Keiner kümmerte sich um die Farbe am Himmel. Ihre Augen hafteten starr an den Wogen, die auf sie zuschossen. Die Wogen waren schiefergrau, bis auf die Kämme, die weißlich schäumten; und jeder der vier Männer kannte die Farben der See. Der Gesichtskreis verengte sich und wurde wieder weit, er sank und er stieg, doch immer war seine Kreislinie von Wellen zerfetzt, die spitzig wie Klippen aufragten. Manch einer sollte wohl eine Badewanne besitzen, die größer als das Boot ist, das da über die Wogen ritt. Diese Wogen türmten sich ganz unsinnig und unmenschlich schroff und steil auf...
...Sie schlugen gefährlich gegen den Kahn, immer heftiger, immer Bedrohlicher. Die grauen Wolken, welche einmählich am Horizont sichtbar wurden trugen nicht dazu bei die Angst der Männer zu lindern. Das Rauschen der Wellen schwoll in den Ohren der Männer zu einen Dröhnen an. Die Spannung war deutlich spürbar. Das Unwetter zog immer näher, die Wogen wurden immer höher. Während die Männer immer noch in verzweifelter Hoffnung versuchten in der Ferne Land zu erspähen, zog Nebel auf und behinderte ihre Sicht. Erst langsam und vorsichtig, so schien es, kam er, dann immer schneller und anmaßender. Zuletzt hatte der Nebel sie völlig umzingelt, kaum zwei Meter konnte man weit sehen. Gerade genug um über den Rand des Kahns zu sehen, aber bei weiten nicht ausreichend, um auch nur irgend ein Land, sollte es noch so groß sein, zu entdecken.
Es fing an zu regnen. Die Regentropfen trafen hart die nackte Haut der Männer und deren knappe Bekleidung. Ihre Kleidung zog sich mit Wasser voll, ihre Körper mit Kälte und ihre Seelen mit Hoffnungslosigkeit. Und doch waren sie nicht bereit schon aufzugeben , denn noch hatten sie nicht alles verloren, noch hatten sie ein Boot, noch waren ihre Gefährten am Leben, noch waren sie am Leben. Doch am allerwichtigsten war: Sie mussten zu ihren Familien zurück, denn was würden ihre Frauen ohne sie tun, was ihre Kinder? Die Männer konnten nicht aufgeben, sie durften nicht aufgeben.
Sich in diesen Punkt einig, wurde nun eine Frage aufgeworfen, bei deren Beantwortung sie sich schon weniger einig waren: Wie sollten sie dem Unwetter entkommen?
Der eine sagt, man müsse in die entgegengesetzte Richtung, aus der das Unwetter komme, rudern, um aus eben diesem herauszukommen. Der Andere warf ein, sie müssen in die Richtung rudern, aus der das Unwetter komme, da er sich sicher wäre, sie wären auch von dort gekommen und er wäre jawohl sinnvoller zum Land zu rudern als ins offene Meer, denn dies wäre sicherlich ihr Tod. Der Nächte war der Meinung, dass sie genauso gut dann auch hier bleiben konnten, denn das wäre genauso ihr Tod, wie wenn sie direkt ins Unwetter hinein fuhren oder einfach aufs Meer hinaus. Der Letzte und Jüngste von ihnen schlug vor, sie sollte in eine ganz andere Richtung rudern. Er sei sich sicher, sie würden in der Richtung auf Land stoßen und somit nicht aufs offene Meer hinaus fahren. Außerdem würden sich nicht direkt in den Sturm hinaus fahren, also auch nicht direkt in die Gefahr und in den Tod.
Die Männer stritten darüber, welche Idee nun die Beste war. Sie kamen einfach zu keinen richtigen Ergebnis. Plötzlich erscholl ein tiefes Donnergrollen und schien ihnen verdeutlichen zu wollen, wie wenig Zeit sie in Wirklichkeit noch besaßen.
Die Angst der Männer war nun deutlich in deren Gesichtern zu sehen. Einstimmig beschlossen sie, die Idee ihres Jüngsten wäre die Beste. Kaum war dies beschlossen, als auch schon Kurs in die vorgeschlagene Richtung gehalten wurde.
Das Keuchen der Männer und das Platschen der Ruder wurde einzig von dem Donner über ihnen, dem Rauschen des Windes, dem Schwappen der Wogen und dem Prasseln des Regens begleitet.
Um sie herum wurde es immer dunkler und doch schienen sie kein Stück voran zu kommen. Warum nicht? Fuhren sie vielleicht im Kreis, weil sie unregelmäßig ruderten? Nein, sie führen nicht im Kreis. Was war es dann? Ruderten sie womöglich doch aufs offene Meer hinaus?
Schließlich als diese Gedanken und Fragen zu sehr Besitz von ihnen ergriff stoppten sie.
Ihr Jüngster stand auf und lief an den Rand des Kahns, um vielleicht doch etwas Land zu erspähen, während die drei Übrigen sich zusammen fanden um die Lage zu besprechen.
Kein Minute standen sie so, als eine Woge aus dem Nichts sie traf, drei der Gefährten mit Wasser überschüttete und... Ein Aufschrei und ein Platschen gefolgt von einer kurz anhaltenden Stille, als sie den Jüngsten mit sich riss.
„Marcus", der Ausruf seines Bruders, während er zu der Stelle stürzte, wo der Jüngste eben noch stand, war gefolgt von einer unnatürlichen Stille. Eine Stille, wie sie gar nicht in mitten eines Sturms herrschen dürfte, doch es schien kein Geräusch mehr zu existieren.
Der Mann beobachtete angestrengt die Meeresoberfläche, in der Hoffnung irgendwas zu entdecken. Irgendwas , womit er seinem Bruder helfen konnte. Irgendwas, damit er nicht einfach unnütz herum saß, doch nichts. Die Wellendecke hatte Marcus verschluckt, um ihn nicht mehr frei zu geben.
Schließlich stand einer der Gefährten auf und stellte sich neben Marcus Bruder. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Diese Geste sprach mehr, als alle Worte, die hatten gesagt werde können.
Der Mann drehte sich zu seinen Gefährten um. Sie konnten die stummen Tränen sehen, die sich ihren Weg seine Wangen hinab bahnten. Sie konnte den Schmerz und die Pain in seinen Augen sehen. In diesem Moment bemerkten sie die warmen Tränen auf ihren Wangen, die auch sie vergossen.
Die Gefährten begaben sich zurück zu den Rudern. Sie konnten Marcus nicht mehr helfen, wenn sie nicht auch von den Wogen verschluckt werden wollten. Sie ruderten weiter in die Richtung, welche von ihrem Jüngsten vorgeschlagen worden war.
Das Donnern wurde immer häufiger, das Rauschen der Wogen immer lauter, der Sturm immer heftiger, der Wind immer kräftiger. Er zerrte an ihren Kleidern und Haaren. Die Kälte fraß sich immer tiefer durch ihre Haut bis in die Knochen.
Doch sie hörten es nicht, sie spürten es nicht, denn manchmal so ist der innere Sturm lauter und Besitz ergreifender, als der Sturm um einen herum es jemals könnte.
Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie ruderten, begleitet von dieser unheimlichen Stille und der Kälte, welchen nicht vom Regen und Wind herrührte, sondern von der Leere in ihrem Inneren. Es schien, als wäre die Kerze, die zu Anfang noch in ihrem Geist gebrannt hatte von der Woge gelöscht worden.
Dennoch erblickten sie irgendwann ihr Ziel: Ein Hafen, umgeben von vielen kleinen Fischerhütten. Ihre Heimat, ihr Zuhause und doch... ein kurzes Zögern, dann legten sie die Ruder weg.
Sie alle stellten sich dieselbe Frage: Konnte sie einfach so zurückkehren? Ohne ihren Jüngsten, ohne Marcus? Vielleicht sollten sie ja doch zurück und ihm suchen, zurück in den Sturm? Vielleicht konnten sie ihn ja doch noch finden?
Lange saßen sie so da. Dann hatten sie sich entschieden. Sie mussten es nicht abklären, denn sie wussten die Anderen dachten genauso. Der Erste stand auf und schlug ein Kreuz. Die übrigen Zwei folgten seinem Beispiel, dann griffen die Gefährten nach ihren Rudern.
Ende
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Im offenen Boot (Stephan Crane)
Historia CortaIch sollte in der Schule eine Vortsetzung von dem Anfang einer Kurzgeschichte schrieben und weil ich eine gute Note darauf bekommen habe dachte ich ich veröffentliche es mal. Der Anfang der Geschichte ist also nicht von mir, aber ab dem ersten "...