Verführung

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Lily P. o. V.

Mein Magen knurrte laut, während sich die leeren Bänke neben uns langsam füllten und die ausgehungerten Schüler ins Warme strömten.

Ich durfte nichts essen.

Ich musste stark bleiben.

Ich konnte nicht riskieren, heute noch mehr zu essen. Zu viele Kalorien. Mehr als genug für einen Tag. Was war da heute Morgen nur in mich gefahren? Aber - immerhin - hatte ich den Rest des Tages der Versuchung widerstehen können und stattdessen gefastet.

Der Grund, warum sich mein Bauch nun am späten Abend wie ein leeres, hungriges Loch anfühlte.

Wütend biss ich die Zähne zusammen und starrte auf den leeren Teller vor mir. Wenn ich jetzt der Versuchung nachgab, war alles umsonst gewesen. Wenn ich jetzt aß, würde ich nie so dünn werden wie Marlene.

Die ganze Einteilungszeremonie saß ich so mit gekrümmtem Rücken da und kämpfte mit mir selbst. Glaubt mir, es ist kein schönes Gefühl mit sich selbst zu kämpfen, gegen sich selbst anzukämpfen, sich selbst zu hassen.

Erst als der Sprechende Hut von McGonagall beiseite gelegt wurde und Dumbledore seine Ansprache hielt, entspannte ich mich etwas. War es denn so schlimm, wenn ich etwas aß? Hatte ich mir das nicht verdient, nach diesen langen Stunden des Hungers? Und ich würde jetzt ja gar nicht nur so essen, ich hatte ja wirklich Hunger. Ja, das hatte ich wirklich.

Und bei Hunger sollte man etwas essen. Eine logisch klingende Schlussfolgerung.

Mein letztes bisschen Widerstand schwand endgültig dahin, als sich die leeren Platten vor uns plötzlich mit den leckersten Speisen füllten. Es duftete nach Brathähnchen und Spiegelei, nach Obstsalat und Kürbissuppe, nach Schokopudding und Eiscreme.

Was sollte schon passieren?

Essen war gut. Essen war wichtig. Essen machte glücklich.

Wie ein wildes Tier stürzte ich mich auf die leckeren Sachen, häufte mir alles auf meinem Teller an, konnte gar nicht aufhören mit dem essen. Und, wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich es auch gar nicht.

Es war richtig befreiend, nach gefühlten Jahren mal so richtig reinhauen zu können. Und ich hatte mir das verdient, es war alles gut. Ich achtete gar nicht darauf, was ich aß, sondern nur darauf, dass ich aß. Irgendwann bemerkte ich Marlenes verdutzten Seitenblick und in mir stieg der Drang auf, mich rechtfertigen zu müssen. "Ich hatte den ganzen Tag nichts zu essen, okay?", fuhr ich meine beste Freundin an und wischte mir ertappt etwas Schokolade aus dem Mundwinkel.

Ich beugte mich wieder auf meinen Teller und zwang mich, langsam und etwas gesitteter meine Pizza zu essen, doch die Lust danach war mir vergangen.

Warum hatte Marlene so blöd gucken müssen? Fand sie mein Essverhalten unangebracht? Dachte sie, ich wäre gefräßig? Dachten die anderen Gryffindors das auch? Merlin, ich wollte nicht gefräßig sein! Die Vorstellung war grauenvoll und ziemlich abschreckend, sodass ich meine Pizza schließlich liegen ließ.

Der Scham trieb mir Tränen in die Augen.

Es war doch immer das selbe.

Ich traute mich kaum zu Remus hinüber zu sehen, der schräg gegenüber von mir saß und mich schon die ganze Zeit mit gerunzelter Stirn beobachtete. Klar, für ihn musste das alles völlig unverständlich sein: Erst weinte ich mich am Bahnsteig bei ihm wegen meinen Fressattacken aus und jetzt passierte es schon wieder?

In mir stieg ein Brechreiz auf und ich ekelte mich vor mir selbst, als ich all die benutzten Teller und leeren Schüssel und Platten in meinem Umfeld saß. Gott, wie erbärmlich.

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