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Amnächsten Morgen war ich zwar total gerädert, aber trotzdem in derLage, aufzustehen. Ich schlüpfte in irgendeine Jeans, die zufälligauf dem Badezimmerboden lag, ließ den Pulli an und versuchte, meineMüdigkeit soweit mit Make up abzudecken, dass ich unter Leute gehenkonnte.

Dad hatte untenbereits Frühstück gemacht, das aus frischem Kaffee und Rühreiernbestand. Schweigend leerten wir unsere Teller und Tassen, dann war esfür mich an der Zeit, zur Schule aufzubrechen.

„Du musst nichtgehen, wenn du nicht möchtest. Der Arzt lässt dich garantiertkrankschreiben", versicherte Dad mir, als ich stöhnend meineSchuhe anzog, doch ich lehnte ab.

Ich war schon die gesamte restlicheWoche nur zuhause gewesen und ich hatte das Gefühl, darankaputtzugehen. Dad, der erst in drei Wochen wieder zur Arbeit (er warAnwalt) gehen würde, mochte es vielleicht helfen, allein Trübsal zublasen, aber ich brauchte Beschäftigung. Außerdem hatte ich keineLust, Elena zu begegnen.

Kaum dass ich das Schulgebäude betrat, wussteich, warum ich zuhause geblieben war. Gefühlte tausend Mitschülerkamen auf mich zu und erzählten mir, wie sehr ich ihnen leidtat.

Jedem einzelnen von ihnen wollte ich in die Fresse hauen, aber ichhielt mich zurück. Ich brauchte nicht noch mehr Stress, als ichsowieso schon hatte. Der Vormittag zog sich in die Länge wie einKaugummi und als es endlich zur Mittagspause klingelte, war ich kurzdavor, mich aus dem Staub zu machen.

Ehe ich das tatsächlich tunkonnte, fing mich Michelle ab, ein Mädchen, das ich früher mal zumeinen besten Freunden gezählt hatte, doch mittlerweile redeten wirkaum ein Wort miteinander. Dass sie jetzt so plötzlich zu mir geeiltkam, verwunderte mich.

„Darcy. Ich... ich wollte dir nur sagen, wieleid mir das mit Hale tut." Sie atmete einmal tief durch, weil siegerannt war, um mich zu erwischen, dann fragte sie: „Magst du mitJake und mir was essen?"

Sie lächelte mich an und ich versuchte,so gut es ging, das zu erwidern und stimmte schließlich sogar zu,auch wenn ich überhaupt nicht wollte. Jake war ihre neue Flamme,zwei Jahre älter als wir, im Abschlussjahrgang und besterQuarterback im Footballteam der Schule.

Ich hasste ihn, zum einen,weil er einer der Gründe war, warum Michelle mich plötzlichvergessen hatte und zum anderen, weil er der Typ Junge war, der erstHonig um deinen Mund schmiert und sich dann eiskalt verpisst. Dass eres jetzt schon seit acht Wochen mit Michelle aushielt, ohne sie zuverletzen, grenzte an ein Wunder.

Während die beiden sichoffensichtlich prächtig amüsierten und sich gegenseitig mit ihrerPizza fütterten, saß ich nur stumm neben ihnen und wünschte mir,dass sich ein Spalt in der Erde auftat und mich für immerverschluckte.

Natürlich passierte das nicht und so saß ich auchnoch die letzten beiden Stunden Mathe ab und schlenderte dann zumeinem Wagen, besser gesagt Hales.

Dad hatte mir erlaubt, ihn zuübernehmen, da er es nicht übers Herz brachte, ihn zu verkaufen undfand, dass er zu schade war, um nur in der Garage zu stehen.

Erwar ein silberner Mercedes und Hales ganzer Stolz gewesen. DieLedersitze, die er hatte extra anfertigen lassen, rochen immer nochnach seinem Aftershave und im CD-Spieler befand sich immer noch seineLieblingsplatte von 'The Fray'.

Ich drehte die Lautstärke voll aufund rollte vom Parkplatz. Ich erinnerte mich daran, wie Daddy mir dasFahren beigebracht hatte, wie ruhig er beim Erklären gewesen war undwie begeistert, wenn ich nach einer Fahrt uns wieder lebend heimgebracht hatte.

