Kapitel 2 - KÄLTESPINNE

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Ich laufe nun schon seit Stunden. Versuche den Hunger und die Müdigkeit zu vergessen. Ich denke nur daran, dass ich jemand anderes finden muss, jemanden wie mich. Jemand, der mich braucht, jemand, der mir hilft. Ich habe keinen Bock mehr auf das ewige allein sein, je länger ich für mich bin, desto durchgeknallter werde ich. Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber vorletzte Nacht habe ich nur dagesessen und meine Hände angestarrt. Meine verdammten Hände. Ich habe über die vielen Blasen gestrichen. Es waren zehn. Zwei für jeden. Für Mom, für Dad, für Elise, für Anton, für Georg. Für jedes Grab zwei. Das hat mich mein letztes Bisschen Verstand gekostet. Ich habe sie alle begraben müssen. Jedes beschissene Loch habe ich gegraben.

Es wird noch kälter, als es sowieso schon ist, ich muss irgendwo einen Schlafplatz finden. Muss schlafen. Nicht nachdenken. Schlafen.

Meine Beine zittern, als ich versuche am nächsten Morgen aufzustehen. Ich hasse diese Kälte, die einem in die Knochen kriecht und sich wie eine kleine Spinne dort einnistet. Als sie ihre Netze baut wird mir noch kälter. Ich muss weiterlaufen, sonst erfriere ich noch in diesem Loch und dann hat die Spinne das bekommen, was sie wollte. Scheiß Spinne. Meine Füße verheddern sich in einander, wollen nicht mehr laufen. Scheiß Füße.
Meine Augen tränen, ich mag sie nicht, bei jeder Kleinigkeit pissen sie sich ein, was für Heulsusen.
Scheiß Augen.
Dann liege ich einfach nur da, auf dem toten Boden, versuche mich genauso tot zu fühlen. Irgendwie entspannend, nicht nur an die beschissenen Sachen zu denken, einfach nur daliegen. Habe nichts zu verlieren, außer meinem Leben.
Scheiß Leben.
"Viel mehr kannst du aber auch nicht sagen, oder?"
"Was?"
"Aha, wohl ein ganz Schlauer."
Mein Kopf versucht sich aufzurichten. Funktioniert irgendwie nicht wirklich. Meine Stimme krächzt.
"Wer?"
Ein Paar Schuhe tritt in mein Blickfeld. Ballerinaschuhe. In Rosa, mit Seidenbändern zum schnüren. Sehen verdammt unbequem aus und dreckig, waren wohl nicht für verpesteten Boden gedacht. Plötzlich hängt ein Gesicht vor meinem, umrandet von langen verfilzten Haaren. Ich sehe zwei Augen, eins blau, eins braun, hatte mal ein Kuscheltier, das Dad auf dem Trümmerhaufen, ein paar Kilometer weiter, gefunden hat. Ich glaub das war irgendsoein Hund, der hatte auch ein braunes und ein blaues Auge, find ich cool. Aber der Hund hatte nicht so viele Sommersprossen, da ist keine freie Stelle Haut.
Mein Blick wandert weiter, keine Ahnung wie man eine Nase beschreiben soll aber diese Nase ist weder klein, noch groß, halt so ein Mittelding. Und dann der Mund, schöne Lippen, obwohl sie aufgesprungen sind und der eine Mundwinkel weiter oben ist als der andere. Eigentlich sogar ein ziemlich schönes Gesicht, was mich da so anstarrt. Ich will, dass es mich noch länger anstarrt, ich will, dass es bei mir bleibt, damit ich nicht mehr allein bin. Aber bevor ich was sagen kann, verschwimmt alles. Ich muss mich irgendwo festhalten, klammer mich an den rosa Schuhen fest.
Auf einmal wird alles dunkel und die Spinne webt immer schneller ihre klebrigen Netze.

Die letzten HeldenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt