Ich lag am hellblauen Meer und sonnte mich in den Sonnenstrahlen der heißen Sonne. In diesen Sommerferien wollte ich endlich mal so richtig braun werden- nicht rot, wie es sonst all die Jahre war. Also ließ ich es zu, einen Sonnenbrand zu kriegen. Normalerweise hätte ich mich vorher zig mal mit Sonnencreme eingekremt. Dieses Mal nicht. Mein Leben hatte sich geändert. Ich wurde kalt, selbst im Sonnenlicht bei 35°C. Nachdem meine angebliche beste Freundin, die ich seit dem Kindergarten, also ungefähr 17 Jahre, kannte, mich einfach so verlassen hatte, konnte ich niemandem mehr wirklich vertrauen. Ich wurde leise. Aus einem lebensfrohen Jungen, wurde einer, der niemanden an sich ranließ. Ich wollte unzugänglich werden- um mich und meine Mitmenschen zu schützen. Ich wurde aggressiv, sobald jemand mich zu etwas zwang, oder auch einfach nur, weil diese Person mich aufregte. Meine beste Freundin war früher perfekt -in meinen Augen. Wir waren jeden Tag im Garten bei uns oder manchmal auch bei ihr. Manchmal. Es war nicht so oft, sondern eher selten. Ihr Vater hatte schwere Alkoholprobleme, sie wurde geschlagen, angeschrien, gedemütigt. Deswegen haben wir uns nie bei ihr getroffen. Ich fühlte jetzt schon, wie mein Herz blutete, alleine wenn ich an sie dachte. An einem Tag - daran erinnere ich mich so gut- haben wir uns wie immer getroffen. Damals waren wir acht oder neun. Ich sah sie, wie sie um die Ecke bog, während ich auf meinem Platz auf sie wartete. Mein Platz war ein großer Stein vor unserem Haus. Ich sah sie schon von Weitem und lächelte ihr zu, doch je näher sie kam, desto mehr sah ich ihr blaues Auge und ihre aufgeplatzte Lippe. Mein Lächeln verging und ich rannte auf sie zu, so schnell es ging.
"Was ist los?", sagte ich zu ihr.
"M-mein Vater.", flüsterte sie."Mein Sohn, du verbrennst dir noch die Haut.", meinte eine weibliche Stimme. Erst jetzt öffnete ich die Augen, die mit Tränen gefüllt waren. Sofort schloss ich sie wieder, denn die Sonne scheinte direkt in mein Gesicht.
"Willst du nicht auch mal ins Wasser?", meinte meine Mutter.
"Nein, Anne (Mama).", versuchte ich zu lächeln. Dabei kam wahrscheinlich nichts Schönes hervor, doch ich ließ es auf meinen Lippen.
Meine Mutter meinte: "Tamam oğlum. (Okay, mein Sohn) Ich weiß wie sehr dich das mit Derya bedrückt. Du musst loslassen. Sie ist jetzt an einem besseren Ort und passt auf dich auf. Würde ihr das gefallen, dich so zu sehen?"Mir war klar, dass jeder dachte, dass sie tot sei. Ist sie aber nicht.
Sie bat mich um Geld. Derya, die, die sonst nie etwas von mir wollte, außer, dass ich lachte.
Durch ihren Vater wollte sie untertauchen, an einen anderen Ort gehen. Nachdem ich ihr zehntausend Euro gab, sah sie mich geschockt an. Ich erinnerte mich an ihre Aussage. "D-das ist viel zu viel!", schrie sie. "Das brauchst du. Geh, rette dich vor dem Biest, sonst bringe ich ihn um.", gab ich als Antwort und umarmte sie zum letzten Mal. Ich wollte ihren Vater umbringen, nachdem er sie wieder einmal grün und blau geschlagen hatte. Ihre Mutter sagte nichts dazu, sie schaute einfach nur zu. "Wenn sie etwas sagen würde, würde sie Schläge kassieren. Das wollte sie nicht", meinte Derya vor drei Wochen. Sowas würde ich niemals Mutter nennen.Sie war seit einer Woche weg, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wie denn auch nicht? 13 Jahre lang jeden Tag treffen und reden, vertrauen und lachen und von einem Tag auf den Anderen verschwinden, nichts als eine Leere im Herzen lassen und nur noch Trauer verspüren?
Derya nam das Geld, kaufte ein Grab und ließ jedem klarmachen, dass sie tot sei. Ihr Vater kam zur angeblichen Beerdigung. Betrunken. Er meinte, dass seine Tochter nicht das Recht hätte zu sterben und dass sie eine Schlampe sei.
Ich schlug auf ihn ein, verprügelte ihn bis er blutete. Dann schafften es meine Verwandten, mich von ihm zu lösen. Ich denke, ich hätte ihn sonst umgebracht."Hilfe! Hilfe!", schrie eine weibliche Stimme im Meer. Meine Aufmerksamkeit wurde direkt dorthin gezogen, meine Gedanken von gerade eben waren in die hinterste Ecke meines Gehirn geschubst.
Die Frau im Meer war fast am Ertrinken.
Ohne zu überlegen, lief ich los, durch den heißen Sand. Ich genoss es, denn es ließ mich meinen Schmerz im Herzen nicht mehr spüren.
Die Frau im Meer fuchtelte mit den Armen, ihr Kopf ging unter.
Ich sprintete durch das Meer, als würde ich ein Sportler sein.
Meine Beine gaben nach, doch ich gab nicht auf.
"HEY!", hörte ich mich selbst schreien. "Sie bleiben gefälligst am Leben, haben Sie das verstanden?!"Plötzlich ging ihr Kopf wieder hoch und das war perfekt!
Ich wurde schneller und schneller.
Ich erreichte sie, bevor ihr Kopf wieder unter Wasser tauchte.
Sie spürte meine Hand um ihren Arm, weshalb sie ihre Augen ruckartig aufschlug."Haben Sie noch Kraft?", fragte ich. "Legen Sie Ihre Arme um meinen Hals, ich schwimme Sie zurück."
Sie nickte nur und lächelte, dann brachte sie ein leises "Danke" heraus und verfiel daraufhin in einen Hustenanfall. Ich spürte wie sie eine Gänsehaut an den Armen bekam, als sie sich an meinem Hals festhielt.
"Wie heissen Sie?", fragte sie.
"Deniz", sprach ich. "Und Sie?"
"Damla", lächelte sie.Und somit hatte sich etwas entwickelt, wovon wir vor siebzehn Jahren hätten nichts wissen können.

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Meeressteine
RomanceStell' dir vor, du stehst in einem Meer voller Steine. Jetzt greifst du mit deiner Hand in den Boden, sammelst die Steine in deiner Handfläche. Je öfter du deine Hand nun in dem Meer versinkst, desto mehr Steine verlierst du, da das Wasser sie weg...