»NEIN!«, schrie ich meinen Vater an. »MAMA IST NICHT TOT. IST SIE NICHT.«
»Jetzt bleib mal ruhig. Deine Mutter ist tot, und du musst es endlich einsehen. Warum sonst sollte sie weg sein?«, sagte mein Vater und er war so ruhig dabei. Wie konnte er so ruhig sein? Wie konnte er das überhaupt sagen? »Wie kannst du so was sagen? HM? Bedeutet sie dir denn nichts?!«, rief ich. »Doch natürlich. Ich habe deine Mutter geliebt. Aber jetzt ist sie nun mal nicht mehr da. Versteh das bitte.« Gott, jeder hätte gemerkt dass er log. Wirklich jeder. Er hatte meine Mutter niemals geliebt. Mein Vater machte Anstalten mich anzufassen um mich zu trösten, doch ich ging ein paar Schritte zurück. »FASS MICH NICHT AN!«, schrie ich. Ich lief zur Haustür und machte sie auf. »WO WILLST DU JETZT HIN?!«, rief mein Vater, doch ich ignorierte ihn und schloss die Tür hinter mir. Heiße Tränen rannten mein Gesicht runter, als ich immer weiter von zuhause weg lief. Ich wollte einfach nur noch weg. Ich konnte ihn einfach nicht mehr sehen, wollte seine ätzende Stimme nicht mehr hören. Deine Mutter ist tot und du musst es endlich einsehen. Die Worte hallten immer noch in meinem Kopf und ich wurde sie nicht mehr los. Ich lief immer weiter, als könnte ich so die Worte aus meinem Kopf schütteln. Aber es half nicht. Erschöpft lies ich mich an einer Hauswand zu Boden fallen. »Mama ist nicht tot.«, flüsterte ich und schluchzte laut. Mit meinen Fäusten schlug ich auf den harten Steinboden. Sie fingen an zu bluten, doch ich machte immer weiter. Es brannte als ich spürte wie sich die kleinen Steinchen in meine dünne Haut bohrten. Doch es tat gut, denn es lenkte mich etwas von dem Schmerz in meinem Herzen ab. Erschöpft ließ ich meine Fäuste fallen und obwohl mir noch immer Tränen aus den Augen liefen, fielen diese langsam zu und die Dunkelheit umfing mich.»Mama«, flüsterte ich mit zittriger Stimme. »Ja, ich bin es.«, antwortete sie. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und berührte ihr Gesicht. Sie war es wirklich. Ich hatte es gewusst. Sie war nicht gestorben. »Wo bist du so lange gewesen?«, fragte ich mit zittriger Stimme. Doch ich durfte ihre Antwort nicht mehr erfahren, da meine Mutter vor meinen Augen verschwamm und ich plötzlich von Dunkelheit umgeben war. »Wach auf, wach bitte auf, Mädchen!«, hörte ich eine männliche Stimme rufen. Es war nur ein Traum gewesen. Nach kurzer Zeit öffnete ich langsam meine Augen und blinzelte zwei mal. Sie waren total verklebt, da ich so viel geweint hatte. Ich wollte nicht wissen wie ich aussah, aber das spielte auch keine Rolle. »Gucken sie doch, sie hat ihre Augen geöffnet!«, rief eine etwas dickere Frau mit kurzen braunen Haaren. Der Mann vor mir richtete seinen Blick sofort auf mich und seine Mundwinkel gingen nach oben. Ich war nicht in der Lage sein Lächeln zu erwiedern. »Hey, wie heißt du?«, fragte der Mann. Doch ich gab ihm keine Antwort. Konnte ich gar nicht, da mein Mund so trocken war, dass ich kein Wort raus kriegte. Wenn ich nicht bald was zu trinken kriegen würde, würde ich verdursten. Ich zeigte mit meinem Zeigefinger auf meine Kehle, was mir wirklich nicht leicht fiel, da ich so schwach war und versuchte dem Mann zu signalisieren dass ich dringend Wasser brauchte. Zu meiner Verwunderung verstand er mich sofort und holte aus seinem roten Rucksack eine kleine Wasserflasche. Ich nahm sie dankbar entgegen und trank gierig bis sie schließlich lehr war. Der Mann nahm sie wieder entgegen und lächelte mir aufmunternd zu. »Besser?