Kapitel 2

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„Gehören die alle dir?" Melody stand neben mir und starrte ungläubig auf den Stapel Bücher, der sich ihr darbot. „Irgendwie schon, ja..", erwiderte ich zögernd, unwissend wie ihre Reaktion ausfallen würde. Sie starrte noch einen weiteren Moment darauf ehe sie sich schulterzuckend umdrehte und zu ihrem Abschnitt des Zimmers hüpfte. „Ich hatte noch nie eine Freundin, die gelesen hat. Find ich cool. Ein bisschen nerdig, aber cool." Erleichtert atmete ich auf und begann meine Bücher sorgfältig neben meinem Bett zu stapeln, peinlichst darauf bedacht, ihnen keinen Schaden zuzufügen. Ich hasste Leserillen, Eselsohren oder beschädigte Buchumschläge. Für mich war schon immer unklar, wie Menschen so mit Büchern umgehen können.

„Hast du vielleicht Lust heute Abend auf eine Party zu gehen?", fragte mich Melody unerwartet als ich mich umdrehte. „Cole Wilson hat sturmfrei und so gut wie den halben Campus eingeladen. Ich könnte dir ein paar Leute vorstellen und somit könnte auch ich dich ein bisschen besser kennenlernen. Viel weiß ich ja noch nicht über dich, außer, dass du April, um genau zu sein April Thompson, heißt und ein kleiner Buchfreak bist. Würde mich auf jeden Fall freuen." Panisch durchforstete ich mein Gedächtnis nach einer passenden Ausrede. Schon allein der Gedanke an eine Party versetzte mich in Angst und Schrecken.

„Tut mir leid aber ich bin echt müde.", versuchte ich mich rauszureden. „Außerdem geht in ein paar Tagen der Unterricht los, weshalb ich mich gern vorbereiten und noch ein bisschen auf dem Campus umschauen möchte." Daraufhin sah sie mich mit einem Schmollmund an und startete einen weiteren Versuch mich zu überreden. „Ach komm schon! Es wird total viel Spaß machen, ich verspreche es dir." „Beim nächsten Mal", versuchte ich sie zu besänftigen und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „Wie du meinst, aber du wirst definitiv etwas verpassen!" Da bin ich mir nicht so sicher, dachte ich, sprach es aber nicht laut aus.

Nachdem ich mir eine warme Jacke angezogen und einen Schal um den Hals geschlungen hatte, machte ich mich auf den Weg in die immer kühler werdende Herbstluft. Auf dem Campus war es menschenleer und ich war dankbar für die friedliche Stille um mich herum, so konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Seit dem ich aus West Virgina losgefahren war, hatte ich keine ruhige Minute für mich allein gefunden. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich nicht von unangenehmen Fahrbegleitern im Zug vollsabbern oder dauerhaft schreienden Babys ankotzen zu lassen.

Seit Tagen fieberte ich nun schon auf diesen einen Tag hin, an dem ich endlich ein neues Kapitel in meinem Leben beginnen konnte. Mein Dad tat sich unglaublich schwer damit, mich gehen zu lassen aber ich brauchte einfach Abstand aus meiner Heimat, um endlich wieder atmen zu können. Zu viel verband mich mit der kleinen Stadt Charleston..

Bei dem Versuch meinen Gedanken zu entfliehen, steuerte ich auf ein ziemlich auffälliges Gebäude zu, das sich deutlich von den anderen abhob. Ich öffnete die Tür und ein unvergleichlicher Geruch schlug mir entgegen, den ich überall wiedererkennen würde. ...Bücher... Euphorisch schritt ich weiter hinein und ließ meterhohe Wände voller Bücher auf mich wirken. Ein Gefühl der Vertrautheit durchströmte mich und es fühlte sich an, als wäre ich zu Hause. Ich lief durch die Gänge, stöberte durch ein paar Bücher und ließ mich letztendlich mit einem ausgewählten Buch auf einen Sessel nieder und begann zu lesen...


April & EthanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt