Kapitel 1

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,,Und das ist der grundlegende Unterschied zwischen Chemie und Physik", erklärte Madame Bustier gerade und zeichnete etwas auf die Tafel. Jedoch hörte ich nicht zu und blinzelte in die Strahlen der Sonne, die durch die Fenster in unser Klassenzimmer schienen. Es war der erste Schultag nach den Sommerferien und ich saß genau, wie alle Jahre zuvor, auf meinem Lieblingsplatz in der zweiten Reihe neben Alya und hinter Adrien. Alles hätte so schön sein können, aber das war es nicht.

Ich gab ein leises Seufzen von mir und ließ meine Gedanken zu gestern Nachmittag schweifen. Wenn ich damals gewusst hätte, dass so etwas Schlimmes auf mich zukommt, hätte ich mich vermutlich aus dem Staub gemacht. Aber so war es nicht. Leider.

Ich saß gestern ahnungslos in meinem Zimmer und arbeitete an einer neuen Jacke. Währenddessen redete ich mit Tikki über Adrien.

,,Er ist einfach perfekt, aber er beachtet mich gar nicht. Ich meine was will er denn auch von einer Bäckertochter? Mit Chloé wäre er wahrscheinlich glücklicher. Ich meine sie hat Geld und so ...", sagte ich gerade traurig, als ich Schritte auf der Treppe hörte und ich Tikki ein Zeichen gab, sich zu verstecken.

,,Marinette? Kommst du bitte runter!'', sagte meine Mutter gerade, als sie die Luke zu meinem Zimmer öffnete, ,,dein Vater und ich möchten mit dir reden."

Ich sah den Ernst in ihrem Gesicht und mir schwante Übles. In diesem Moment hätte ich einfach sagen sollen, dass ich keine Zeit habe, dann wäre das alles nicht passiert, aber ich Dummkopf ließ sofort alles stehen und liegen und folgte meiner Mutter ins Wohnzimmer. Dort wartete schon mein Vater auf mich.

,,Setz dich bitte, Marinette."

Auch er war ernst und wirkte ziemlich angespannt. Was war nur mit den beiden los?! Schon seit mehreren Wochen benahmen sie sich merkwürdig. Sie lachten nicht mehr und wirkten ständig nervös und mit ihren Gedanken ganz weit weg.

,,Was gibt's denn?", fragte ich misstrauisch.

Meine Eltern sahen sich kurz an und wurden noch nervöser.

,,Maman? Papa? Alles in Ordnung?" Plötzlich wurde ich auch furchtbar nervös.

Irgendwas war hier doch faul!

Meine Eltern mieden meinen Blick und ich starrte sie verständnislos an.

Endlich räusperte sich mein Vater und hatte sofort meine volle Aufmerksamkeit.

,,Vielleicht hast du mitbekommen, dass deine Mutter und ich in letzter Zeit nicht mehr so viel geredet haben."

Ja, das hatte ich allerdings. Nur wusste ich nicht, wieso.

Ich nickte kurz.

,,Und ähm ... ja ... wir ... äähm ..." stotterte mein Vater, was schon ungewöhnlich genug war, weshalb meine Mutter jetzt auch das Wort ergriff.

,,Dein Vater und ich werden uns trennen", sagte sie leise, aber bestimmt, ,,wir haben uns einfach auseinander gelebt und passen nicht mehr zusammen."

Ich spürte, wie sich mein Magen umdrehte. Plötzlich verstand ich, warum sie in letzter Zeit so abweisend zueinander waren. Ihre Gefühle füreinander existierten nicht mehr.

Das änderte jedoch nichts daran, was ich jetzt fühlte. Alles in mir war leer. Wie ein schwarzes Loch, welches anstatt meines Herzens da war und alles aufzusaugen schien. Ich unterdrückte die Tränen.

,,A-a-a-aber w-w-wi-wieso?"stammelte ich verzweifelt und konnte nicht mehr klar denken.

Meine Mutter seufzte leise.

,,Marinette", sagte sie sanft und sah mir dabei in die Augen, ,,Marinette, diese Entscheidung ist schon gefallen. Das ist eine Sache zwischen deinem Vater und mir. Es wird so oder so passieren."

Jetzt nahm ihr Gesicht einen traurigen Ausdruck an. Mir brach es fast das Herz als sie mich gequält anlächelte.

,,Ich hoffe, du kannst das verstehen und damit erwachsen umgehen."

Auf einmal sah sie mich nicht mehr an und schaute starr auf den Boden.

,,Da deinem Vater die Bäckerei gehört und ... und wir nicht mehr zusammen leben wollen ... muss ... sollte ... ich."

Sie geriet ins Stammeln und sagte dann gar nichts mehr.

Obwohl sie den Satz nicht zu Ende gesprochen hatte, wusste ich sofort, was sie mir mitteilen wollte: Nämlich das meine Mutter ausziehen würde. Und das wahrscheinlich ziemlich bald.

Jetzt hier im lichtdurchfluteten Klassenzimmer konnte ich meine Reaktion darauf nicht mehr verstehen. Ich schrie meine Eltern nicht an, ich bekam auch keinen Heulkrampf, sondern ging nach dem Gespräch langsam die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Ich spürte die Blicke meiner Eltern in meinem Rücken, drehte mich aber nicht nochmal um und verschwand einfach in mein Zimmer. Dort setzte ich mich erstmal an den Schreibtisch und designte meine Jacke weiter, als wäre nichts gewesen. Ich wollte die Information der Trennung meiner Eltern auf keinen Fall zu mir durchdringen lassen, weil ich dann wahrscheinlich anfangen zu weinen, und nie wieder aufhören würde.

Tikki kam auf mich zugeflogen und fragte mich, was passiert sei, aber ich saß nur stumm da und arbeitete an meinem Kleidungsstück weiter. Ich war mir sicher, dass Tikki gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmt, aber sie ließ mich den ganzen Abend in Ruhe und fragte nicht nochmal nach.

Später ging ich ins Bett und schlief erstaunlicherweise schnell ein. Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich die ganze Nacht wach liegen würde, doch ich schlief durch bis zum nächsten Morgen. Da wachte ich sogar zeitig auf, zog mich an und verschwand gleich Richtung Schule. Ich wollte meinen Eltern auf jeden Fall aus dem Weg gehen, bis ich mich emotional wieder im Griff hatte. Auf dem Weg zur Schule kickte ich gegen jeden Stein, den ich finden konnte und als ich an der Schule ankam, ging es mir schon besser. Steinekicken war eine echte Anti-Stress-Therapie!

Aber jetzt, wo ich im Klassenraum saß und über all das nachdachte, wurde mir plötzlich klar, dass ich noch gar nicht geweint hatte angesichts der traurigen Ereignisse. Das wunderte mich ein bisschen, da ich normalerweise eher losheulte.

Aber genau in diesem Augenblick kamen mir die Tränen.

Warum genau jetzt?! Ärgerlich wischte ich sie weg und bemerkte dabei Alyas prüfenden Blick.

,,Ist wirklich alles in Ordnung?" fragte sie mit besorgtem Blick zum gefühlt hundertsten Mal. Natürlich hatte sie sofort gemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmte, aber ich hatte ihr noch nichts von den gestrigen Ereignissen erzählt, und hatte es auch nicht vor.

Sie sollte es einfach noch nicht erfahren. Deshalb setzte ich mein bestes Fake-Lächeln auf und flüsterte, damit Madame Bustier mich nicht hören konnte: ,,Ja alles gut. Was soll denn sein? Mir geht es bestens."

Eigentlich ging es mir furchtbar, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.

Alyas Stirn lag zwar noch in Falten und sie sah mich skeptisch mit hochgezogen Augenbrauen an und innerlich machte ich mich schon auf ein Verhör gefasst, aber sie bohrte nicht nach und wendete sich wieder dem Unterricht zu.

Ich unterdrückte ein Seufzen und fühlte mich schuldbewusst. Ich hatte gerade meine beste Freundin belogen.

Konnte es denn noch schlimmer werden?

Ich dachte nach. Mein Leben war jetzt komplett auf den Kopf gestellt und ich überlegte, wie ich das alles schaffen sollte.

Am liebsten hätte ich jetzt meinen alten Teddybären Louis im Arm und hätte einfach darauf losgeheult. Aber sind wir mal ehrlich: Aus dem Teddybär-Alter war ich schon lange raus. Ich könnte natürlich auch ins Kissen heulen, aber mit Louis war das etwas ganz anderes. Trotzdem würde ich mich am liebsten unter der Bettdecke verkriechen und nie wieder rauskommen. Ich wusste zwar, dass das nicht gehen würde, aber ich wollte es dennoch probieren.

Verdammt! Wieso musste auch alles immer so kompliziert sein?

***

1. Kapitel: Check. Hoffe der Anfang gefällt euch!

Bis dann!

Miraculous MarichatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt