Kapitel 1 »Unter der Oberfläche«

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Es war ein, für Ende September, warmer Spätsommertag. Die Sonne erwärmte die Erde, während sich die Blätter der Bäume langsam von einem strahlenden grün zu einem herbstlichen braun-rot verwandelten. Immer wieder war ein Rascheln der Blätter zu hören, wenn eine Windböe durch die Baumkronen wehte. Der Himmel erstrahlte in einem wunderschönen blau, und ab und zu konnte man ganze Scharen von Zugvögeln beobachten, die den Weg in den warmen Süden suchten, um dem kalten Winter zu entfliehen. Doch das schien sie alles gar nicht zu bemerken.

Stefanie saß auf dem Bett, hatte die Decke ganz fest um ihren Körper gewickelt. Sie sollte sich eigentlich fertigmachen, doch sie saß weiter regungslos auf der weichen Matratze. Und das alles nur wegen einer Person. Thomas. Ihr bester Freund. Schon bei dem Gedanken an ihn, spürte sie wie ihr Herz schneller schlug und sich Tränen in ihren Augen sammelten. Was war denn plötzlich los? Wieso musste das alles so kompliziert sein? Wieso konnte nicht endlich alles gut sein? Sie kuschelte sich enger in eine Decke und sah aus dem Fenster, während die Tränen weiter unaufhörlich über ihre Wange liefen und sie weiter mit ihren Gedanken abdriftete. Mal wieder landeten sie bei ihm, wie all die letzten Monate auch. Es fühlte sich an, als würde es nur noch ihn geben, als ob nichts anderes mehr für sie zählte, als ob sich ihre ganze Welt nur um Thomas drehen würde. Aber er war "nur" ihr bester Freund und zwar der Beste den man sich vorstellen konnte. Sie kannten sich ihr halbes Leben, haben soviel erlebt, soviel miteinander geteilt. Mit ihm konnte sie lachen, weinen und sie wusste, dass er alles stehen und liegen lassen würde, wenn sie ihn brauchte. Er war immer für sie da, wenn sie ein Problem hatte, nahm sie in den Arm wenn es ihr schlecht ging, stand ihr bei allem zur Seite. Bedingungslos. Er kannte ihre Schwächen, ihre Stärken und akzeptierte sie so, wie sie war.

Er behandelte sie anders als alle anderen, liebevoll und fürsorglich, weil sie seine beste Freundin war. Die Kleine, die er beschützen musste, die einzige Person die ihn in- und auswendig kannte und neben Hannes und Nowi die einzige Person, der er bedingungslos vertraute. Und Stefanie wusste, dass er zu seinen Freundinnen ganz anders war. Oft hatte es schon Streit gegeben, weil die Freundinnen von Thomas auf sie eifersüchtig waren, auf die Art wie er mit ihr umging. Einige Male wurde er schon vor die Wahl gestellt und jedes Mal entschied er sich für seine beste Freundin. So oft schon hatte er gesagt, dass sich niemals eine andere Frau zwischen sie stellen würde und er hatte es ihr bewiesen, immer und immer wieder. Sie fühlte sich wohl bei ihm, weil er ihr das Gefühl gab besonders zu sein, einzigartig. Schon als sie klein war, hatte sie sich immer einen Seelenverwandten gewünscht und jetzt war er da, einfach so. Sie und Thomas verband etwas Spezielles, etwas das nur sie beide hatten. Und sie hatte Angst, Angst davor diese Bindung zu verlieren, wenn sie ihm ihre Gefühle gestehen würde, da sie sich sicher war, dass er auf keinen Fall das gleiche für sie empfinden würde, nicht auf diese Weise. Sie wusste, dass diese Verbindung zwischen ihnen stärker war, als die zwischen ihm und jeder Frau, die er bisher kennengelernt hatte und trotzdem wollte sie ihm näher sein. Sie wollte die Frau an seiner Seite sein, wollte abends neben ihm einschlafen und morgens neben ihm aufwachen, sie wollte die Frau sein die ihn glücklich macht, die ihm zeigt was wahre Liebe wirklich bedeutet und doch wusste sie, dass das was sie hatte schon so viel war. Zudem war da noch die Angst, dass er sie nicht mehr als etwas Besonderes sehen würde, sondern nur als eine von vielen, obwohl er ihr schon so oft gesagt hatte, dass sie diesen "Sonderplatz" nie verlieren würde, egal was passierte.

Sie hatte Angst, dass er sie mit anderen Augen sehen würde, wenn sie ihm von ihren Gefühlen erzählt. Eine Angst, die eigentlich unbegründet war und doch konnte sie das Risiko nicht eingehen, zu viel stand für sie auf dem Spiel, zu viel könnte sie verlieren. Sie könnte ihn verlieren, ihre Freundschaft. Und das würde sie nicht ertragen, lieber würde sie für immer über ihre Gefühle schweigen, nur um diesen besonderen Platz in seinem Herzen zu haben.

Mit diesem Entschluss kam sie aus ihrer Gedankenwelt zurück, wischte sich die Tränen von den Wangen und zog sich um. Sie stand vor dem Kleiderschrank und wusste mal wieder nicht, was sie anziehen sollte. Alles schien nicht mehr gut genug zu sein, irgendwie zu langweilig. Letztendlich entschied sie sich für ein schwarzes Top, eine schwarze Hose und ihre geliebten Lederboots. Damit konnte man schließlich nicht viel falsch machen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie eigentlich schon viel zu spät war, also schminkte sie sich schnell, schnappte ihre Lederjacke und ihre Tasche und machte sich auf den Weg zum Proberaum um mit Thomas noch ein wenig an den Texten zu arbeiten.

Sie waren grade mitten im Albumstress, versuchten alles fertig zu bekommen, damit sie noch genug Zeit hatten, um für die anstehende Tour zu proben. Sie freute sich darauf, wenn endlich alles fertig war, damit sie endlich mal wieder durchatmen konnten. Zudem standen noch sehr viele Interviews und Promo-Termine an. Aber trotz dem ganzen Stress, den das Musikerleben mit sich brachte, würde sie es gegen nichts anderes eintauschen. Als nach draußen kam, wurde ihr zum wieder bewusst mit wem sie sich eigentlich gleich treffen würde. Verdammt, Thomas. Wie sollte sie mit ihm umgehen? Würde er merken, dass sie geweint hatte?

"Nein Steff, du schaffst das. Er ist dein bester Freund", sagte sie zu sich selbst während sie in die Bahn stieg. Sie musste es schaffen, sie musste einen Weg finden, ihre Gefühle zu unterdrücken, um ihn nicht ganz zu verlieren.

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