Eulen am Morgen

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Dies ist die Fortsetzung zu Collide. Wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat, sollte das besser erst tun. :)


Lily P.o. V.

Genervt stapfte ich nach oben in mein Zimmer. Das Walross war mal wieder zu Besuch und schlabberte die Gazelle ab.

Widerlich.

Von unten hörte ich noch die kichernden Worte meiner Schwester: "Oh nein, Vernie, nicht da, da bin ich kitzlig!"

Entsetzt schüttelte ich mit dem Kopf und ließ mich auf mein Bett fallen. Vernon Dursley war in letzter Zeit häufig bei uns. Er und Petunia waren nun schon zwei Monate ein Paar, wie sie mir täglich mit einem zufriedenen Blick unter die Nase rieb. Dauernd erzählte sie beim Essen von ihm, ganz offensichtlich mit dem bescheuerten Ziel, mich eifersüchtig zu machen.

Glaubte sie etwa, ich würde auch so einen Freund wie Vernon wollen? Merlin, bitte verschone mich!

Gestern Abend hatte sie tatsächlich genüsslich zu mir gesagt: "Nicht jeder kann so ein Glück haben wie ich, mit 18 Jahren schon die große Liebe zu treffen. Nicht wahr, Lily? Aber mach dir keine Gedanken, jeder Topf findet seinen Deckel!" Mit einem falschen mitleidigem Blick hatte sie sich dann elegant eine Kirsche wischen ihre dünnen Lippen geschoben. Meine Güte, wie sehr ich diesen dummen Spruch hasste! Eltern pflegten generell, diese Art von aufmunternden Worten zu verwenden, Petunia hatte es sich mittlerweile ebenfalls angeeignet.

"In deinem Fall ist dein Deckel aber etwas zu breit, um auf so einen dürren Topf wie dich zu passen, oder?", hatte ich daraufhin eiskalt zu ihr gesagt. Petunia hatte vor Verärgerung wie ein Fisch auf dem Trockenen geschnappt und sich kaum noch eingekriegt. Bei der Erinnerung an ihre fassungslosen gestotterten Worte musste ich breit grinsen.

Ein lautes Pochen riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich hochschrecken. Ich wirbelte zu meinem Fenster herum und juchzte augenblicklich los, als ich Remus' Bartkauz Gideon erkannte. Den Namen hatte er sich nicht selber ausgedacht. Nein, am Ende des letzten Schuljahres hatten James, Sirius und Peter ihm diese Eule geschenkt und darauf bestanden, dass der Name nicht geändert wurde. Es war lediglich ein Spaß gewesen, ein typischer Scherz der Rumtreiber. Zwischen Gideon und Remus war nie etwas gelaufen, doch wegen seiner anfänglichen verliebten Schwärmerei für den nun ehemaligen Hogwartsschüler zogen wir ihn noch immer auf.

Naja, was hieß 'wir'? Die Rumtreiber rissen ihre Sprüche und ich machte meine Späße, jeder für sich. Da gab es kein 'wir' mehr. Seit Marys Tod und meiner Trennung von James am Ende des fünften Schuljahres war unsere kleine Gruppe zerbrochen. Die vier Rumtreiber waren wieder unter sich, Alice hing noch mehr als früher mit Frank herum und ich verbrachte die meiste Zeit mit Marlene. Es passte einfach nicht mehr! So viel hatte sich seit diesem Sommer vor zwei Jahren verändert.

Mit Remus verstand ich mich jedoch immer noch gut, über die Ferien hatten wir uns eine Menge Briefe geschrieben. Wenn ich daran dachte, wie viele gute Freunde ich in der fünften Klasse gehabt hatte und dass von dieser Gruppe nur Marlene und Remus übrig geblieben sind, wurde mir ganz komisch zumute. Wer wusste schon, was in weiteren zwei Jahren sein würde?

Schweigens öffnete ich das Fenster und nahm Gideon den Brief aus dem Schnabel. Ich war sehr gespannt, was Remus mir schrieb.

Liebe Lily,

seit meinem letzten Brief hat sich nicht viel verändert - Ich sitze noch immer unter unserem Kirschbaum im Garten und lese. Was soll ich auch sonst anderes machen? In ein anderes Land zu fahren ist viel zu gefährlich für jemanden wie mich, außerdem muss Mum arbeiten und Dad hat Probleme mit den Todessern.

Wie war euer Urlaub in Italien? Ist der neue Freund deiner Schwester wirklich so unerträglich, wie du sagst? Ich kann mir das kaum vorstellen.

James, Sirius und Peter waren zum Glück für ein paarTage da, so war es nicht ganz so langweilig wie sonst. Ich hoffe, deine Sommerferien sind unterhaltsamer als meine und du verbringst ein paar nette Tage mit Marlene. Grüß sie lieb von mir, ja?

Wir sehen uns am ersten September.

Alles Liebe,

Remus

Mit der Zunge zwischen den Lippen und einem konzentrierten Blick in den grünen Augen schrieb ich ihm rasch eine Antwort. Dabei verzichtete ich darauf, ihn zu fragen, ob er dann am ersten September bei mir oder bei den Rumtreibern im Zug sitzen würde. Ich wollte ihm kein Ultimatum stellen, das wäre unfair. Er hatte seine Freunde und ich meine. Ich würde ihn ganz sicher nicht zwingen, sich zwischen James und mir zu entscheiden . . .

Außerdem hatte ich ja noch Marlene. All die Ereignisse in den letzten zwei Jahren hatten uns nur fester zusammengeschweißt. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was mit mir gewesen wäre, wenn sie mit ihrer Mutter nach Frankreich gegangen wäre. Egoistisch, ich weiß.

Das sechste Schuljahr war im Gegensatz zum fünften ruhig verlaufen. Ich hatte mich von James ferngehalten, auch wenn es am Anfang schwer gefallen war. Er hatte sich mit anderen Mädchen getroffen und ich - ich hatte mich hinter meinen Büchern verkrochen. Erfolgreich war ich mit Abstand Jahrgangsbeste geworden und hatte auf meinem Zeugnis nur 'Ohnegleichen' gehabt. Ich glaube nicht, dass wir während des ganzen letzten Jahres auch nur ein Wort miteinander gesprochen haben, und wenn, war es nichts Bedeutendes.

Es ging mir besser so. Die Welt war zwar nicht mehr so farbenfroh wie vorher, alles erschien mir viel blasser und weniger reizvoll. Aber es tat auch nicht mehr so weh. Ich blieb verschont vor der Angst zu fallen, der Schmerz nach dem Aufprall blieb ebenfalls aus. Ich musste mir keine Sorgen mehr machen, ob James andere Mädchen attraktiver fand. Ich war nicht gezwungen einen Gedanken daran zu verschwenden, ob wir auch genügend Zeit miteinander verbrachten.

Mein Leben war insgesamt ruhiger und entspannter geworden. Ohne James.

Ich hatte mich voll und ganz auf meine Schullaufbahn und die Widerstandsbewegung konzentriert. Ich hatte in Erinnerung an Mary geschwelgt. Mal lebte ich in der Vergangenheit, mal in der Zukunft.

Aber nie in der Gegenwart.

Und nun würde ich zum allerletzten Mal nach Hogwarts fahren. Fast wehmütig wartete ich mit dem Kopf auf die Hände gestützt auf meinen allerletzten Hogwartsbrief.

Als ich endlich am blauen Himmel eine Schleiereule entdeckte, erwachte alles in mir zum Leben. Ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingerspitzen auf das Fensterbrett und war kurz davor, gierig meine Hände nach dem Brief auszustrecken, als der Vogel endlich unser Haus erreicht hatte.

Nicht, dass ich so gespannt auf die Bücher des nächsten Schuljahres gewesen wäre.

Nein.

Ich wartete auf etwas ganz bestimmtes. Etwas, das mir auch sogleich in die Hände fiel, nachdem ich den Umschlag mit dem roten Siegel aufgerissen hatte. Glücklich jubelte ich und musste mich zusammenreißen, nicht wie ein kleines Kind durch das Zimmer zu hüpfen. Ich tat es dann aber trotzdem, einfach, weil ich sonst vor Freude explodiert wäre.

Dazu sang ich noch etwas schräg "From me to you" von den Beatles und prompt stand eine zornige Petunia bei mir im Zimmer.

"Was soll der Krach, Lily?", fuhr sie mich unwirsch an. Vernon stand dümmlich daneben und funkelte mich mit seinen kleinen Schweinsaugen an.

"Ach, Schwesterherz", seufzte ich und schob sie sanft rückwärts zur Tür hinaus. "Du kannst alles essen, aber nicht alles wissen, weißt du?" Wie gesagt, dumme Sprüche waren Petunias Spezialität, doch heute fand sie es aus irgendeinem Grund nicht witzig.

Ich hörte ihr keifendes Gefluche und Vernons gegrummelte Zustimmung noch, als die beiden bereits wieder auf der Treppe waren.

Doch es war mir dieses Mal einfach egal. Nichts und niemand konnte das breite Strahlen aus meinem Gesicht wieder wegkriegen.

Denn ich war Schulsprecherin geworden.

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