Zwei Kinder rennen nebeneinander her, die Hände miteinander verschränkt und ein ausgelassenes Lachen im Gesicht. Die kurzen schwarzen Haare wirbeln vom Wind zerzaust um ihre Köpfe, einige herbstlich verfärbte Blätter haben sich in den Strähnen verfangen und zieren wie Kronen die Häupter der beiden Jungen. Um sie herum erstreckt sich eine weite Ebene, die gelben Gräser reichen den Beiden bis zu ihren Knien und wiegen sich wie die Wogen eines Meeres. Die Kinder sehen sich so ähnlich, als wären sie Zwillinge – und so fühlen sie auch – und allein der deutliche Größenunterschied erklärt, dass dem nicht so ist. Als der kleine Junge stolpert, hilft ihm der Andere sofort hoch und redet sanft auf ihn ein. Er ist älter und fühlt sich schon jetzt verantwortlich für seinen besten Freund.
Das Bild löst sich auf, als winzige Wellen die Fläche verzerren bevor diese sich wieder glättet.
Der kleine Junge ist nun schon etwas größer und trägt eine Schuluniform. Mit wachem Blick und einem breiten Lächeln steht er vor dem gewaltigen Schultor der Mittelschule – eigentlich ist es gar nicht so groß, aber der Junge ist noch sehr klein und er muss fast seinen Kopf in den Nacken legen um die Metallspitzen zu erkennen. Das Tor ist nicht abgeschlossen, aber er würde sich unsicher fühlen, wenn er alleine zwischen den größeren Schülern seinen besten Freund suchen würde. Immer mehr Schüler verlassen das Schulgelände und laufen oder fahren an ihm vorbei. Ungeduldig sich umschauend dreht sich der Kleine mal hierhin, mal dorthin. Schon seit einiger Zeit wartet er nun. Als er wieder zum Tor schaut rennt er auf den Jungen zu, der in Schuluniform und dem Lederrucksack auf dem Rücken zwischen den anderen Schülern durch das Schultor geht. Stürmisch umarmt er ihn und der Ältere schaut ihn überrascht an. Der kleine Junge grinst ihn an woraufhin der Größere auch anfängt zu lächeln und seine Hand nimmt.
Plopp. Der kleine Tropfen zerstört das Bild und versinkt. Nach ein paar Sekunden ist die Fläche jedoch wieder spiegelglatt.
Der Junge spielt unbewusst mit seinen Händen während er von der Tribüne aus dem Basketballspiel zuguckt. Dabei beobachtet er eigentlich nur seinen besten Freund, der eigentlich gar nicht so viel Sport macht, aber den Sport den er macht kann er dann auch ziemlich gut. Die geschmeidigen Bewegungen des beinah Zwanzigjährigen lassen den sitzenden Jungen ihn wie hypnotisiert anschauen und jedes Detail in sich aufnehmen. Als das Spiel beendet ist, springt der Junge auf und läuft zu dem jungen Mann. „Baek-Hyun!" Er grinst den Jungen an, Baek-Hyun grinst zurück. Für dem Jungen ist Baek-Hyun mehr als nur sein bester Freund. Er war für ihn immer wie ein großer Bruder - bis er gemerkt hatte, dass er Baek-Hyun mehr als nur freundschaftlich-brüderlich mag. Bis jetzt hat er es ihm noch nicht gesagt, schließlich ist Baek-Hyun sechs Jahre älter... Doch heute will er gestehen. Er weiß, dass wenn der Andere nicht auch so fühlt, sie trotzdem noch Freunde bleiben - für einen Abbruch der Freundschaft zwischen ihnen kennen sie sich viel zu lange und zu gut. Einige Minuten später stehen die beiden Jungen allein auf dem Spielfeld, es herrscht ungewöhnlicherweise Stille. "Hyung... ich mag dich..."
Ein leiser Schluchzer. Seine Augen schließen sich. Plopp. Seine Augen öffnen sich wieder und betrachten schmerzerfüllt das Wasser, dessen Oberfläche sich langsam wieder glättet.
