No sé

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Ihr kennt das bestimmt. Wenn ihr in einem Augenblick allein sein wollt aber in einem Saal feststeckt. Und ich rede nicht von irgendwelchen exorbitanten Gefühlen, die euch in dem Moment durchfluten. Nein, ich spreche davon, dass ihr Monologe führen müsst, ihr bastelt euch euren eigenen Gesprächspartner, wenn niemand zur Verfügung steht. Ich glaube, mir ist es sonderlich egal, ob mir jemand zuhört, dieser jemand ist nämlich als Ganzes ein Zweck um nicht als verrückt zu gelten. Denn in diesen Momenten bin Ich ganz unverfälscht Ich.

,,Hey Michigan!".
Eigentlich empfinde ich keine große Lust ihn zusehen, dennoch bleibe ich kurz stehen, kurz genug, damit er mich eingeholt hat.

,,Wieso hast du nicht wie sonst gewartet?",fragt Owen mit beleidigter Stimme. Ich grinse, aber nicht, weil er mich dadurch in Verlegenheit gebracht hat, sondern über diese steile Erkenntnis das Warten auf jemanden eine Verpflichtung geworden ist.

Wir sind an der Kreuzung. Nirgendwo ist eine Alexandra aus dem dritten Jahr die sagt 'Ach hey Michi, lass mich dich nachhause fahren'

,,Mein Kurs ist abgebrannt", antworte ich Owen. Und verdammt, diese ganzen Bücher in meinem Rucksack nehmen mehr an Gewicht zu. Ich hätte den Laden später abräumen sollen.

Owen lacht leise, obwohl sich das leise Lachen eher wie ein kratziges Husten anhört.

,,Und du bist aus dem Fenster gesprungen, klar".

,,Ja und schau mich an. Ganz unversehrt", sage ich breitlächelnd und vergesse beinahe das Gewicht, welches auf meinen Schultern lastet.

Owen beißt sich auf die Unterlippe, die größer ist als seine Oberlippe ?
Ich würde ihn gern fragen, ob er einen kleinen Kampf gehabt hatte, aber er wirkt in diesem Moment anders als er eigentlich ist.

Moment, dass kannst du eigentlich gar nicht wissen, sagt mein Unterbewusstsein hochnäsig. Und ob! Ich kenne Owen fast schon mein Lebenlang. Dann ist mein Unterbewusstsein wieder ruhig, und auch Owen bleibt ruhig, nach meiner Forderung Ja und schau mich an !! Ganz unversehrt.

Also beschließe ich einfach meinen Gedanken nachzujagen und nichts zu sagen. Als wir an der Ecke Cornerstreet sind, will ich ihn kurz noch umarmen, als er mit runzelnder Stirn nach links und rechts schaut.

,,Seit wann holt Alex dich nicht mehr ab?", fragt er belustigend.

,,Das hast du früh bemerkt", erwidere ich etwas steif und umarme ihn. Er drückt mich kurz aber mächtig. So, als würde ich meinen Körper alleine nicht halten können. So als...

,,Bis in zwei Wochen, Michi", ruft er noch von der anderen Straßenseite als seine Silhouette gänzlich im Schatten verschwindet und seine Schritte in meinen Ohren verklingen.

,,Michigan bist du das?", höre ich Christopher rufen.

,,Wen erwartest du? Molly?", frage ich Dad.

Ich lege meinen Rucksack mit den Büchern auf die Tischplatte und setze mich auf einen Barhocker. Dad kommt wie ein Phantom die Treppen heruntergeeilt und nimmt mich kurzerhand in seine Arme.

,,Du bist spät", stellt er dann mit Blick auf die Uhr fest.

,,Alexandra war diesmal verhindert", sage ich nur. ,,Wo ist Molly?"

Dad schnappt sich seine Uhr, und packt sein Portmonee in seine verdreckte Jackentasche.

,,Sie ist mit Jimmy zum Arzt".

,,Schon wieder Gelbsucht oder kauft sie ihm Spielzeug?", erwidere ich sarkastisch.

,,Ich hab für deine Albernheiten keine Zeit, Liebes. Mach dir Essen warm", sagt er nur flüchtig und küsst danach mit kalter Lippe meine Stirn. Es fühlt sich nicht an wie ein väterlicher Liebesbeweis, nein, es fühlt sich nach überhaupt nichts an.

Oben in meinem Zimmer durchsuche ich die Schränke nach Alexandras blonder Perücke. Zum Teufel, ich weiß nicht wo sie die hingesteckt haben könnte, warum sie sie benutzt ist mir dabei völlig egal, vielleicht.
Eine knappe halbe Stunde später und das Zimmer halb verwüstet, stehe ich triumphierend mit der goldglänzenden Perücke in meiner Hand vor dem Wandspiegel, wie ein Leistungssportler der gerade eine Medaille für seine außerordentliche Begabung erhält.

Dann setze ich sie mir auf, verstecke die kurzen schwarzen Strähnen darunter und lege mir ein starkes Makeup auf.

Ich bin die erste im Chatroom, mit dem Pseudonym jcotton
was man gerne übersetzen kann mit Jack Baumwolle.
Nach und nach erscheint jemand, erst Bexter, dann Ykloed und zuletzt Gillian.
Wir chatten über alles mögliche, Gott und die Welt eben, lassen uns über spezielle Menschen aus, beschreiben uns gegenseitig unser Umfeld mit den blühendsten Farben und dann betreiben wir uendlich viele Assoziationsketten. Zum Ende hin wollen wir uns noch kurz über die Webcams sehen und ich stelle mir vor, was sie von meinem Bild halten, dass ihrem völlig widerspricht. Sie alle haben dicke Augenringe, tragen löchrige T-Shirts, haben rappelkurze Haare, einen Gamerblick und ihre Zimmer sind eintönig. Eintönig wie diese Menschen selbst nie sein könnten, weil sie die Farben alle lieben. Und dann ich, die mit den aufdringlichen blonden Locken und dem langanhaltendem Grinsen, die die oft einen warmen Schal trägt, ganz egal wie's draußen aussieht.
Ich schalte den PC aus und werfe die Perücke zurück in den perlenkoffer. Dann werfe ich mich in mein Bett, obwohl es gar nicht mal so spät ist, aber Molly ist immer um sieben da und ich will sie nicht unbedingt antreffen. Ich drehe mich auf die linke Seite und schaue aus dem Fenster raus. Mein Handy vibriert und zeigt eine neue Nachricht an.

Hey ihr Vier,
ich und Gillian hatten die Idee einen Trip zu machen. Für die erste Ferienwoche. Ihr müsst alle kommen. Wir treffen uns am Bahnhof Lane, nähe Parkerstreet um 7. Bringt mit, was ihr meint, sollte mitgebracht werden.

-Bexter

Mein Herz schlug fünfmal so stark wie sonst, als ich Bexters Nachricht las. Natürlich würde ich hingehen auch ohne irgendeine Erlaubnis von Molly oder Christopher.
Ich sprang vom Bett auf, nahm die Schüssel von meinem Schrank und hüpfte in meine alten Sneakers. Dann rannte ich schnurstracks die Treppen nach unten.

,,Ich bin bei Alex, Christopher", rief ich noch und schlug die Tür zu.

Ich musterte mein Portmonee mit einem kritischen Audruck. Kein Schimmer, warum ich so Feuer und Flamme mit einem Minimum an Geld in die Stadt gedüst bin. Wahrscheinlich weil ich einfach wollte, das dieser geplante Trip genial wird. Ich ging in ein Computergeschäft und verschaffte mir einen USB-Stick, dann setzte ich mich in der Parkerstreet auf eine Sitzbank und beobachtete die Menschen, während ich nach optionalen Ausreden für mein Verschwinden suchte. Mein Handy vibrierte und ich hatte Mühe es aus meiner tiefen Jackentasche zu ziehen.

Eine SMS. Von einer unbekannten Nummer.

,,Wieso trägst du diese dumme Perücke, L ?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 10, 2016 ⏰

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