Der Gang führte jedoch, entgegen meiner Vermutungen, nicht hinein, sondern hinunter. Es war eine abfallende Sackgasse an deren Ende sich ein großes künstlich geschaffenes Erdloch im Boden befand. Die Pforte ins Erdreich war mit Fackeln ausgeleuchtet, ich konnte also meine Petroleumlampe verstauen und den steilen Abstieg wagen.
Die ersten Meter stapfte ich durch ein Gemisch aus Sand und Geröll und musste höllisch aufpassen, dass ich nicht abrutschte und den Schlund hinabfiel. Mit einer Hand an der Wand entlang tastend ging es immer tiefer und tiefer durch den Stollen. Die Gefälle nahm dann etwas ab und der Gang wurde breiter, doch ich musste immer noch etwas geduckt gehen um mir nicht den Kopf zu stoßen. Je weiter ich eindrang, desto unbehaglicher war mir zumute. Die Luft hatte einen ekligen Nachgeschmack und die Wände wurden ungewöhnlich feucht. Und dieser Geruch... Ich konnte ihn nicht zuordnen, wusste aber, dass er nichts Gutes verhieß. Der Stollen beschrieb eine leichte Biegung. Was ich dahinter fand ließ mir den Atem stocken.
Plötzlich mündete der unterirdische Gang in einen fackelbeleuchteten Hohlraum und ein riesiges steinernes Gewölbe erstreckte sich vor mir. Ungefähr acht Meter in der Breite, vier bis fünf Meter hoch und einer Länge, die ich von der Mündung nicht schätzen konnte. Es wirkte wie ein teils eingestürztes Verlies aus altertümlichen Zeiten. Reste des verfallenen Saals lagen überall verstreut. Kalte Luft strömte mir entgegen und erstickte meine Sinne in dem beißenden Gestank. Die Fackeln an den Seitenwänden erhellten mehrere Rundbögen unter denen weitere Tunnel abzweigten. Ich wagte angesichts der mich verschlingenden Atmosphäre, die meinen Verstand überwältigte, keinen einzigen klaren Gedanken zu fassen und wurde unter einem Gefühl von bedrückender Isolation begraben. Mir war, als ob ich eine andere, verborgene Welt betreten hätte.
Ich erschrak bei dem Klang von Stimmen, die einen der Seitentunnel hinauf hallten. Intuitiv presste ich mich hinter einen Rundbogen, dessen Tunneleingang schon seit sichtlich langer Zeit eingestürzt war. Die Stimmen gewannen an Intensität und formten nun klare musikalische Laute. Ich lugte um die Ecke und konnte beobachten, wie eine Gruppe in Roben gehüllter Gestalten den Raum betrat. Im Gänsemarsch einer sakralen Prozession, mit einem Fackelträger an der Spitze, zogen sie durch das Gewölbe. Ihre Stimmen drangen gedämpft unter den diversen scheußlichen Maskenfratzen hervor, die Ähnlichkeiten mit der des Wanderers aufwiesen. Schmerzverzerrte, manisch lachende oder entsetzt schreiende Grimassen, beschmiert mit dunklen Flecken und teilweise verdeckt von weiten Kapuzen. Von den Schultern hingen Roben, Umhänge oder Mäntel in dunkelbraunen Farben und verhüllten gänzlich den Körper. Schwere Stiefel stampften durch den Saal auf den gegenüberliegenden Tunnel zu. Ich hatte Glück, dass sie mich nicht bemerkten. Wohl eher aufgrund ihres begrenzten Sichtfeldes und der Vertiefung in ihren Gesang und weniger wegen meinem Versteck, das ich in der Hast nicht gut gewählt hatte.
Es wurde wieder ruhiger. Sie waren fort, in einem der Stollen verschwunden. Mein Wille blieb trotz der Situation unerschütterlich. Ich ließ mich nicht von diesem Pack einschüchtern, doch ich wusste, dass ich mich vorsehen musste. Ein Fehler und sie könnten mich entdecken. Und wer weiß, was sie dann mit mir machen würden. Sie gehörten allem Anschein nach einem eigenartigen Kult an und praktizierten ihre grausigen Riten wohl unter dem Tunnelgedärm. Sobald die Schar in sicherer Entfernung war, schlich ich ihr hinterher.
Nachdem ich eine relativ weite Strecke zurückgelegt hatte, kam ich zu einer Abzweigung. Fußspuren verrieten, dass die Prozession vom primären Stollen abgebogen und hinter einer schweren Metalltür verschwunden ist. Ich konnte den Gesang bis hinaus hören und vermutete, dass dieser Raum der Kern ihrer Machenschaften war. Nach kurzer Überlegung fasste ich jedoch den Entschluss, nicht den einfachen aber riskanten Weg durch die Tür zu nehmen, sondern dem Hauptstollen weiter zu folgen. Mein Instinkt trog mich nicht. Unweit fand ich ein Loch in der Wand, groß genug, um hindurch kriechen und den angrenzenden Raum betreten zu können.
Als ich mich durch die Öffnung zwängte, tauchte ich in einen Schwall feuchter Luft ein. Der Hohlraum dahinter, der nach einer verstaubten kleinen Vorratskammer aussah, hatte ein völlig anderes Klima im Vergleich zu den kühlen Tunneln des Verlieses. Eine schwüle Atmosphäre erfüllte die unterirdische Kammer und der fremde Gestank war hier nahezu unerträglich. An einer Wand waren in kunstvollen Regalen mehrere Dutzend fest verschlossene Tongefäße aufgeschichtet, deren dekorative Bemalung aus schreienden Gesichter mich angafften. Ich fragte mich, ob man gerade für deren Lagerung eine solch tropische Luftfeuchtigkeit eingerichtet hatte. Bei näherer Untersuchung versuchte ich eines der Gefäße zu öffnen, stockte aber nachdem ich etwas Erschreckendes bemerkte. Ich spürte die dumpfen Vibrationen von Bewegungen im Inneren. Als ob etwas Lebendiges sich darin schlängelte oder über die Innenwand strich. Ein verschreckter Schritt zurück ließ mich beinahe über einen weiteren Behälter auf dem Boden stolpern. Doch dieser war offen. Stinkend und von widerwärtigem Schleim triefend lag er im Dreck. Ich unterließ weitere Versuche, die Gefäße zu öffnen und weigerte mich, sie ein weiteres Mal anzufassen.
Nun widmete ich mich wieder meinem ursprünglichen Vorhaben. Am anderen Ende der Kammer war eine weitere Metalltür, hinter der sich der Raum befand, in dem die verdorbenen Früchte der Gesellschaft ihre okkulten Rituale vollzogen. Zuerst spähte ich durch das Schlüsselloch und sah, dass alle Anwesenden sich zu meinem Vorteil um etwas versammelten, das ich nicht erkennen konnte. Somit war es mir möglich, die Tür einen Spalt breit zu öffnen, ohne dass jemand in meine Richtung sah. Behutsam drückte ich die Klinke nach unten und war erleichtert, dass sie weder versperrt war, noch schrecklich quietschte. So spähte ich durch den Spalt und was ich sah, veränderte mich für immer.
DU LIEST GERADE
Die Enthüllung am Dunkelfels
HorrorEin übermütiger Wanderer verschwindet in den Wäldern der Dunkelfelsebene...