Lametta & Tannengrün (mit ein wenig Hüftgold)

» eine Glocke «

Prager Ring 75
5. Stock, dritte Tür links
25. Dezember 19:00 Uhr

»DIE GLOCKE HAT GELÄUTET!«     Die schrille Stimme meiner Enkelin hallt durch den Flur, während sie wie ein Blitz aus der Küche schießt. Das Funkeln ihrer wunderschönen, braunen Augen ist heller als das Leuchten des Weihnachtsbaumes.

Ihr Blick ist plötzlich wie gebannt auf die Geschenken unter dem Tannenbaum gerichtet. Ein Strahlen scheint von ihrem kleinen Körper auszugehen und auch wenn sie mich keines Blicken würdigt, habe ich das Gefühl, dass dieses Strahlen nur mir gilt.
Langsam lasse ich die Glocke hinter mir ins Kissen sinken und lehne mich wieder zurück.

Früher hat er auch so gestrahlt, schießt es mir durch den Kopf, während meine faltigen Hände den Rock greifen, um das Zittern zu unterdrücken. Mein Blick bleibt an meinem Sohn hängen, der angespannt im Türrahmen der Küche steht und Clara ermahnt die Weihnachtsgeschenke langsam auszupacken.

Früher, da war er auch um diese Ecke gerannt, wenn sein Vater das Glöckchen geläutet hat. Da riss er das Papier vom Karton seiner neuen Eisenbahn, die er sofort über alles liebte. Ja, früher hat er auch mal so gestrahlt.

Einen Moment lang schaue ich ins Leere. Die Lichter verschwimmen. Ich fühle Tränen über meine Wange laufen, als ich vor meinem inneren Auge 32 Jahre in die Vergangenheit reise. 

Die Tränen bleiben unbemerkt. Als wäre niemand in meiner Wohnung. Als säße keine alte Frau in ihrem Sessel.

Was war nur aus ihm geworden?

Das Licht, das aus den Augen eines Kindes zu strahlen vermag, 
ist mit dem Ereignis zu vergleichen,
das sich im Stern von Betlehem uns Menschen offenbart hat.
*1955 Gurdrun Kropp