Kapitel 1

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„Nein!", schrie sie laut und ein Klirren ertönte.

Toby presste sich die Hände auf die Ohren, doch er hörte die Scherben trotzdem zu Boden prasseln. Seine Mutter hatte wohl einen Teller geworfen.

„Du hast mit dieser Schlampe geschlafen, ich weiß es! Du brauchst jetzt nicht wieder angekrochen kommen!"

Sie schluchzte. Durch den kleinen Türspalt beobachtete Toby, wie der Schatten seines Vaters über die Wand tanzte.

„Liebling, bitte, ich..." Die tiefe Stimme seines Vaters klang verzweifelt.

Toby schluckte und rutschte von seinem schmalen Bett. Mit zwei schnellen Schritten hatte er sein winziges Zimmer durchquert und kniete sich vor dem Tisch auf den Boden.

„Nenn mich nicht so!", schrie seine Mutter. Eine Tasse flog gegen die Wand.

Der Vater schrie auf.

„Spinnst du?!", brüllte er, völlig aufgebracht.

Toby zog mit zitternden Händen einen vollgepackten Rucksack hervor. Tränen rannen über seine Wangen.

Seine Mutter schluchzte.

„Lass mich doch einfach in Frieden!"

„Bitte, ich kann es erklären, ich..."

„Raus! Ich will dich nie, nie wiedersehen!"

Der gescheiterte Vater redete leise auf sie ein, Toby verstand kein Wort. Doch es war ihm jetzt auch schon egal. Er wollte weg.

Toby spähte vorsichtig in den engen Flur. Die graue, fade Tapete blätterte von den Wänden ab. Ein leerer Bilderahmen mit zersrpungenem Glas hing schief an einem Nagel. Der völlig verblichene Teppich am Boden war übersät mit Brandflecken und der Geruch nach Rauch strömte aus der Küche.

Seine Mutter schluchzte wieder und hustete. Sie war schwerkrank und konnte sich keinen Krankenhausaufenthalt leisten, doch sie rauchte trotzdem bis zu zwei Packungen am Tag.

Tobys Vater versuchte weiter mit ihr zu reden, doch sie ignorierte ihn.

Langsam zog Toby die Tür zu und sah sich ein letztes Mal in seinem Zimmer um. Dann nahm er den Rucksack vom Bett und warf ihn sich um. Er sah auf das andere, leere Bett, das gerade noch in dem Raum Platz fand, und dachte an seinen Bruder. Seit er vor zwei Jahren ausgerissen war, hatte er ihn nie wieder gesehen. Seine Mutter sagte, er war tot.

Lautes Krachen und Geschrei aus der Küche riss ihn aus seinen Gedanken. Er öffnete er das Fenster und blickte hinunter auf den metallenen Müllcontainer, der in der engen Seitengasse stand.

Es war stockfinster, doch trotzdem sah Toby eine Ratte davonhuschen. Vor dem eingeschlagenen, dunklen Fenster gegenüber saß eine einäugige schwarze Katze und starrte ihn an.

Toby holte Luft und hockte sich aufs Fensterbrett. Dann ließ er sich hinuntergleiten.

Mit einem dumpfen Klang kam er auf dem Müllcontainer auf und rutschte auf den aufgesprungenen Asphalt hinunter. Blitzschnell rollte er sich in den dunklen Schatten ein paar Müllsäcke und hielt die Luft an.

Leise wurde das Gezeter seiner Mutter durch das offene Fenster hinausgetragen. Sie hatten seine Flucht nicht bemerkt. Noch.

Toby schluckte und rappelte sich auf.

Er tat es tatsächlich. Er rannte weg.

BandenkriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt