Prolog

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Rory

Kennst du dieses Gefühl, du hast tausend Menschen um dich herum, du bist nicht allein, aber trotzdem einsam?

Du sitzt an einem langen Tisch mit Mutter, Vater, Tante, Onkel und zwei älteren Cousinen. Mutter und Vater berichten über die neuesten Nachrichten ihres Bauingenieurunternehmens und welche prominenten Kunden sie sich diesmal an Land gezogen haben. Die Tante rührt ununterbrochen neuen Zucker und Milch in ihren Earl-Grey-Tee, während der Onkel die geschniegelten Cousinen zum gefühlt tausendsten Male und hoffnungslos ermahnt, sie sollen doch ihre Handys bitte nicht am Tisch benutzen. Und du sitzt daneben und schaust in die Runde. Doch niemand scheint dich zu bemerken. Alle sind nur mit sich selbst und ihren oberflächlichen Dingen beschäftigt.

Die ganze Familie ist zusammen, doch es fühlt sich an, als würde eine Gruppe Fremder bei dir sein. Es fühlt sich alles vertraut, aber kalt-vertraut und nicht warm-vertraut an. Als würdest du zwar am selben Tisch, aber abgeschottet hinter einer schalldichten Glasscheibe sitzen. Oder einer Wand, die von deiner Seite aus durchsichtig, von der anderen aber ein Spiegel ist. Du kannst die anderen sehen, sie dich aber nicht.

Du versuchst verzweifelt um Aufmerksamkeit zu betteln, willst nur, dass man dich wenigstens einmal richtig ansieht, deinen Namen sagt, mit dir spricht. Dir zeigt, dass du existierst. Doch es ist zwecklos.

Alle sehen durch dich hindurch. Nehmen dich nicht wahr. Alle glauben, dich zu kennen, wissen jedoch nichts. Sie meinen zu wissen, was in dir vorgeht, doch sie haben keine Ahnung. Sehen nicht die Wahrheit in deinem Blick, weil ihre Augen nur flüchtig über dich hinwegwehen.

Sie scheinen deinen inneren Kampf nicht zu bemerken.

Irgendwann resignierst du, gibst auf, akzeptierst es. Weil du dich daran gewöhnt hast.

Du willst dich zurückziehen. An einen Ort, wo dich keiner mehr finden kann. Wo du deine Ruhe hast. Wo du mit dir allein sein kannst. Weil es einfach zu schmerzhaft ist, in der Nähe derer zu sein, die dich wie Luft behandeln. Du verschließt dich immer mehr. Lässt gar niemanden mehr an dich heran.

Es gibt Momente, da fühlst du dich allein weniger einsam als in Gesellschaft. Du denkst immer daran, du hast ja dich. Aber ein kleiner verdrängter Teil in dir wünscht sich insgeheim, dass jemand da ist. Dass es einen Menschen gibt, der dich findet. Du sehnst dich nach der Wärme einer Hand, einer Schulter zum Anlehnen. Einem ehrlichen Lächeln, das dir geschenkt wird. Denn ist es nicht viel schöner, wenn es jemanden gibt, mit dem du dich verbunden fühlst? Jemand, der dir zeigt, dass du nicht allein sein musst? Jemand, mit dem du dich zusammen besser fühlst. Der die Leere in dir füllt, weil du es allein nicht schaffst?

„Rory wird nach den Sommerferien auch auf das Gymnasium gehen. Er hat laut seinem Lehrer zwar eine Realschulempfehlung, aber das kommt nicht infrage. Damit fangen wir gar nicht erst an. Auch, wenn seine Noten durchschnittlich sind, dann wird er sich eben mehr anstrengen müssen, wenn er mal was werden will. Faul sein ist nicht mehr. Das haben wir schon viel zu oft durchgehen lassen." Die Stimme meiner Mutter lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen vor mir. Faul sein? Ich gebe mir doch recht viel Mühe in der Schule. Ich knirsche mit den Zähnen. Und dass sie über mich reden, als wäre ich nicht da, passt mir auch nicht. Hatte ich schon erwähnt, dass meine Eltern - wenn sie doch mal über mich reden, bloß nicht mit mir - mich nur als Statussymbol benutzen oder darüber prahlen, was für Potential ich doch hätte, wenn ich dies und das tun würde. Ständig reden sie darüber, was ich einmal machen werde. Angeblich soll ich sogar mal ihr Geschäft übernehmen und Bauingenieur werden ...

„Philine und Joline machen ja dieses Jahr ihren Abschluss und werden danach studieren." Tante Eva fasst ihre Töchter übersprudelnd vor mütterlichem Stolz am Arm - worüber ich mich auch nicht beschweren will, doch die Nachricht dahinter nehme ich ganz besonders wahr und die stört mich: „Meine Kinder sind fleißige, ehrgeizige Mädchen. Im Gegensatz zu Rory."

Yin und Yang- Rory und IvanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt