Die Erleuchtung

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Tschak, tschak, tschak. Jeder seiner Schritte war eine Bereicherung für die unendliche Stille der Nacht. Denn es gab nur noch ihn und die kalte, verstörende Dunkelheit. Und die fingergroße Kerze in seiner Hand, deren Erlöschen wohl oder übel seinen Nervenzusammenbruch zur Folge gehabt hätte. Die schlaksige Gestalt irrte nun schon seit mehreren Stunden durch das Nichts. Seinen Geisteszustand, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, konnte man am verzogenen Gesicht festmachen.

Doch kurz vor seiner endgültigen Kapitulation stieß der Mann auf eine einsame Tür, mitten in der gähnenden Leere jener Gegend. Und sie kam ihm vertraut vor. Vor allem die kleine, kupferne Türklinke hatte er eindeutig schon oft gesehen. Alles in allem schenkte sie ihm den Glauben, Zuflucht vor der mehr als ungewöhnlichen gegenwärtigen Welt gefunden zu haben.

So betrat das Knochengerüst die alte Holztür. Er war nun in einem kleinen Raum, zwar immer noch dunkel, aber immerhin warm. Nur eines konnte er sehen: in einer Ecke des Raumes lag ein älterer Mann im Bett, ebenfalls mit einer Kerze in der Hand. Dieser jedoch verzog keine Miene und starrte auf eine melancholische Art und Weise auf seine Kerze.

Der Mann, welcher soeben das Zimmer betreten hatte, sah in dem anderen Mann die Möglichkeit, eine Erklärung für die sonderbaren Umstände dieser Zeit zu bekommen und trat ein paar Schritte näher. Nach all dem, was an diesem Tag passiert war, erstaunte ihn aber das, was er dann sah, keineswegs mehr. Wie er nun nämlich erkennen konnte, war es nicht irgendein älterer Mann, der da reglos lag. Er sah nämlich genauso aus wie der Herr, der eben noch durch die Finsternis taumelte. Die zwei mageren Figuren, die sich in diesem Zimmer befanden, sie waren ein und dieselbe Person. Gleiches Gesicht, gleiche Größe, gleiches Gewand.

„Wer bist du? Was ist hier los?", fragte der Stehende den im Bett Liegenden instinktiv.

„Ich bin, naja, wie soll ich es dir erklären, mich gibt es überhaupt nicht. Ich bin eine Illusion, ein Abbild von dir, genauso wie diese gesamte Traumwelt, die auf der Absicht basiert, dich zur Einsicht und Vernunft zu führen" „Ich verstehe nicht ganz", gab der Mann zu, dessen Gehirn mittlerweile ein einziges Wrack auf dem Meer des Verstands war. „Dann pass jetzt auf. Diese ganze Dunkelheit, diese ganze Kälte... wir befinden uns hier in deiner Seele", erklärte der Bewohner des trostlosen Schlafzimmers. Er stand jetzt auf vom Bett und wandte sich einem Fenster zu, aus dem er hinausblickte, hinaus in die Düsternis. Dann fuhr er mit seinen weisen Worten fort: „Deine Seele! Verstehst du, was aus diesem Ort geworden ist? Die Düsternis wurde zum Schatten deiner selbst. Lass nicht auch noch das letzte Lichtlein erlöschen!"

Sein Gegenüber erwies sich erneut als verwirrt: „Was bedeutet das? Wie bring ich wieder Licht in meine Seele, wie bring ich wieder Licht in mein Leben, o du weiser Herr?"

„Das sei dir überlassen. Grundlegend ist lediglich eines: Selbstvertrauen: sei das Licht!"

„Sei das Licht", wiederholte der Mann mit der schwarzen Seele, der allmählich zu begreifen begann.

Von einer Sekunde zur anderen hauchte ein leiser Windstoß, der die Kerzen beider Männer erlöschen ließ. Damit fand der Traum und damit eine fabelhafte Reise in die Seele eines einsamen Herrn sein Ende. Der Mann wachte auf. Er stand auf. Vorhänge auf, Fenster auf, auf nach draußen. Klingt normal, doch eines war gewiss: seine Seele war geheilt, er war nun das Licht.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 23, 2016 ⏰

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