Mit einem Strahlen im Gesicht läuft der Siebzehnjährige zum Park. Wieder einmal erinnert er sich an das Versprechen. Das Versprechen von Baek-Hyun. Der Junge summt eine fröhliche Melodie vor sich hin. Er freut sich, Baek-Hyun nach den Sommerferien endlich wiedersehen zu können - weil er mit seiner Familie Urlaub gemacht hatte konnte er seinen Hyung wochenlang nicht treffen. Als er zum verabredeten Platz kommt, ist sein bester Freund noch nicht da. Er schaut sich um und entdeckt den hellbraunen Haarschopf etwa hundert Meter entfernt. Er hebt schon seine Hand zum Winken, als er den jungen Mann neben ihm bemerkt, dessen Arm um die Hüfte von Baek-Hyun geschlungen ist. Der Junge kann das glückliche Lächeln der Beiden schon von Weitem erkennen und sein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Sein Arm fällt kraftlos herunter. Dann kommen die Beiden bei ihm an und der fremde Junge löst sich von Baek-Hyun. Vorsichtig schaut Baek-Hyun ihn an. Die Hände des Jungen ballen sich unter dessen Blick zusammen. "Das ist Se-Hun." Eigentlich sieht der große Junge neben Baek-Hyun sympathisch aus. Aber nicht unter diesen Umständen. Die Unterlippe des kleineren Jungen zittert. "Du hast es mir versprochen!"
Plopp-Plopp-Plopp. Die Tropfen fallen auf die Oberfläche und verzerren das Bild. Das Gesicht bleibt unbeweglich. Die Augen erfüllt ein Chaos.
Die weißen Wände, die Plastikbänke, die Arbeiter in weißen Kitteln, die verschiedenen Gesichtsausdrücke der Menschen - alles an dem Krankenhaus verabscheut der Junge. Denn dort sind Menschen die verletzt oder krank sind. Doch der Junge nimmt nichts mehr wahr um sich herum, sein Blick starr auf den Boden gerichtet, der Körper zittert vor Anspannung. Immer wieder laufen ihm Tränen über die helle Haut seiner Wangen. Vor ihm steht ein Arzt. Als er anfängt zu sprechen zuckt der Junge zusammen und schaut ruckartig auf. Er kann nichts sagen, so eng ist seine Kehle. Nichts hat ihn auf die Worte vorbereitet, die nur langsam in seinen Verstand eindringen. Für einige Momente starrt er den Fremden vor sich ungläubig an. "Baek-Hyun ist nicht tot! ER IST NICHT TOT! NEIN!"
Das Gesicht des Jungen verzerrt sich und die Tränen die ihm über die Wangen fließen tropfen stetig auf das im Wasser. Durch den verschleierten Blick sieht der Junge die Bewegungen des Wassers, wenn die Tropfen hineinfallen. "Baek-Hyun...", flüstert er mit gebrochener Stimme. Zwei Hände fassen ihm sanft auf die Schultern und drehen ihn langsam herum. Die Person kann der Junge nicht erkennen, doch das warme Gefühl der Umarmung ist vertraut. Seine Finger krallen sich in den Rücken des anderen Jungen, seine Arme drücken den Anderen noch näher und er vergräbt sein Gesicht in der Kuhle zwischen Hals und Schlüsselbein von diesem. "Baek-Hyun... Mein Baek-Hyun..." Der andere Junge drückt ihn leicht von sich und schaut ihm in die Augen. "Hwan-Hee, ich bin Chang-Hyun..." Nicht Baek-Hyun. Er wischt zärtlich die Tränenspuren von Hwan-Hees Wangen und drückt ihn von sich. Mit einer entschlossenen Bewegung zieht er den Stöpsel im Waschbecken hinaus. Aufmerksam beobachten beide, wie das Wasser in Bewegung gerät und in Strudeln in den Abfluss läuft, bis nur noch ein paar Tropfen verteilt sind, die im Licht der Deckenlampe wie Perlen glitzern. Hwan-Hee greift nach der Hand von Chang-Hyun und sie schauen sich an. Wie ein Mensch gehen sie mit gleichen Schritten langsam aus dem Zimmer. Auf den Lippen von Hwan-Hee liegt ein leichtes Lächeln. Die Dunkelheit des Gangs vor ihnen beschattet es und man kann den grausamen Zug in diesem Lächeln sehen.
"Se-Hun, du Bastard..."
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호수의 눈물 (Tränen der See) [OneShot]
FanficDie Unterlippe des kleineren Jungen zittert. "Du hast es mir versprochen!" [...] "Hwan-Hee, ich bin Chang-Hyun..." Nicht Baek-Hyun.