Die Sonne schien durch die Windschutzscheibe, als ich mit dem Kopf ans Fenster gelehnt aufwachte. Ein Blick nach draußen sagte mir, dass sich meine Fahrt dem Ende zu neigte. Die Häuser wurden immer höher und weniger Grünflächen waren zu sehen. Das war also London. Ich wusste nicht mehr genau, wie lange es schon her war, als ich das letzte Mal zu Besuch bei meiner Tante war, aber es musste schon mehr als 10 Jahre her sein. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass sie in Westminster wohnte. In der direkten Nachbarschaft des Königs. Tante Jane war seit jeher berühmt und teilweise auch berüchtigt. Ihre Partys waren legendär und sie gehörte zur angesehenen Oberschicht. Der Chauffeur teilte mir mit, dass wir soeben die Themse überquerten und in wenigen Minuten unser Ziel erreichen würden. Er hatte recht. Keine fünf Minuten später hielt der Wagen vor dem wunderschönen Altbau in dem Jane wohnte. Die Fassade war in hellen beige Tönen gehalten und die Fenster und die Tür waren aus dunklem Holz. Mein Chauffeur öffnete mir die Tür und half mir aus dem Wagen. Während er mein Gepäck auslud, klopfte ich, mithilfe des Messingtürklopfers, an die Eingangstür. Sofort wurde die Tür aufgerissen und ich wurde in eine schwungvolle Umarmung gezogen: „Alaska, mein Kind! Wie schön, dass du endlich da bist!" Tante Jane hielt mich ein Stück von sich weg und musterte mich genau: „Gut siehst du aus,", sagte, obwohl ich wahrscheinlich aussah, als hätte ich die letzten drei Monate nicht geschlafen: „und groß bist du geworden." Ich lächelte. Meine Tante war fünf Jahr jünger als meine Mutter, und obwohl sie bestimmt schon Anfang vierzig war, sah sie aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entsprungen. Ihre Augen glitzerten genau wie die meiner Mutter und ihr blondes Haar war zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid, das perfekt zu ihren leuchtend roten High-Heels passte. Jane schob mich ins Haus, wies ihren Butler an, mein Gepäck auf mein Zimmer zu bringen und führte mich schließlich in einen Salon. Auf einem Kaffeetisch standen bereits Gebäck und Kaffee bereit und sie schenkte uns auch sogleich zwei Tassen ein. „Setz dich, Alaska. Du bist bestimmt erschöpft von der Fahrt." Ich nickte langsam. Ja, ich war wirklich erschöpft, denn obwohl ich etwas geschlafen hatte, eine lange Autofahrt zehrte doch aus. Jane drückte mir eine Tasse in die Hand und ich nahm einen Schluck. Sofort durchströmte mich dieses wohlige Gefühl, das ich immer hatte, wenn ich Kaffee trank. Ich ließ mich langsam in den Sessel gleiten und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es tat gut. „Nun erzähl mal, was führt dich hierher?", riss mich Tante Jane aus meinen Gedanken. Darüber wollte ich jetzt eigentlich gar nicht sprechen: „Das ist eine etwas längere Geschichte.", antwortete ich ausweichend. Jane lächelte: „Ich habe Zeit." Ich seufzte. Ihre Neugier war zu groß, um sie einfach abzuwiegeln, also begann ich zu erzählen. Ich musste weiter ausholen, denn ich hatte seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen und wusste nicht, wie viel sie über Mutters und Marcus' Tod wusste. „Nach dem meine Mutter und Marcus diesen Autounfall hatten ...", das konnte ja lustig werden. Wenn meine Stimme jetzt schon versagte. Jane lächelte mir aufmunternd zu. „Nach der Beerdigung hatte Vater einen Nervenzusammenbruch." Jane nickte: „Er hat Marian sehr geliebt und Marcus auch." „Ja, Marcus. Und genau da liegt das Problem. Er versteht nicht, dass Marcus tot ist. Jeden Tag sagt er, dass er wieder zurückkommt und seinen Platz einnimmt. Ich bin nur das nervige Anhängsel.", während ich erzählte, wurde Janes Miene immer ernster. Das aufmunternde Lächeln war einem ernsten Blick gewichen. Jane starrte auf ein Foto, das neben dem Kamin an der Wand hing. „Tante Jane?" Sie schüttelte energisch den Kopf und setzt ein Lächeln auf: „Dieses Foto hier, zeigt deinen Vater und deine Mutter auf ihrer Hochzeitsreise.", sie deutete auf das Foto an der Wand, das sie angestarrt hatte. Ich erhob mich, um das Foto genauer zu betrachten. Als ich näher kam erkannte ich meine Mutter und ... nein, das war ganz sicher nicht mein Vater. Es war dasselbe Bild, dass mir gestern Nachmittag in die Hände gefallen war. Meine Mutter und dieser John. „Alaska? Alaska?! Ist alles in Ordnung?", Tante Jane legte mir von hinten eine Hand auf die Schulter: „Sie sehen glücklich aus, nicht wahr?" Ich nickte zögernd. Meine Mutter war glücklich gewesen, mit diesem anderen Mann. „Komm, erzähl mir von deinen Plänen.", sie schob mich sanft zurück zu meinem Sessel und drückte mich vorsichtig hinein. Ich schüttelte die Gedanken ab und erzählte: „Eigentlich wollte ich nur einmal von Zuhause weg, aber anscheinend könnte sich mein Besuch etwas länger hinziehen." Jane fiel mir ins Wort: „Dann muss ich dir unbedingt den King's Palace zeigen. Du wirst begeistert sein, mein Schatz!", rief sie aus. „Mh ... ja. Das könnte gehen.", Jane schien in Gedanken schon zu planen, wie mein Besuch hier ablaufen sollte: „Wenn wir Glück haben, Meine Liebe, können wir sogar einen Ball des Königs besuchen!", ich versuchte wirklich mich von ihrer Begeisterung anstecken zu lassen, aber irgendwie wollte es einfach nicht funktionieren: „Ich glaube es wäre besser, wenn ich mich erst einmal ausruhe, die lange Fahrt war doch sehr anstrengend." „Natürlich, Liebes.", Tante Jane rief nach ihrer Haushälterin, einer rundlichen Dame mittleren Alters, die sich mir als Mrs. Theodor vorstellte, und bat sie, mich in meine Räume zu begleiten. Mrs. Theodor lächelte freundlich und führte mich die mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf. Der Flur, der ebenfalls mit dicken Teppichen ausgelegt war, war von alten Ölgemälden gesäumt, auf denen irgendwelche Männer abgebildet waren, die wahrscheinlich zur Familie meiner Mutter gehört hatten. Mrs. Theodor öffnete eine reichverzierte Tür auf der linken Seite und bat mich einzutreten. Das Zimmer war nicht so groß wie das zuhause, aber allein das riesige Himmelbett, das beinahe das komplette Zimmer ausfüllte, war es wert. Ich gab Mrs. Theodor zu verstehen, dass ich allein sein wollte. Diese nickte und ließ mich allein. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über die Schnitzereien am Fußende des Bettes. Das Blumenmuster fand ich nicht nur auf dem Bett, auch der Kleiderschrank, die Kommode und das kleine Nachtkästchen waren damit verziert. Ich setzte mich an den Schreibtisch, auf dem einige Bögen Briefpapier und Stifte lagen. Vielleicht sollte ich meinem Vater schreiben. Aber was würde es auch bringen? Er hatte seine Meinung gebildet und dagegen war ich machtlos. Ein Klopfen ließ mich aufschauen. „Herein?", ich musterte den älteren Mann mit Schnauzer, der daraufhin ins Zimmer trat. „Miss de Clayce lässt fragen, ob Ihr vielleicht Lust hättet, sie zu begleiten. Ihr könnt Euch natürlich gerne ausruhen und den Tag zu Hause verbringen, Miss." Bevor ich antworten konnte betrat Tante Jane mein Zimmer: „Jetzt reden Sie nicht so lange um den heißen Brei herum, Charles!", scholt sie ihren Butler lachend: „Natürlich begleitet Alaska mich! Nicht wahr, meine Liebe?" Was sollte ich darauf antworten? Also nickte ich Stumm. Jane schob den Butler aus dem Zimmer und öffnete meinen Kleiderschrank. Mit konzentrierten Blick schob sie einige Kleider beiseite, während sie immer wieder: „Zu schlicht." oder „Zu ländlich." murmelte. Mit einem siegessicheren Lächeln zog sie ein Kleid aus dem Schrank, das ich höchstens zu einer Soiree angezogen hätte. „Zieh das an!", befahl sie mir und ich tat wie mir geheißen. Als ich wenige Minuten später vor den Spiegel trat, erschrak ich fast. Jane klatschte vor Freude: „Perfekt!", hauchte sie begeistert. Ich wog unsicher den Kopf hin und her: „Ist das nicht etwas zu gewagt?", fragte ich, während ich an dem silbernen Band zupfte, dass wie ein Gürtel um meine Taille gewunden war. Die Enden des Bandes reichten mir bis zum Knie und flatterten, wenn ein Luftzug hindurch fuhr. Tante Jane lachte: „Nein, mein Schatz, auf gar keinen Fall.", sie strich sich über den ausladenden Rock: „Wir sind hier in London. Das ist hier noch sehr normal." Dass sie recht hatte, erkannte ich, als wir vor die Tür traten. Auf den Straßen flanierten elegant gekleidete Damen, die aussahen, als würden sie einen Ball besuchen und nicht in der Stadt spazieren gehen. Jane zog mich die Straße hinunter, grüßte ständig irgendwelche Damen und sprach ununterbrochen. Die Häuser in dieser Straße unterschieden sich kaum von Jane's. Sie blieb vor einem hochherrschaftlichen Haus mit hellblauen Stuckverzierungen und betätigte den Messingklopfer. Eine Frau mittleren Alters öffnete und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie meine Tante erkannte: „Jane, wie schön Euch zu sehen." Mit einem ebenfalls freundlichen Lächeln begrüßte Jane die Frau: „Die Freude ist ganz meinerseits, Lady Patricia. Darf ich Euch meine Nichte Alaska vorstellen?" Lady Patricia musterte mich eingehend: „Alaska, wie schön. Kommt doch herein.", wir folgten ihr in den Kaminsalon des Herrenhauses und setzten uns in zwei der Ledersessel. „Nun, Alaska, was macht Ihr in London." Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich sie irgendwie abwiegeln konnte, aber als ich ihr in die Augen sah, wurde mir klar, dass das unmöglich sein würde: „Es gab nichts, was mich noch zuhause hielt." „Ihr seid noch nicht verheiratet?", fragte Lady Patricia überrascht. „Nein, meinem Vater wäre es zwar lieber, aber ich ... der Richtige ist mir leider noch nicht begegnet." Lady Patricia nickte wissend: „Wisst Ihr, Lady Alaska, ich arbeite seit vielen Jahren als Hausdame am Königshof, und ich kenne Euer Problem. Es ist das gleiche, dass seine Königliche Hoheit hat. Ihr wärt genau richtig. Hübsch, freundlich und höflich. Die perfekte Königin." Ich fühlte mich wie überrollt. „Entschuldigen Sie, Lady Patricia, aber ich denke nicht, dass Ihr mich gut genug kennt, um sagen zu können, wen ich heiraten sollte. Bitte entschuldigt mich.", ich stand auf und floh aus dem Raum. Diese Frau erlaubte sich ein Urteil über mich, obwohl sie mich kaum kannte. Dass hatte ich an den Menschen zu Hause gehasst, und das hasste ich auch hier.
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The Lady Sunderland oder Alaskas Suche nach dem Leben
De TodoIn mitten von Bällen und Soireen kämpft eine junge Frau für ihr Glück und gegen den Fluch der Geschichte