2. Teil

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Obgleich die Sonne noch den Horizont hinab spazierte, war es finster unter der dichten Blätterdecke, was mich dazu zwang, meine Lampe zu verwenden. Ich hatte große Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden und befürchtete, mich zu verirren. Wegweiser, Wanderpfade, markante Stellen oder andere Anhaltspunkte waren nach kurzer Zeit nicht mehr zu finden. Zu meinem Glück hatte ich meine Ausrüstung mit Bedacht vorbereitet und eine große Fadenrolle mit eingepackt, dessen Ende ich an einem Baum festband und im weiteren Verlauf des Marsches hinter mir ausrollte.

Wie der tapfere Theseus durch das teuflische Labyrinth dem fürchterlichen Minotaur entgegen preschte, so stürzte auch ich mich in ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Ich kämpfte gegen die tückischen Ranken und Wurzeln, die einem Schildwall gleich das Herz des Landes vor mir zu schützen gedachten indem sie meinen Weg erschwerten. Den unbändigen Kräften der Wildnis, diesem unbezwingbaren Feind, bot ich die Stirn. Und irgendwo zwischen Erde und Geäst an einem versteckten Ort schlummerten die geheimen Schätze, die meine Trophäe sein sollten. Manch einer würde meinen, dies wäre eine Sucht, die am Verstand zehrt, doch mir war die Suche im Dreck der Welt eine Muße sondergleichen.

Erst als die letzten fahlen Lichtstrahlen verblassten und ich in fast absoluter Finsternis wandelte, wurde ich aus meinem Wahn vom glorreichen Heldenkampf gerissen. War die Nacht hereingebrochen oder hatte mich die tückische Ebene nun vollständig von der zivilisierten Welt getilgt? Bestimmt irrte ich schon lange ziellos herum und die Fadenrolle gab nicht mehr viele Meter her. Ein grollender Donnerschlag verkündete ein gewaltiges Gewitter. Die Luft roch nach feuchter Erde und ein atmosphärisches Rauschen ertönte hoch über mir, begleitet von einem lauten Plätschern. Ich sah hinauf, konnte aber keine Tropfen erblicken und spürte kein Wasser auf meiner Haut. Was ich stattdessen beobachtete, war ein Phänomen von atemberaubender Kuriosität. Das Licht meiner Lampe wurde von vielen kleineren Rinnsalen, die aus der Höhe herabströmten, reflektiert. In vereinzelten Wasserfällen schoss das leuchtende Nass durch die Dunkelheit herunter und erschuf ein irreal wirkendes Schauspiel. Das unnatürlich dicke Blätterdach dämmte nicht nur das Licht bis zu einem Minimum, sondern schien auch zu versuchen, das Regenwasser aufzuhalten. Vermutlich zeugten die sporadischen Ströme von undichten Stellen in dem faszinierenden Gewächs. Ich spürte die magische Natur des Waldes in meinem Inneren und war überwältigt von vielerlei Empfindungen, die ich nicht zu beschreiben vermag. Mein Geist sagte mir, dass ich nun gefunden habe, wonach ich suchte und schleunig heimwärts kehren sollte. Zuerst wollte ich ihn nicht anhören und mich nicht von den Wundern dieser Landschaft trennen, doch mir war die drohende Gefahr bewusst, die mein spontanes Unternehmen innen hatte und mein Proviant war schon seit einer Weile verbraucht. Also kehrte ich um und befestigte die Lampe am Rucksack, sodass ich beide Hände frei hatte, um den Faden, den ich auf meinem Weg hinter mir ausgerollt hatte, wieder einzuwickeln. Obgleich der Wunder, die ich gesehen habe, war ich frohen Mutes, der Dunkelfelsebene den Rücken zuzukehren und wieder ins Licht treten zu können. Voll Freude marschierte ich retour.

Mein Atem keuchte und mir rann der Schweiß. Von Zeit zu Zeit streifte mich ein kalter Windhauch und trug die akustische Atmosphäre der Umgebung an mein Ohr. Das helle Summen der Insekten, das nasse Rascheln des Laubes, das hölzerne Klagen der Äste. Und dann ein eigenartiges bellendes Geräusch. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob ich es tatsächlich vernommen hatte. Ich blieb stehen und lauschte erneut. Da war es wieder. Das krächzende Husten eines menschlichen Wesens. Da schleifte tatsächlich ein Paar Füße träge zwischen den Schatten umher. Ich löschte meine Lampe und duckte mich. Ich wollte mich nicht sofort zu erkennen geben und zuerst beobachten, mit wem ich es zu tun hatte. Wer, wenn nicht ein tapferer Abenteurer meines Kalibers, würde sich so tief ins Dickicht wagen? Die stolpernden Schritte näherten sich. Ich lugte durch einen Strauch, hinter dem ich Deckung fand. Jetzt gewahrte ich den Wanderer, der nun schon ganz nahe war. Er trug eine unpraktische Fackel mit sich, die ihm scheinbar nicht genug Licht spendete, sodass er vorsichtig und behäbig voranschreiten musste. Der Flammenschein enthüllte für einen kurzen Moment seine Gestalt und ich musste bei seiner Erscheinung erzittern. Zwischen den spitzen Dornen und dünnen Zweigen des Strauches konnte ich gerade noch das scheußliche Gesicht erhaschen, das unter einer weiten Kapuze steckte. Ein Gesicht, das keinem Menschen gehörte. Eine groteske blutrote Maske an dessen Wangen schwarze Linien wie teuflische Tränen hinabliefen und um dessen Augenlöcher ebenso tiefschwarze Ringe geschmiert waren. In deren Mitte blitzten die aufgerissenen Augen des Wanderers durch die Löcher. Ich konnte nur diesen einen Blick auf das werfen, was er unter seiner dunklen, mit kryptischen Mustern verzierten Kapuzenrobe zu verhüllen versuchte. Der Vermummte stieß abermals ein gedämpftes Krächzen aus, das kaum noch an ein Husten erinnerte, und entzog sich meinem Blickfeld.

Es war wieder finster und noch hatte ich nicht den Mut meine Lampe einzuschalten. Noch halb festgefroren in einer Starre aus Schock und Verwunderung tastete ich nach meiner Ausrüstung. Mich peitschte eine Woge der Überraschung als ich verzweifelt danach suchte. Ich musste meinen mich leitenden Faden in diesem hektischen Augenblick, in dem ich diesem mysteriösen Wanderer auflauerte, irgendwo liegen gelassen haben. Ich sah in Richtung des schwindenden Fackellichts und erhob mich mit erdrückendem Unbehagen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Die Enthüllung am DunkelfelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt