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hallo :D schön, dass du auf meine geschichte gekommen bist :) ich hoffe, dass du freude am lesen hast!

DerTag, an dem mein Vater beerdigt wurde, war stürmisch und regnerisch.Jeder einzelne Trauergast hielt einen schwarzen Regenschirm übersich, um nicht nass zu werden und trotzdem tropften dem ein oderanderen Tropfen von der Nase.

Es konnten natürlich auch Tränensein, so sehr achtete ich nicht darauf. Ich stand neben meinemanderen Dad Lennart und versuchte zumindest halbwegs traurigauszusehen.

Nicht, dass ich es nicht war, mein Herz war in tausendTeile zerrissen und ich konnte nächtelang kaum schlafen, weil ichviel zu sehr mit Weinen beschäftigt war, aber im Moment fühlte ichmich taub.

Der Pfarrer sprach einige letzte beruhigende Worte, bevorder Sarg endgültig in die Erde gelassen wurde und sich die Menschenum mich herum langsam in Bewegung setzten.

Viele schüttelten Lennartmitleidig die Hand und bedauerten sein Schicksal, erst seinen Ehemannverloren zu haben und nun auch noch ganz allein mit einerpubertierenden Tochter klarkommen zu müssen.

Ich wurde zwar auchangesprochen, hatte allerdings nicht die Kraft, irgendetwas zu sagen.Als wir an unserem Auto angekommen waren, sah mich Dad einen Momentdurch einen Schleier von Tränen an.

Seine Augen warenblutunterlaufen, er hatte sich länger nicht mehr rasiert und seineHaut wirkte unwirklich grau. Ich schreckte jedes Mal bei seinemAnblick zusammen. „Es tut mir so leid", flüsterte er kaumhörbar, dann öffnete er die Tür und stieg ein.

Zum Surren derKlimaanlage schlängelten wir uns durch den Verkehr von Orlando,während wir beiden unseren Gedanken nachhingen und stumm aus demFenster starrten.

Irgendwann brach Dad das Schweigen. „Ich hab mirwas überlegt." Ich warf ihm einen Seitenblick zu, auf dasSchlimmste gefasst. Wenn er in seiner jetzigen Verfassung Pläneschmiedete, konnte da nichts gutes bei rauskommen.

„Wir wäre es,wenn wir umziehen würden?" Er sagte es so unverblümt undnebenbei, als hätte er bloß beschlossen, rote Rosen auf Hales Grabzu legen anstatt gelbe. Ich starrte ihn mauloffen an.

„Das soll einScherz sein, oder?", fragte ich völlig fassungslos, aber er sahvollkommen ernst aus. „Nein, das soll kein Scherz sein. Ich glaube,dass uns ein Ortswechsel gut tun wird." Ich musste erst einmalschlucken.

„Nein", sagte ich dann. „Du kannst von mir aus bisnach Australien auswandern, aber ich bleibe hier." Und damit stiegich, da wir günstigerweise gerade an einer roten Ampel hielten, ausund lief durch den strömenden Regen allein nach Hause.

Natürlichwar Dad schon vor mir da und saß bereits auf der Couch, als ich dieHaustür aufschloss. Er machte ein unglückliches Gesicht, sobald ermich bemerkte.

„Was sollte das?" Die Strenge in seiner Stimmeließ mich aufhorchen, doch dann zuckte ich nur mit den Schultern.„Ich hatte Lust, allein zu sein", antwortete ich schwach, wassogar der Wahrheit entsprach.

Dad seufzte. „Es war ja nur einVorschlag. Wenn du unbedingt hier wohnen willst, bleiben wir",beruhigte er mich und breitete seine Arme zu einer Umarmung aus, aberich ging nicht auf diese Einladung ein, sondern hastete schnurstracksdie Treppe hoch und schloss mich im Bad ein, um in Ruhe duschen zukönnen.

Abends erst ließich mich wieder unten blicken, wo er in der Küche stand und kochte,was an sich eine süße Geste war, mich im Augenblick aber nurnervte.

Er tat so, als sei alles beim Alten und umgarnte mich, ohnezu merken, dass ich lieber für mich blieb. „Ich mache Lasagne, dasisst du doch so gerne!", rief er mir zu und klang so begeistert,als wolle er jetzt eine besondere Auszeichnung dafür kriegen.

Falsch. Das war Hales Lieblingsessen. Ich schluckte denKommentar hinunter und half ihm stattdessen beim Tischdecken.