«, fragte er. Ich nickte. »Kannst du aufstehen?«, wollte er wissen und ich zuckte nur mit den Schultern. Er half mir auf und stützte mich. »Ich bring dich erst mal zum Auto.«, sagte er. Die Frau hatte sich inzwischen verabschiedet und war gegangen. Wir gingen, oder eher gesagt schlichen, zu seinem Auto. Dort angekommen öffnete der Mann die Tür vom Beifahrersitz und lies mich sanft auf den Sitz fallen. Normalerweise wäre ich nicht in einem Auto von einem fremden Mann sitzen geblieben, aber erstens war ich zu schwach und lustlos um abzuhauen, und zweitens kam mir dieser Mann zu sympathisch vor um ein Vergewaltiger oder sonst was zu sein. Man konnte sich natürlich auch täuschen, aber inzwischen war mir ziemlich egal was mit mir passierte. Ich fühlte mich so oder so dreckig. »Soo, es wäre gut wenn du mir jetzt deinen Namen verrätst.«, sagte der Mann, der inzwischen neben mir saß und Anstalten machte seinen Wagen zu starten, nach dem er noch irgendwas in den Kofferraum gepackt hatte. Vielleicht verstaute er dort ja zwei andere Kinder und würde uns gleich zuhause bei ihm in den Keller sperren. »Ich heiße Amelia. Amelia Buchenroth.«, antwortete ich. »So, so. Und wieso lagst du draußen auf dem kalten Steinboden und nicht in einem warmen Bett so wie es sich gehört?« Irgendwie musste ich mir ein Lachen verkneifen. Dieser Typ hatte irgendwas an ihm, was ihn total sympathisch machte. Ich zuckte mit den Schultern. »Ist 'ne lange Geschichte.«, sagte ich knapp. »Ok, ist auch erst mal nicht so wichtig.« Nachdem er diesen Satz gesagt hatte, schwiegen wir beide die ganze Autofahrt lang. Ich wusste nicht wohin er mich brachte. Vielleicht zu sich nach Hause. Ich richtete meinen Blick nach draußen aus dem Fenster und sah wie die Häuser und Bäume langsam an mir vorbei glitten. Die Abendsonne schien rot- orange auf die Stadt. Ein leichter Wind brachte die herbstlich gefärbten Blätter an den Bäumen in Bewegung und ab und zu sah man ein paar Kleinkinder lachend auf dem Bürgersteig vorbei laufen. Ich versuchte meine Gedanken so weit wie möglich zu verdrängen und genoss einfach diesen schönen Anblick. Nach einiger Zeit stoppte der Mann den Wagen und ich musste meinen Blick nach vorne richten, um zu sehen wohin er uns gebracht hatte. Vor uns war ein großes Krankenhaus. »Warum bringen sie mich ins Krankenhaus?«, fragte ich unsicher. Der Mann grinste und setzte zum reden an. »Schau mal auf deine Hände..« Ich hob meine Hände und nahm sie unter die Lupe. Gott, er hatte Recht. Sie sahen schrecklich aus. Sie waren übersäht mit Wunden auf der Fläche mit der ich auf den Boden geschlagen hatte. Das Blut war in Strömen meine beiden Arme entlang gelaufen. In den Wunden waren kleine Steinchen und Dreck. Aber ich spürte gar keine Schmerzen mehr. »Oh..«, flüsterte ich. »Ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Alessandro Frattini. Bin ursprünglich italienisch, wie man an meinem Namen vielleicht erkennt. Ich bin Oberarzt in diesem Krankenhaus.