Winters Glanz

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Eisige Kälte umgibt die verschiedenen Menschen auf dem Weihnachtsmarkt in der fernen Stadt, hinten am Ufer des kalten Flusses. Früher haben sie dort immer gespielt, früher, als es immer noch so warm war und alle Kinder am Strand sich auszogen und sich in den Augen der anderen verloren haben. Und dann sagten alle immer, es sei keine Liebe - doch dabei war es die ehrlichste - die schönste, - die wärmste und die, an die man sich immer erinnern würde.

Die Kälte schleicht durch die kleinen Gassen der hölzernen Hütten, die mit ihren kleinen Heizungen versuchen sie aufzuhalten und die Welt ein wenig wärmer zu machen. Es sind die grimmigen Verkäufer, die den Markt zu erst besuchen werden. Sie kommen, bauen ihre Hütten auf und fragen sich, warum sie nicht schon längst zu Hause wären. Und doch gibt es in jedem diesen kleinen Funken der Hoffnung auf bessere Tage, auf Tage, wo sich ihre Liebe erfüllen wird. Ein Tag, wo sie lächeln werden. Dieser Gedanke macht die mürrischen Verkäufer so herzlich, so menschlich. Manchmal setzen sie dann ein falsches Lächeln auf und man würde denken, sie meinen es ehrlich.

Es ist eine ganz besondere Atmosphäre auf diesem Weihnachtsmarkt, diesseits des kleinen Flusses, der nicht nur durch die Stadt, sondern sich auch durch die Herzen der einzelnen Besucher und Verkäufer schlängelt.

Erste Berührungen erreichen die ausgestellten Exemplare. Herzen aus Lebkuchen, Süßigkeiten werden an die Stelle eines zerbrochenen gesetzt, sie lachen. Dann beißen sie hinein und lächeln, und dann teilen sie diesen Moment, als wäre er ihr erster und letzter, so auf diesem ganz besonderen Weihnachtsmarkt mit den Tannen und dem Kunstschnee, der überall an den Seiten liegt.

Der Boden ist manchmal ganz rutschig, doch keiner fällt hin. Er ist so rutschig, dass alle plötzlich mit Schlittschuhen kommen und der ganze Markt einer großen Eishalle ähnelt. Es ist beinahe eine ganz eigene Welt - voller Herzen aus Lebkuchen, warmen Gedanken und einer Prise an Kälte - einem Laster, dass sie alle verbindet.

Bevor der Markt aber beginnt, da kommt eine kleine Gruppe von lächelnden Menschen, die dann sehen, ob auch jeder seinen eigenen, kleinen Stand eröffnet hat. Sie überprüfen die Ketten des Hauses und die, die die Verkäufer mit sich tragen -, sie interessieren sich für die Geschichten die die Menschen verkaufen, lachen und laufen weiter. Sie sind ganz fürsorglich, behutsam helfen sie einem die Geschichten zu verpacken - sie sollen nicht frieren. Sie nennen sie „Schätze", die kleinen Truhen, die man im Grund eines großen Sees finden wird, wenn man stark genug ist, zu suchen.

Inmitten dieses Gewühls gibt es dann auch noch kandierte Äpfel, die sich so schön auf die Stimmen der Menschen legen. Der Zucker macht sie ganz weich, ganz süß, so lieblich. Es ist Winters Glanz, der nur wenigen Menschen offenbart wird und sich in diesem Moment abspielt. Es ist für jeden ein kleiner Traum, der sich hier abspielt. Die meisten werden es Illusionen, Fantasien oder Wünsche nennen, doch in Wahrheit war es für jeden einzelnen die Vorstellung eines schönen Tages.

Hinten, neben den geflechteten Körben stand zum Beispiel eine Frau im roten Kleid, mitten auf diesem Markt. Sie atmete diese kalte Luft ein, als sei es ihre Droge, ihr Elixier. Sie tanzt ihren ganz eigenen Tanz, streift über ihre Handschuhe mit dem diamantenbesetzten Armband. Ihre hohen Schuhe tanzen über den Platz, als hätte sie gar keine Angst hinzufallen. Manchmal hat man Angst, dass sie sich verliert, doch niemand sagt etwas. Man liebt es hier, wenn man seine Träume ausleben kann. Später wird diese Tänzerin dann ihre Brillen mit den ganz besonderen Gläsern verkaufen.

Aber so sehr man sich auch an ihrem Tanz verliert, sie so viele Geschichten spielt und ihren Traum an einem seidenen Faden hängt, fragt sich keiner, wo sie später mal hingehen wird. Es brauchte erst jemanden, der immer zu spät kam, seine Hütte zu spät öffnete und immer ganz böse angesehen wurde.

Erst dieser betrachtete die Tänzerin, lauschte ihrer Geschichte und fragte sich, ob sie sich irgendwann von ihren Wünschen lösen könnte. 

Der Markt in der Stadt mit dem kleinen Fluss war schon immer etwas besonderes. Etwas besonderes für die Frau mit dem roten Kleid, den mürrischen Verkäufern, den Besuchern und für den, der immer zu spät kam.

Als er sie tanzen sah, versuchte er an den Grund ihrer Gedanken zu kommen. Und als sich ihre Blicke trafen, da war es, als würde er eine ganz neue Welt betreten. Es wäre ein ganz anderer Ort, es wäre eine Wohnung mit Schallplatten von den Rolling Stones, mit Blick auf eine große Straße unweit der City.

Und dann fragte er sich, wo sie ihn hinnahm. Was passierte nachts mit ihr, wenn sie nicht so schön tanzte und ihr eigenes Leben lebte. Was passierte, wenn sich niemand für sie mehr interessierte?

Er sah sich um und erblickte das gestohlene Bild von Klimt, die zerbrochenen Scherben auf den Boden im Badezimmer. Er wandelte durch das Zimmer, mit dem weichen Boden - in welchem die Zehen schon fast versinken. Er sieht die Blumen, die auf dem schwarzen Tisch mit der Glasplatte stehen, rosa Amaryllen zieren eine weiße Vase.

Er läuft ein wenig umher, sieht aus dem Fenster und erblickt die lachenden Kinder, die er sonst nur aus dem Weihnachtsmarkt kannte. Die langen grauen Vorhänge streifen seine blanke Haut, als er sich wieder von der Scheibe wegbewegt und die ordentlich drapierten Früchte in der Etagere sieht.

Im Badezimmer erblickt er noch einmal die liebevoll bestickten Handtücher mit ihrem Namen und ihrer Geschichte. Sie ist nicht für jeden sichtbar, der die Wohnung betritt. Die Geschichte zeigt sich nur denen, die danach suchen und sie finden wollen. Die ihre eigene dafür aufgeben würden die andere nur einmal zu berühren.

Und da steht Claire vor ihm, lächelnd, mit einer Zigarette im Mund. Sie hat sich so wunderschön geschminkt und spricht kaum ein Wort, fasst seine Hand und tritt aus der Wohnung. Sie tritt aus dem Ort der sie so gefesselt hatte. Der Ort, an denen sie sich wohl immer erinnern wird.

Für Claire war die Geschichte ihres Herzens diese Wohnung, in der Rue Saint Michelle. In der Wohnung mit den Amaryllen und dem zerbrochenen Spiegel. Es ist das Zimmer mit dem Kleiderschrank, wo sie sich versteckt hatte, bevor er sie fand. Es ist das Schlafzimmer, wo sie ihren letzten Atemzug tat und immer noch lag. 

Der Junge und die Frau stehen im Türrahmen und der Junge ist sich bewusst, er musste jetzt gehen - zu seiner eigenen Geschichte, zurück in seine Hütte auf dem Weihnachtsmarkt mit den Besuchern, die das alles sehen und wohl nicht begreifen können. Es ist dieser Zauber, der alle miteinander verbindet. Der Zauber, der Fluss, die Stadt mit den zwei Kirchturmspitzen.

Und als er so wieder in seiner kleinen Hütte mit den dürftig angebrachten Papierleinwänden saß, seine kleinen Geschichten für die großen Menschen ordnete. Da tanzte sie wieder für ihn. Und auf einmal war er nicht mehr so traurig als er sie so tanzen sah. Er musste lächeln. So stark, dass das Feuer in den Herzen der Besucher plötzlich - nur für einen Moment wieder zu flackern begann.

Es war ein Zauber, dieser Glanz im Winter. 

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Vielen Dank im Voraus. :-)

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