Erstes Kapitel: Erwachen

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Erstes Kapitel
Erwachen

Das Erste, das ich sah, war Birkenlaub hoch über mir. Meine Augen weiteten sich. War das hier die Welt hinter den Toren? Ich setzte mich auf und blickte mich um. Nein, es war ein Bardenheim. Aber ... Wie habe ich das überlebt?

Ich sah ein fremdes Bündel an einem Baum lehnen, neben meinem, doch die Person dazu konnte ich nicht entdecken.

Kurz vor meiner Ohnmacht hatte ich ein brünettes Mädchen gesehen, eine Fackel mit weißem Feuer in der Hand. Hatte sie mich hierher gebracht? Aber wieso?

Ein Rascheln riss mich aus meinen Gedanken. Mein Kopf ruckte dorthin und ich erblickte ein Mädchen mit kalten, tiefblauen Augen, die an irgendeine Erinnerung in mir appellierte, und nassem, braunem Haar, das das Wasser an ihren Kopf klebte. Ihr Gesichtsausdruck zeugte von Argwohn, und die Reisekleidung war mehr schlecht als recht zusammengenäht worden. Ihre Hand lag an dem Dolch, den sie unter dem Gürtel trug.

»Ihr Leute von Gilmans Feste solltet doch langsam kapiert haben, dass dies mein Revier ist!« In ihrer Stimme, scharf wie ein Schwert, schwang eisige Kälte und unverhohlene Verachtung.

»G-Gilmans Feste?«, fragte Ich überrascht. Wovon redet sie?

»Ihr kennt Gilmans Feste nicht? Ihr seid kein von dort entlaufener Sklave?«

»B-Bitte?«

Die Fremde musterte mich: »Nein, für einen Sklaven auf der Flucht seht Ihr mir zu gut genährt und gekleidet aus. Wer seid Ihr?«

»Äh ... Ich bin Cadvan von Lirigon.«

»Ein Barde, auch das noch!« Unfassbarer Hass schlich sich auf ihr Antlitz. Ich zuckte zusammen und wich zurück. Dieses Mädchen war drauf und dran den Dolch zu ziehen ... Sie musste verrückt sein, das sie mich angreifen wollte, nur weil ich ein Barde war.

Oder eine Verderbte ...

Nachdenklich betrachtete ich sie. Konnte es sein? War sie verderbt? Zumindest erschien das als die einzig logische Tatsache, sofern sie nicht dem Wahnsinn verfallen war.

Jetzt erkannte ich den Bardenschimmer in ihren Augen. Das hieß vermutlich, dass sie eine Untote war, die sich so getarnt hat, dass selbst Bardenaugen den Tarnbann nicht durchdringen konnten.

Jetzt schien die Fremde zu bemerken, wie krampfhaft sich ihre Hand um den Dolchgriff krallte, denn sie lockerte den Griff um weniges.

»Warum wollte der Landrost dich nicht gehen lassen? Er war bereit, mich zu töten, nur um dich zu vernichten.«

»Er hatte mir etwas gezeigt, um mich zu brechen, bevor er mich töten wollte. Ich konnte jedoch entkommen, allerdings wollte der Landrost nicht, dass jemand davon erfährt«, erklärte ich.

Die Fremde zog die Augenbrauen hoch: »Und was habt Ihr gesehen?«

»Der Namenlose hat seine Armee in Dén Raven zusammengestellt«, meinte ich. Erst danach fiel mir auf, dass ich sie gerade eben noch für eine Untote gehalten habe und immer noch nicht wusste, wer sie war.

Es ist ein gefährliches Spiel, das du da spielst, Cadvan, gebot ich mich zur Vorsicht.

»Dass der Namenlose wieder am Zuge ist, ist mir sehr wohl bewusst, Cadvan von Lirigon. Wir müssen nur darauf hoffen, dass das Licht uns mit einem weiteren, mächtigen Mitspieler bedenkt, der ihn letztendlich besiegt.«

Die Fremde bedachte mich mit einem eindringlichen, undeutbaren Blick, dann wandte sie den Kopf ruckartig zur Seite und pfiff laut. Ich zuckte zusammen und erschauderte. Als sie mich eben so eindringlich angesehen hatte, hatte ich das Gefühl, sie würde tief in mein innerstes blicken, nur ohne Seelenblick. Mir war aufgefallen, dass ihre zeitlosen Augen anzeigten, dass sie viel älter war, als es den Anschein hatte.

Ihr Blick fuhr wieder zu mir herum: »Und Ihr solltet Euch vernünftig hinsetzen. Einem Barden steht es nicht gut zu Gesicht, sich vor einem kleinen Mädchen zu fürchten.«

Das »kleine Mädchen«, wie sie sich nannte, wandte sich dem Wolf zu, der ins Bardenheim getrottet kam, kniete sich hin und kraulte ihm den Hals. »Du hattest recht, Narida. Er war wirklich keine Bedrohung.«

Dieses »kleine Mädchen« machte mir wirklich irgendwie Angst. Ich wusste nur nicht, ob es daran lag, dass sie mich angreifen wollte oder dass sie anscheinend mit einem Wolf zusammen lebte. Ich wusste nur, dass es so war.

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Barden sind mit der Gabe geborene Menschen, die, im Gegensatz zu den Elidhu, nur begrenzt Magie wirken können.
Untote sind verderbte Barden, die sich auf die Seite des Namenlosen geschlagen haben, um unsterblich zu werden.
Der Namenlose, oder Sharma, hat einst seinen wahren Namen verworfen, um Unsterblichkeit zu erlangen. Da Menschen nicht einfach unsterblich werden können, strebt er wegen der Leere in seinem Herzen nach der Vernichtung alles Schönen.
Dén Raven wird Don Raween ausgesprochen. Also, so in etwa zumindest.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 04, 2017 ⏰

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