Ich parke mein Auto auf dem verlassenen Parkplatz der Lagerhalle. Nur vereinzelt stehen hier noch Autos und diese gehören den Mitgliedern meiner Gang, die hier trainieren. Und genau das habe ich jetzt auch vor. Trainieren und mich dabei von der Realität ablenken.
Mit meiner alten zerfetzten Sporttasche in der Hand gehe ich zügig auf die Halle zu. Da wir hier sowieso keine Heizung haben, ist es auch unnötig eine Tür zu benutzen, daher steige ich durch das eingeschlagene Fenster im Erdgeschoss hinein. Im Sommer ist es hier drinnen angenehm kühl, aber im Winter ist dieses Keine-Heizung-Ding unvorteilhaft.
Vorbei an all meinen Kollegen, die schon fleißig trainieren, schlendere ich auf die Umkleide zu, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann. Die sogenannte Umkleide besteht aus einer Vorhangstange, die gewaltsam zwischen zwei gegenüberliegende Wände gequetscht wurde und an dieser hängt ein löchriger Bettbezug.
Auch wenn es nicht das Beste vom Besten ist, schützt es trotzdem vor so manchen gierigen Blicken der Männer. Ganz so hilflos wie sich das jetzt anhört, bin ich aber nicht. Immerhin bin ich nicht die einzige Frau in der Gang, denn Marlene, meine beste Freundin ist ja auch noch dabei.
Als ich in das Leben der Unterwelt, ja alles Illegale wird bei mir als Unterwelt betitelt, einstiegen bin, ist Marlene mein letzter Hoffnungsschimmer gewesen. Nicht selten ist es vorgekommen, dass sie mir das Leben gerettet habe. Sie hat mir erklärt, wie das hier alles funktioniert, hat mich der Gang vorgestellt, hat mich anfangs trainert. Manchmal sehe ich sie eher als Mutter an, die ihrem kleinen Küken die große Welt zeigt und nicht als beste Freundin, mit der man einfach über alles reden kann.
Schnell entledige ich mich meiner Alltagsklamotten, schlüpfe in die schwarze Sporthose und ziehe mir ein ausgewaschenes T-Shirt mit dem Eifelturm als Aufdruck drüber. Mit Turnschuhen und Tape beladen, schiebe ich den Bettbezug der Umkleide mit dem Fuß zur Seite und tapse auf meinen weißen Socken durch die Halle.
Die gierigen Blicke der hier trainierenden Männer sind mir nicht entgangen. Nicht einmal als ich sie wissend angesehen habe und damit andeutete, dass zuhause ihre Frauen und vielleicht auch Kinder sehnsüchtig auf sie warten, sahen sie weg.
Ich schüttle bloß den Kopf, wende mich somit ab und schlendere weiter in den hinteren Teil der Halle. Dort hängen verteilt vier Box Säcke von der Decke. Heute trainiert nur einer hier. Es ist Daniel.
Ich gehe auf einen der Box Säcke zu und setze mich auf den Boden davor. Das Tape landet neben mir, ebenso einer meiner bereits durchgetretenen Turnschuhe, den anderen ziehe ich an. Der zweite Schuh folgt. Um meine Hände vor unnötigen Verletzungen zu schützen, wickle ich jeweils etwas Tape um meine Hände.
Daniel hat mich noch nicht einmal bemerkt. Das liegt wahrscheinlich an den Ohrstöpsel, aus denen ohrenbetäubende Musik dröhnt. Wie sonst auch immer hört er Metal, die beste Musikrichtung, die es gibt, wie er immer behauptet.
Ich beobachte ihn dabei, wie er mit aller Kraft auf den Box Sack einschlägt. Immer wieder, immer fester und mit mehr Wut, die sich in seinen Augen wiederspiegelt. Er schnauft wie ein Marathonläufer, sein Gesicht bereits rot vor Anstrengung.
Kurz überlege ich, ob ich ihm einfach die Stöpsel runterreißen sollte. Doch da ich mir seiner Reaktion nicht bewusst bin, ließ ich es lieber bleiben. Es könnte ja sein, dass er sich ruckartig umdreht, mich als Feind ansieht und als Box Sack missbraucht. Auf das verzichte ich liebend gern.
Ich beschließe, später mit ihm zu reden. Der schwarze Box Sack mit den zwei senkrechten roten Streifen, der ganz hinten in der Ecke von der Decke baumelt, ist einfach mein Favorit. Ich weiß, es ist echt albern einen Lieblings-Box-Sack zu haben, aber so ist es nun mal und nicht anders.
Zügig gehe ich ins letzte Eck, bereits als ich vor dem Box Sack zu stehen komme, kommt die ganze aufgestaute Wut des heutigen Tages wieder hoch. Der geschehene Tag spielt sich vor meinem geistigen Auge ab. Die ganze Scheiße, die meine Schwester heute wiedermal abgezogen hat, der verkackte Überraschungstest, nicht zu vergessen die sprechende Laterne und als Krönung des Tages, der Ausraster meiner Eltern.
Mir stieg es zu Kopf. Ich boxe mit aller Kraft auf den Box Sack vor mir ein, immer wieder, immer wütender. Als wäre es das Einzige, das mich vor meinem Tod bewahre.
Meine Gedanken schwelgen ab. Die Umgebung verschwimmt. Außer den Box Sack nehme ich nichts mehr wahr.
Ein Schlag für Chantal, einer für meine Eltern. Bei jedem Schlag wiederhole ich diese Wörter in meinem Kopf.
Mein Herz pocht wild, hämmert gegen meinen Brustkorb. Meine Atmung stockt zwischendurch vor Anstrengung. Der Schweiß rinnt mir über die glühenden Wangen. Meine Knöchel sind teilweise schon aufgeschunden, rot und schmerzen höllisch. Doch das alles ist mir egal, so konnte ich mich schon immer am besten abreagieren.
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The other side of my life
Teen FictionSchwarzes Schaf. Diese einfachen zwei Worte bringen mein Leben genauestens auf den Punkt. Nicht nur vom Äußerlichen her unterscheide ich mich deutlich von meiner Familie, auch vom Gemüt. Und anpassen konnte und kann ich mich anderen nun mal nicht so...