es war früher Freitagabend und alle anderen Jugendlichen in ihrem Alter waren dabei sich für die Disco oder die nächste Party aufzufrischen. Ana schüttelt über sowas nur den Kopf. "Wie kann man nur so vernarrt in Alkohol sein?!", denkt sie sich jeden Freitagabend aufs Neue.
Sie betritt den kleinen Einkaufsladen. Mehl, Zucker, Brot, Eier, Milch und Fertig. Danach geht Ana zurück nach Hause. Mit dem Bus fährt sie nicht. Sie hat keine Lust mit all' den jetzt schon angetrunkenen Jugendlichen in einem Bus zu hocken. Also geht sie zu Fuß nach Hause. Einer kleiner Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit ihrem Vater teilt. Ihr Vater ist ein sehr chaotischer Autor und ist dafür zuständig die Wohnung zu verunstalten. Außerdem schläft er auf dem Sofa im Wohnzimmer, damit Ana ein eigenes kleines Zimmer haben kann. Die Beiden verfügen nicht über viel Geld, da Richards Bücher noch nicht gedruckt wurden, aber schon bald werden sie überall erhältlich sein und Ana und Richard würden umziehen. Und sich vielleicht auch so einen "tollen roten Sportwagen leisten können", wie er gerade an Ana vorbei fährt. Sie weiß genau, wer darin sitzt. Dani und Brandon. Ihr Magen krampft sich zusammen. Es fühlt sich an als hätte man ihr in den Magen geschlagen. Aber sie geht weiter. Ihr Weg nach Hause ist noch lang und so läuft Ana weiter durch die dunkle Stadt und beobachtet das Treiben der feiernden Jugendlichen.
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Helden DNS
Teen FictionIhr ganzes Leben träumt Ana schon: Ganz ganz früher wurde sie jede Nacht zur Prinzessin, dann zur Superheldin. Danach zum Popstar und zur weltberühmten Schauspielerin. Mittlerweile sind ihre Träume spezifischer geworden. Irgendwie gleichzeitig auch...