Erkonnte nichts dafür, dass Hale sich zwei Wochen zuvor erhängthatte. Er vermisste ihn genauso doll wie ich und wünschte sichwahrscheinlich nichts sehnlicher, als endlich wieder etwas spüren zukönnen, was nicht tiefer Schmerz, Enttäuschung und Trauer war.

Letzte Nacht hatte ich gehört, wie er im Bett gelegen undhemmungslos geschluchzt hatte und obwohl er mir leid getan hatte, warich in meinem Zimmer geblieben. Ich hatte ihn nicht stören wollen.

Wir aßen in einträchtiger Stille,jeder in seiner eigenen Welt, bis es plötzlich an der Türklingelte. „Ich geh schon!" Dad legte seine Gabel beiseite undstand auf.

Da unsere Wohnküche direkt ohne Flur an den Einganggrenzte, sah ich ohne Umschweife, wer uns besuchte. Es war Elena,eine Freundin von meinen Eltern, die ich allerdings ganz und garnicht leiden konnte.

Heute bei der Beerdigung war sie ihm nicht vonder Seite gewichen und ein paar ehemalige Schulfreunde von Hale, dienicht so viel aus seinem Privatleben wussten, dachten, Lennart seiebenfalls nur ein Bekannter und Elena seine Frau.

Das Lachen, dasjedes Mal ertönte, wenn jemand diese falsche Vermutung äußerte,klang so falsch, dass ich sie hatte erwürgen können.

Auch jetzt musste ich mich anstrengen, meine Wuthinunterzuschlucken, um sie halbwegs freundlich zu begrüßen. „Ichdachte mir, mal nach euch zu schauen und euch eventuell zu helfen",erklärte sie mit diesem übertriebenen Lächeln.

Dafür, dass geradeerst einer ihrer Freunde verstorben war, war sie extrem gut gelaunt.Wie sie mich ankotzte. Dad bedankte sich überschwänglich für dasAngebot und überredete sie, noch etwas zu essen.

Während die beidensich über alte Zeiten, wo sie noch am College waren, unterhieltenund Dad den ein oder anderen Seufzer losließ, verzog ich mich nachoben.

Dort warfich mich bäuchlings auf mein Bett und begann, hemmungslos zuschluchzen. Ich ließ all den Schmerz, den ich den ganzen Tag überangesammelt hatte, heraus, schlug auf mein Kissen ein und verfluchteGott dafür, mir einen der wichtigsten Menschen in meinem Lebengenommen zu haben.

Ein erstickter Schrei verließ meine Kehle, danachblieb ich erschöpft liegen und lauschte den Regentropfen, die nachwie vor gegen die Fensterscheibe klatschten. Für Florida war heuteein wirklich beschissenes Wetter, aber zufällig passte es genau zumeiner Stimmung.

Nach einer Weile klopfte es an die Tür. „Darcy?Schatz, darf ich rein?" Dad. Seine besorgte Stimme machte michnochmal um einiges deprimierter. „Ja", sagte ich schwach undschon betrat er mein Zimmer.

Auch er hatte geweint, seine Augen warennoch total rot und geschwollen. „Du musst nicht alleine weinen",säuselte er, als er sich auf meine Bettkante setzte und vorsichtigüber meinen Rücken strich. I

ch biss mir auf die Lippe und sah ihnreumütig an. Auf einmal tat es mir leid, ständig so abweisend zuihm zu sein. Er tat doch immerhin auch sein Bestes, um in dertäglichen Hölle zu überleben. Ich richtete mich auf und ließ michbereitwillig in den Arm nehmen.

Ein paar Minuten verharrten wir so,mein Kopf in seiner Halsbeuge und seine Arme um meine Hüftengeschlungen. „Ist Elena wieder weg?", wollte ich schließlichwissen. „Ja, sie kommt aber morgen wieder und hilft mir, ein paarSachen von Hale auszusortieren."

Bei dem Wort 'aussortieren'meldeten sich meine Alarmglocken. „Moment. Du willst Daddys Sachenwegwerfen?", fragte ich alarmiert, doch Dad schütteltebesänftigend den Kopf.

„Nein, ich will nur einige Dinge aufunseren Dachboden stellen. Weggeworfen wird nichts, zumindest vorerstnicht." Ich atmete halbwegs erleichtert auf.

Irgendwann warich müde genug, um sicher zu sein, in absehbarer Zeit einzuschlafen,weshalb Dad sich mit einem 'Gute Nacht mein Schatz' verabschiedeteund ich in einem von Hales Pullis, den ich aus seinem Kleiderschrankgeklaut hatte, ins Bett ging.

meinungen?


fluchtortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt