Die beeindruckend hoch empor steigenden schwarzen Mauern der Hauptstadt Louandras, die sie schon während des Magiekrieges erfolgreich schützten, erstreckten sich so weit nach Nord-Ost und Süd-West, dass Airisu ihr Ende nicht mehr sehen konnte. Im Norden und Westen war Minport umringt von Gebirgen, dessen Spitzen bis über die Wolkendecke zu reichen schienen. Zwölf Jahre lang hatte die Frau ihre Heimatstadt nicht mehr gesehen. Zwölf Jahre lang war sie auf Reise gewesen und hatte die Grundzüge der Magie kennengelernt. Und, auch wenn sie magisch nicht sehr begabt war, sie hatte einige Erfolge. Eine Zaubermeisterin würde sie aber wohl nie werden.
Kurz vor den Toren der Stadt blieb sie stehen. Der um diese Tageszeit immer geöffnete Torbogen war riesig, sodass sogar ein Drache hindurchgepasst hätte. Es herrschte geschäftiges Treiben auf den Straßen. Zahlreiche kleine Stände und Läden begrüßten jeden Einreisenden hinter den Toren. Ein Mann mit Marktkaren überholte die junge Frau und durchschritt den Durchgang. Nachdem er dem Wachposten seine Papiere gezeigt hatte, verschwand er in der Menschenmenge.
Nun setzte auch Airisu sich in Bewegung. Ihre festen, braunen Reitstiefel klackerten auf dem Pflasterstein. Entsprechend der Jahreszeit kam ein ziemlich starker Wind auf. Die Geschäftstreibenden ließen sich davon jedoch nicht stören. Geld klimperte, Gewürze dufteten. Auch Airisu schenkte der kühlen Luft keine Beachtung. In dem langen, dunklen Mantel, der lediglich durch einen kleinen, rautenförmigen Edelstein festgehalten wurde, war ihr wohlig warm.
Um sich bei der anstehenden Kontrolle besser ausweisen zu können, streifte sie sich die dazugehörige Kapuze vom Kopf. Kurze, nur bis zum Kinn reichende, dunkle, braun-rote Haare wehten daraufhin in alle Richtungen. Ihre grünen Augen leuchteten. Sie freute sich sehr, den Ort ihrer Kindheit zu sehen. Es war lange her, dass sie die Stadt gesehen hatte und doch fühlte sie sich sofort heimisch. Auf ihren Lippen lag ein leichtes, sanftes Lächeln. Nun hatte sie den Wachposten erreicht. Sofort kramte sie das Papier, das sie als Bürger Minports ausweiste hervor und präsentierte es den beiden Rittern. Diese nickten und ließen sie passieren.
Jetzt hatte sie es endgültig geschafft. Sie war Zuhause. Endlich. In Erinnerungen schwelgend schloss sie die Augen und ließ alles auf sich wirken. Die Stimmen der Händler, das Klappern von Holztüren, das Geräusch von auf den Boden tretenden Hufen, der Geruch von Essen und der Gestank der Hinterlassenschaften der Zugtiere, die von den anderen Lebewesen ausgehende Wärme und der Wind. So fühlte sich Heimat an.
Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen? Es waren fünf lange Jahre. Mit zwölf war sie auf die Hexenmeisterin Pollya getroffen. Schon als Kind war sie von der Zauberei, einem der wenigen Wege, um auch als Mensch mehr oder weniger anerkannt zu werden, fasziniert gewesen. Sofort hatte sie zugestimmt, sie zu begleiten und hatte sich von ihr ausbilden lassen. Und jetzt stand sie hier, fünf Jahre älter, fünf Jahre erfahrener und dachte an die alten Zeiten zurück.
Heute würde sie alle wiedersehen; ihre kleine Schwester Bynn, ihren großen Bruder Taniel, ihre Eltern und vielleicht auch noch einige weitere alte Bekannte.
Voller Energie ging sie los, sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnend. Bald schon gelangte sie in die weniger belebten Straßen der Stadt, die Wohnviertel.
Obwohl ihre Familie nur aus Menschen bestand und auch nicht viel mit Magie zu tun hatte, besaßen sie ein kleines Anwesen in einem Adelsviertel.Staunend betrachtete Airisu die Villen und riesigen, luxuriösen Häuser, die sich in dieser Straße aneinander reihten. Die Gärten waren gepflegt und verschiedenste Blumen strahlten in den schönsten Farben. Der Duft von Lavendel erfüllte die Luft. Ruckartig blieb sie stehen. Dieses Haus kannte sie. Das Haus, von dem zu fast jeder Tageszeit und manchmal auch nachts der Klang eines Klaviers ausging. Auch heute vernahm sie die wohlklingenden Töne. Ihre Familie würde sich noch ein wenig gedulden können; als erstes wollte sie ihre alte Freundin Tangea besuchen.
Fast automatisch suchten ihre Füße den Weg zur großen Eichentür. Der ganze Garten war bedeckt von lila Blüten. Lavendel wuchs in jedem Blumentopf und in jeder Ecke, war in hübsche Formen angeordnet und verzierte die Fensterbretter. Tangea hatte diese Pflanze schon immer geliebt, genauso wie das Klavierspiel.Ob sie sich verändert hatte? War sie überhaupt zu Hause? Kannte sie sie noch oder hatte sie sie bereits vergessen?
Ein wenig mulmig war Airisu schon, als sie den goldenen Ring, der an einem goldenen Gazellenkopf an der Tür befestigt war, in die Hand nahm und ihn schwungvoll gegen das Holz stieß.Kurz darauf hörte sie Schritte und ein wenig Gepolter, doch kurz darauf war die Tür auch schon geöffnet und Hanir, ein Bediensteter des Hauses Caprea, stand im Türrahmen. "Sie wünschen, Mylady?", fragte er ungeduldig. Ein angenehmer Geruch von Suppe kam Airisu von der geöffneten Tür entgegen. "Hanir, schön, Sie zu sehen. Sagen Sie bloß, Sie erkennen mich nicht mehr.", begrüßte sie den geschätzt Fünfzig-jährigen.
Hanirs Augen weiteten sich. Nie hatte er damit gerechnet, das Fräulein Solis wiederzusehen. Als Kind war sie im Anwesen der Capreas ein und aus gegangen, bis sie irgendwann auf Reise gegangen war und niemand sie seither mehr gesehen hatte.
"Miss Solis!", rief er erstaunt, als er plötzlich einen angebrannten Geruch vernahm. Sofort fiel ihm die Suppe wieder ein, die sich gerade auf dem Herd befand und er hastete in die Küche.Airisu betrat während dessen das ihr noch gut vertraute Anwesen, dass ihr immer mehr Zuhause war als das Anwesen ihrer Eltern. Hier hatte sie Ritter und Drache, Räuber und Gendarme, zusammen mit Tangea gespielt. Damals hatte sie sich immer ein echtes Schwert gewünscht. Sie wollte immer entweder Ritter oder Zauberer werden. Stattdessen war mittlerweile der Bogen die Waffe ihrer Wahl geworden. Die Zauberei beherrschte sie zwar auch, war mit ihr aber nicht so erfolgreich und erfahren wie mit dem Bogen. Sie musste schmunzeln, als sie daran dachte wie Tangea immer den Drachen oder bösen Ritter gespielt hatte und sie schreiend und kämpfend durch das Anwesen gerannt waren, wie es sich für Kinder des gehobenen Standes natürlich überhaupt nicht gehörte, doch Tangeas Eltern waren fast nie zu Hause und den Bediensteten war es ziemlich egal.
"Miss Tangea ist in ihrem Musizierzimmer, falls sie der Grund Eures Besuchs sein sollte.", rief der alte Mann Airisu von der Küche aus zu.Airisu nickte, was Hanir aber natürlich nicht sehen konnte, da er sich in einem anderen Raum befand. Mit gemischten Gefühlen folgte die Rothaarige der eleganten, geschwungenen Treppe nach oben und erreichte kurz darauf das besagte Zimmer. Die Tür stand offen und die Musik, die man schon von außen hören konnte, wurde mit jedem Schritt, den sie dem Zimmer näher kam, lauter.
Leise lehnte sie sich an den Türrahmen und lauschte den Klängen. Schon als Kind hatte sie Tangeas Musik geliebt. Diese hatte auch schon versucht, ihr das Klavierspielen beizubringen, aber darin erwies Airisu sich als hoffnungsloser Fall. Auf einmal vermischte sich auch noch die wunderschöne Stimme ihrer Freundin mit dem Klang des Klaviers.
Als das Lied beendet war, drehte Tangea sich überrascht zu Airisu um. "Ich konnte es nicht glauben, als ich es gerochen habe, aber du bist es wirklich!", rief sie erfreut, sprang vom Hocker und umarmte Airisu stürmisch. Diese erwiderte die Umarmung nur zu gerne. Alle Befürchtungen und die Nervosität fielen mit einem Mal an ihr herunter und nur noch Glück beseelte ihr Herz.
"Du hast dich überhaupt nicht verändert, Tangea.", meinte sie und musste unweigerlich an die alten Zeiten zurück denken.
"Du dich aber ziemlich stark. Ich hab dich nur am Geruch wiedererkannt.", erklärte die Schwarzhaarige.
"Findest du?", will Airisu überrascht wissen. Sie selbst war der Meinung, sich überhaupt nicht geändert zu haben.
"Naja. Deine Haare sind jetzt kürzer und was ist das für ein seltsamer Edelstein auf deiner Stirn? Sag' bloß, du bist jetzt eine Hexe.", stellte Tangea verwundert fest.
Airisu nickte. "Klar bin ich das. Was dachtest du, habe ich während der letzten fünf Jahre gelernt?"
"Du und Zaubern? Das kann ich mir gar nicht vorstellen."
"Hey!", rief Airisu gespielt beleidigt und zog eine Schnute.
"Obwohl ... vom Charakter her bist du immer noch die Selbe."_____________________________
Und hiermit Hallo und herzlich willkommen bei meiner neuen Geschichte. Endlich mal keine FF, endlich mal eine Geschichte mit Plan und endlich etwas wo ich meiner Phantasie freien Lauf lassen kann.
Wie ihr sicher schon bemerkt habt, spielt das alles in einer anderen Welt, um genau zu sein im Reich Gorana. Was für Besonderheiten diese Welt hat, werdet ihr sicher noch selber sehen.
Hoffe, es ist nicht zu langweilig und die Sprache und so ist nicht komisch.
Danke fürs Lesen,
Eure cookieblume
DU LIEST GERADE
Animalis - im Auge des Drachen [Fragment]
FantasyDas Reich Gorana wurde auf den Ruinen einer früheren Zivilisation gegründet. Die Menschen, die im Land Louandra leben haben es eigentlich ganz gut, denn König Leoniel ist großzügig und immer auf das Wohlergehen des Landes bedacht. Eines Tages jedoch...