Marie Rousseau

259 40 29
                                    

Hey, na? Wollt ihr mal eine kleine Geschichte hören? Eine schöne? Dann setzt euch, - es ist Platz für jeden! Seid ihr auch alle da? Ihr müsst auch ganz genau aufpassen, bis zum Ende, ja? Es geht hier um Marie Rousseau, dem Mädchen aus der kleinen Stadt. 

Kennt ihr es nicht? Kann das sein? Marie Rousseau? Noch nie davon gehört? Das glaube ich nicht. Wirklich? Die Blumenbettwäsche und die Hummelfarm? 

In jedem von uns lebt doch eine Marie Rousseau, oder? Oder sagen wir anders; das Streben nach der unbegrenzten Freiheit, der Liebe, der Lust und dem Empfinden. Dem Streben danach endlich aus sich rauszukommen und das Leben in all den Facetten zu empfinden, welche es uns gibt! 

Kurz gesagt hat dieses Empfinden Marie Rousseau dazu veranlasst ihre Leben komplett zu verändern. 

Und ich spreche hier von wirklichem Verändern.

Sie hat einfach alles hingeworfen, die gute Marie!

Aber lest selbst;

Marie Rousseau war ein Kind eingewanderter französischstämmiger US-Amerikaner. Deshalb auch der Name „Rousseau", versteht ihr? Der ist nämlich französisch. Ganz wie ihr Vorfahre Jean-Jaques Rousseau, einer der berühmtesten und einflussreichsten Philosophen der französischen Revolution verstand sie es ebenso das Bild eines Menschen danach zu Beurteilen, dass er von grundauf eine guten Kern hat. 

Menschen sind eigentlich immer gut, bis sie durch Umstände, besondere, verdorben werden. Dann wird die schöne Blüte plötzlich schwarz, angefressen und von Parasiten besiedelt.

Aber dagegen kann man sich wehren! Wenn man nur anfängt das zu schätzen was man hat und sich nicht nach den Dingen sehnt, die einen schier glücklicher werden lassen.

Aber war es dann falsch, wenn man sein Glück versuchte?

Es gab etliche Parallelen und verschiedene Auslegungen der Aussagen von Marie und Jean, aber letztendlich waren sie vielleicht doch nur in einer Erbschaftslinie. Oder Jean hatte Marie mehr beeinflusst, als man sich vorstellen konnte. 

Marie setzte sich plötzlich, eines Nachmittags am zweiundzwanzigsten April in ihr rotes Auto, fuhr mit roten Lippen und einem blühenden Herzen davon. 

Später schrieb sie mal ihren Eltern, also habe ich gehört. Wohl nicht einen langen Brief verfasste sie, aber einen tiefen. Einen Text mit Bedeutung, versteht ihr?

Eigentlich war Marie immer ein glückliches Kind. So eins, welches sich voll in der Mitte der Gesellschaft befand. Zwischen Reichen und Armen, zwischen Beliebten und Unbeliebten. Sie entsprach dem Durchschnitt, der Norm. Sie war nunmal ein ganz normales Mädchen, ein schönes, liebes Mädchen. 

Aber genau das war es, was sie so quälte. Normal zu sein. So unglaublich schrecklich. Wie oft beneidete sie eigentlich die, die so viele Facetten hatte? Sie ärgerte sie nicht, nein, aber sie schritt auch nicht ein.

Warum war sie nicht irgendwas besonderes?

Marie fing dann an, nach ihrer Schule in dem Laden ihrer Eltern zu arbeiten. In einem kleinen Dörfchen auf dem Land, wo ihr Name wohl für immer unentdeckt bleiben würde. Ja, richtig, ich muss immer schön den Konjunktiv verwenden. Denn für Marie hat sich alles ja so viel anders entwickelt. Wirklich! 

Der Laden war eben so wie Marie; langweilig, normal, aber der einzige in ihrer Umgebung. Da gab es nur einen Laden, der diese Wurst verkauft hat, diesen Käse und diese Eier. Woanders gab es das nämlich nicht. 

Ihre Arbeit war richtig gut, sie bekam gutes Geld, lebte eine Etage über dem Laden ihrer Eltern und hatte auch täglich Kontakt zu ihren Freunden. Selbst frei nehmen konnte sie sich, einfach so - wenn sie es denn wollte. 