«, erzählte Alessandro. »Ich hab mir gedacht ich nehm dich mal mit hier hin, denn ganz gut scheint es dir ja nicht zu gehen.« Er schaute mich besorgt an. Ich nickte nur stumm. »Danke, das ist echt lieb von ihnen.« Ich schnallte mich ab und wir beide verließen das Auto. Inzwischen war ich wieder in der Lage selbstständig zu laufen. Im Krankenhaus meldete sich Alessandro kurz bei seinen Kollegen und dann fuhren wir mit dem Aufzug nach oben. Es roch wie es immer in Krankenhäusern riecht. Leicht muffig aber vor allem nach Desinfektionsmittel. In der dritten Etage stiegen wir aus. Die Etage sah aus wie jede andere auch. Ein hellbrauner Gummiboden, weiße Wände mit braunen Holzgeländern für die Kranken die nicht gut laufen konnten und man konnte durch große Fenster in die einzelnen Zimmer gucken. Ich blieb stehen. In einem Zimmer lag eine alte Frau. Sie sah sehr krank aus. Ihre Haut war gelblich. Ich konnte ihre Schmerzen fühlen, wenn ich ihr in die Augen schaute. Sie sah so gequält und müde aus. Sie wollte hier weg, wollte nicht mehr leben. Aber neben ihrem Bett standen drei kleine Kinder, die ihr ein Lied sangen. Die alte Frau fing an zu weinen. »Das ist Emelie. Sie ist 81 Jahre alt. Sie hat nur noch einen Monat zu leben und unerträgliche Schmerzen. Ich wünschte ich könnte sie erlösen. Ich weiß dass sie nicht mehr kann. Aber das dürfen wir nicht.« Ich spürte wie sich mein Herz zusammen zog. Es fühlte sich an als ob jemand ein spitzes Messer in mein Herz gesteckt hatte. Eine heiße Träne lief mir die Wange runter. Ich konnte mir so was nicht mit ansehen. Alessandro schob mich sachte weiter. Ich schaute auf den Boden als wir weiter liefen. Ich wollte nicht noch mal so was sehen. Irgendwann nahm Alessandro seine Hand von meiner Schulter. Ich schaute hoch. Er umarmte einen Jungen oder einen Mann, ich konnte es nicht richtig erkennen. Als er sich von ihm löste, setzte mein Herz für eine Sekunde aus. Ich kannte ihn. Es war der Junge mit dem Ich in der Schule zusammengeknallt war. Und da war es wieder. Seine schönen Augen, die mich viel zu intensiv anschauten. Ich schluckte. Nicht schon wieder. So sehr ich es auch wollte, ich konnte gar nicht weg gucken. »Kenn ihr euch?«, fragte Alessandro und Ich zuckte leicht zusammen. Der Junge fing an laut zu lachen. Ich konnte nichts machen als dumm rum zu stehen. »Ja, wir haben bereits Bekanntschaft gemacht.«, sagte er. Er grinste mich an und ich schaffte es endlich meinen Blick von ihm zu reißen. »Du Mika, ich muss jetzt weiter machen. Ich werde Amelia wahrscheinlich ein paar Tage hier lassen.«, meinte Alessandro und schob mich weiter. »Amelia..«, wiederholte der Junge, der anscheinend Mika hieß. »Na dann, sehen wir uns die nächsten Tage ja vielleicht noch mal.«, sagte er und obwohl ich die ganze Zeit auf den Boden schaute konnte ich hören dass er dabei grinste. Als wir weiter gingen und Ich mich erst mal beruhigen musste, spürte ich immer noch seine Blicke auf meinem Rücken.
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Federmädchen
Teen FictionAmelia war ein glückliches Mädchen, dass die Sonne liebte und im Sommer jeden Tag bis spät Abends draußen verbrachte. Jeder in ihrer Stadt kannte und liebte sie. Sie und ihr wunderschönes Lachen. Bis zu dieser einen Nacht, die alles veränderte. Und...