Ich stellte mir vor, wie er jetzt neben mir saß,leise die Songs mitsang und mich beobachtete, wie ich seinPrachtstück durch die Straßen Orlandos lenkte. Der Gedanke an ihnmachte mich unendlich traurig und mit einem Mal musste ich mal wiederschluchzen.

Um keinen Unfall zu bauen, fuhr ich rechts ran und lehntemich mit meinem Kopf gegen das Lenkrad, die Augen geschlossen und einGebet zum Himmel schickend.

Daddy ich vermisse dich so sehr. Sagmir, warum bist du gegangen? Warum haben wir deine Qualen erst zuspät bemerkt? Warum hast du dir nicht helfen lassen, dich nicht unsanvertraut?

Daddy, ich schwöre, wir hätten dir zugehört, dich ausdeiner schwierigen Lage herausgebracht und dich auf eine andere Arterlöst, als du es getan hast. Wir lieben dich doch! Sieh doch nur,wie unglücklich Dad und ich sind!

Lennart kann kaum schlafen undversucht, für mich stark zu sein, auch wenn ich weiß, wie schwacher in Wirklichkeit ist. Daddy ich habe Angst, dass ich deinemBeispiel irgendwann folgen muss.

Ich will nicht sterben, aber imMoment fühlt es sich so an, als sei ich schon längst tot, obwohl ichnoch atme.

Dieses Geständnis erschrecktemich zutiefst und ich schlug mir mit der flachen Hand gegen den Kopf,um es schleunigst aus meinem Hirn zu bekommen. Ich durfte nichtaufgeben. Nicht jetzt, wo Dad mich brauchte, um auch nichtaufzugeben.

Diesersaß mit Elena (was für eine Überraschung) auf der Terrasse undtrank gemütlich Kaffee. Als ich kam, lachte sie gerade herzlich überetwas und warf den Kopf in den Nacken, was Dad schmunzelndregistrierte.

Ich hätte sie abmurksen können, alle beide. „HalloSchatz, wie war dein Tag?", erkundigte er sich ungewöhnlichfröhlich, sodass ich den Verdacht hatte, Elena hatte ihm Grasuntergejubelt.

„Scheiße", erwiderte ich ehrlich, was Dadsübertrieben gute Laune dämpfte und Elenas Lachen verstummen ließ.„Möchtest du darüber sprechen?", bot sie sanft an, doch ichschüttelte nur den Kopf und verschwand im Haus, um nicht kotzen zumüssen.

Wie sie mir auf den Geist gingen, alle beide! Auf meinemZimmer kam ich glücklicherweise wieder zur Vernunft und konnte michsogar meinen Hausaufgaben widmen.

ZumAbendessen rief mich Elena, was eigentlich klar gewesen war, michaber trotzdem wütend machte. Ich hatte insgeheim gehofft, sie nichtmehr sehen zu müssen.

Doch da saß sie nun, neben Dad amKüchentisch, auf Hales Platz, in ihrem viel zu knappen, weißenKleid, die Haare zu einem Dutt zusammengebunden und ein Lächeln aufden Lippen.

Sie sah viel zu unschuldig aus, dafür, dass sie mirgerade die Laune verhagelte und erinnerte mich leider viel zu sehr anHale. Die Art, wie sie die Beine überschlug, mit den Augen klimperteund immer wieder kicherte.

Wenn er wollte, konnte Daddy genauso'kindisch' sein, nur ihm hatte ich es besser abgekauft. Bei Elenawirkte es einfach nur falsch. Zu allem Überfluss hatte sie auch nochgekocht, Asiatisch, was ich normalerweise liebte,jetzt allerdings am liebsten ausgespuckt hätte.

Die beiden schenktenmir nicht gerade viel Beachtung, wie Michelle und Jake vorhin. Es warein einziger Stich im Herzen, zu wissen, dass Dad lieber Zeit mitdieser blöden Kuh verbrachte, als sich um mich zu kümmern.

ich weiß, dass es sehr traurig ist, aber das wird sich ändern :) meinungen? ♥

fluchtortWo Geschichten leben. Entdecke jetzt