Aber dann kam einfach jener Tag, als sie ihre Augen öffnete in ihrem Schlafzimmer in ihrer Blumenbettwäsche und es ihr einfach nicht genug war. Sie konnte so viel mehr sein, sie konnte so viel mehr aus sich machen.

Am besten lässt sich das glaube ich beschreiben, wenn man sich ein Feuer vorstellt, was einfach plötzlich anfängt zu brennen. Es entfacht und kann nicht mehr so schnell gestoppt werden. Los Marie! Zeig deine Flamme, zeig dein Leben und dein Stolz!

Ich frage mich, was wohl der Funke war, der diese Flamme entzündet hatte. 

Sie stand auf, nahm sich ihren Koffer und verließ das Zimmer um elf Uhr. Sie ging die knarrende Treppe hinunter und öffnete die schwere Eichentür, legte dann den Koffer in das Auto und setzte ihre Brille auf. 

Wollt ihr wissen, was sie dann machte?

Sie fuhr die Straße gerade aus. Ja, einfach immer gerade aus. Sie bog nirgendwo ab, nein, nur immer die Straße hinunter. 

Hat das einer von euch schonmal gemacht? Sich einfach in sein Auto oder in einen Zug gesetzt um nur gerade aus zu fahren, wenn das Leben nur noch Kurven machte? Marie tat es und ja - bis heute hat sie es wohl nicht bereut. 

Am Ende kam sie nämlich in New Orleans raus, wusstet ihr das? Ach nein - das ist nur ein kleines Detail. Wirklich, sowas ist eigentlich total uninteressant, ebenso wie das Tempo des Autos mit dem sie die Straße lang fuhr. 

Manchmal musste sie langsamer fahren, dann wieder schneller und an gewissen Tagen tat sie genau das Gegenteil von dem, was man ihr vorgeschrieben hatte. So war Marie; ein Freigeist - die Entfaltung ihrer selbst in den Zeiten der Einkerkerung. 

Ich möchte kurz ein Ständchen auf Marie halten - nur ganz ganz kurz.

Marie; mach weiter so. Lass die Flamme, die in die brennt niemals verlöschen. Lass sie uns spüren - diese Flamme der Hoffnung und des Geschmackes unserer selbst! 

Marie; brenn' weiter. 

Im Nachhinein frage ich mich irgendwie, von wo sie das ganze Geld für ihre unermüdlichen Reisen her hatte. Ich meine; sie blieb nicht mal in New Orleans. Ich glaube heute noch fährt sie immer noch Straßen gerade aus, um irgendwann an ihr Ziel zu kommen.

Was ihr Ziel ist? Ich glaube das weiß nicht mal sie. Marie hat ein Ziel, was keiner von uns kennen dürfte.

Vielleicht hatte sie ihr Ziel aber auch schon längst erreicht; Marie zu sein. Die Straße des Lebens gerade auszufahren und niemals anzuhalten, auch wenn der Motor manchmal holprig wurde.

Ich bekam von Marie auch mal eine Postkarte. Sie saß an einem Fluss und ein Fotograph hatte sie abgelichtet - sie picknickte. Sie picknickte alleine - nur mit ihrem Auto.

Ich habe mich richtig bei ihre Wörter gefreut. Ihr geht es richtig blendend! Gerade sei sie wohl an der Westküste und wollte bald mal nach Übersee. 

(Ich frage mich immer noch, von wo sie das Geld hatte. Vielleicht hat sie ja eine Bank ausgeraubt. Zutrauen würde ich ihr es.)

Ihre Eltern haben den Laden übrigens geschlossen.

Nicht weil sie mussten, sondern weil sie ihn wohl zu langweilig fanden. 

Sie betreiben jetzt im Norden eine Hummelfarm. Ich wusste gar nicht, dass man so etwas machen kann. Ihren Honig verschenken sie übrigens manchmal den Trampern, die sie auf ihren Weg treffen. Ich wette, Marie hat denen von ihren Eltern erzählt. 

Ich wette, ihre Eltern erzählen oft von Marie.  

*

Gefällt dir diese Geschichte? Diese und weitere meiner überarbeiteten Geschichten und Gedichte sind jetzt als Buch erhältlich. "Die Manifestation des Glücks" - von Marcel J. Paul kannst du bei Thalia, Amazon und vielen weiteren Anbietern bestellen und somit meine Arbeit unterstützen.

Vielen Dank im Voraus. :-)

Marie RousseauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt