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Die kalte Abendluft brannte in meiner Lunge. Ich wusste, ich sollte langsamer fahren, es war

nicht gut, in einer Stadt wie Berlin im dunklen die Straße entlang zu rasen, doch ich konnte nicht. Ich brauchte die Bewegung. Mein Herz schlug in meinem Brustkorb, als wolle es ihn sprengen. Für einen Moment schloss ich die Augen. Als ich sie plötzlich wieder aufriss, war es schon zu spät. Ich sah nur noch ein helles Licht. Danach wurde alles schwarz.

*

Als ich meine Augen wieder aufschlug, sah ich ein Licht. Eine Lampe direkt über mir. Ich sah eine weiße, saubere Decke mit einer schrecklich schlichten Lampe. "Sie wird wach", war das Erste, was ich hörte. Eine Hand schob sich in mein Blickfeld. "Ich glaube sie ist noch nicht richtig da, aber ist ja auch kein Wunder die Arme...". Langsam erkannte ich die Stimme meiner Mutter. Doch weshalb war ich hier? Wo war ich überhaupt? Der schrecklichen Sauberkeit nach zu urteilen vermutlich in einem Krankenhaus. Wie war ich hier hergekommen? Erschrocken setzte ich mich auf. Ich sah meine Mutter, die mit einer Krankenschwester am Fußende meines Bettes stand. Mir wurde wieder schwarz vor Augen, ein schrecklicher Schmerz in meinem Kopf und eine Übelkeit, wie ich sie noch nie gespürt hatte, ließen mich wieder zurück auf das Kissen fallen. "Nicht!" Meine Mutter trat neben meinen Kopf: "Du hast eine Gehirnerschütterung und eine geprellte Rippe. Was denkst du dir, nur einfach so gegen eine Laterne zu fahren?", sie lachte. Doch es war nicht ihr mitreißendes Lachen, dass immer jeden ansteckte. Sie klang sehr besorgt. Eine Laterne? Wieso zur Hölle war ich gegen eine Laterne gefahren? Und ...? Mein Kopf schmerzte so sehr, dass ich nicht mehr denken konnte.

*

Ein paar Tage später, als ich als entlassen wurde und meine Eltern mich mit dem Auto nach Hause fuhren, hatte ich immer noch nicht das ganze Puzzle in meinem Kopf zusammen. Ich war vor ziemlich genau einer Woche mit dem Fahrrad nach Hause gefahren. Dabei war ich viel zu schnell gefahren und mit dem Kopf gegen eine Laterne geprallt. Aber was war davor gewesen? Ich kam mir vor wie ein anderer Mensch, als hätte es einen Cut in meinem Leben gegeben. Als hätte ich zwei verschiedene Leben: Eins nach dem Unfall und eins vor dem Unfall. An das vor dem Unfall versuchte ich mich krampfhaft zu erinnern. Was für eine Person war ich gewesen? Ich hieß Anabelle Morigton. Das hatte sich natürlich nicht geändert. Ich war 17 Jahre alt und vor dem Unfall ging ich auf ein Gymnasium hier in der Nähe. Was hatte ich für Freunde gehabt? Scheinbar keine besonders Guten. Zumindest wurde ich im Krakenhaus von niemandem besucht und das hätten gute Freunde doch getan oder? Oder hatte meine Mutter ihnen gesagt, sie sollten nicht kommen?

Elias. Dar was der einzige Name - abgesehen von meinem eigenen - an den ich mich erinnerte. Elias. Wer war Elias? Ich hatte schon überlegt meine Eltern zu fragen, aber ich dachte, sie würden vermutlich noch verwirrter sein als ich, wenn sie erfahren würden, an wie wenig ich mich erinnerte.

Zuhause nahm ich meinen Laptop und sah mir die alten Fotos an. Die Fotos vom letzten Wandertag. Ich erinnerte mich an diesen Tag. Wir hatten ein Picknick in den Rehbergen gemacht. Aber wer waren all diese Menschen auf den Fotos? Natürlich Leute aus meiner Klasse, aber es hätten genauso gut wildfremde sein können. Elias. Dieser Name. Immer und immer wieder. Mir fiel ein, dass ich einen Facebook Account hatte. Vielleicht konnte ich so etwas über mich selbst herausfinden. Erstaunt stellte ich fest, dass das Passwort gespeichert war. Wie unvorsichtig. Na ja, andernfalls wäre ich nicht reingekommen. Also sollte ich lieber froh sein. An meiner Pinwand waren viele Einträge von irgendwelchen Leuten, die mir gute Besserung wünschten. Ich bedankte mich bei ihnen, auch wenn ich keinen Schimmer hatte, wer diese Leute waren. Ich las meine letzten Nachrichten, doch es waren viel zu viele. Ich beschloss meine Vergangenheit Person für Person zu erschließen. Als erstes sah ich mir Melanie an. In unseren letzten Nachrichten ging es um Hausaufgaben. Demnach war sie vermutlich in meiner Klasse gewesen. Aber wir hatten nicht viel geschrieben, also war ich nicht gut mit ihr befreundet gewesen.

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All Memories lostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt