4. Sherlock

12 1 0
                                    

Die einzigen Worte, die Jaspar und ich in den ersten 15 Minuten, in denen wir auf unsere Getränke warteten, wechselten, waren "schon krass", "sie waren doch noch so jung" und "ich realisier' das gar nicht wirklich". Der Schock saß immer noch tief in uns drin, nicht so, dass ich das Bedürfnis hatte, meinen Frust herauszuheulen. Immerhin waren Chloe und ich nie Freundinnen gewesen. Es war nur so unrealistisch, ich meine am Freitagmorgen waren sie ja noch in der Schule gewesen und am Abend, nach der Party von Amy war es einfach passiert. Tot, einfach so. 

Den einzigen Tod, den ich bisher miterlebt hatte, war der meines Opas als ich 9 Jahre alt war. Meine Eltern redeten mir immer ein, er sei jetzt ein Engel der bei den Sternen in der Nacht leuchtete und über mich wachte. Das hatte sich so sehr in meinen Kopf geprägt, dass ich Abends manchmal im Bett lag, durch das Fenster in der dachschräge über meinem Bett zum Himmel schaute und mit ihm redete. Ich bekam nie eine Antwort, aber ich wusste, dass er da war und mir zuhörte. Waren meine Mitschüler  nun auch Engel bei den Sternen und bekamen den ganzen Trubel um sie hier unten auf der Erde mit?

"Ist dir nichts aufgefallen, am Freitagabend? Du warst doch auch bei Amy", fragte ich nach einer langen Schweigepause, in der wir bereits begonnen hatten unsere heißen Getränke nachdenklich vor uns hin zu schlürfen. "Die beiden sind früher gefahren, als alle anderen. Shawn hat Chloe in seinem neuen Auto mitgenommen. Er hat extra nichts getrunken, weil er ja noch fahren musste. Chloe war ziemlich ruhig an dem Abend. Amys Party war jetzt aber auch nicht unbedingt die spannendste. Ich bin auch nicht mehr lange geblieben. Wie es zu dem Unfall kam, weiß ich aber auch nicht. Vielleicht war es auch ein anderes Auto, was der Auslöser für den Unfall war", erzählte er. Ich wusste nicht wieso, aber ich wollte herausfinden, wie es zu dem Unglück gekommen war. Betrunken am Steuer konnte ich nun ausschließen. Ich kam mir vor, wie ein Detektiv und frage mich gleichzeitig, ob es richtig war, weiter darüber nachzudenken. 

"Vielleicht weiß Koko mehr. War sie auch auf der Party?", fragte ich. "Nein, sie war nicht dabei. Komisch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke... Vielleicht haben sie sich gestritten", rätselte Jaspar nun gemeinsam mit mir. "Sie war total emotionslos vorhin in der Schule, meinst du, ihr ist es egal, dass ihre beste Freundin... gestorben ist?", grübelte ich. "Kohana ist nur offen gegenüber anderen Menschen, wenn Chloe dabei ist. Vielleicht traut sie sich nicht, mit jemandem darüber zu reden, weil da niemand ist, der ihr zur Seite steht." Jaspar nickte mir zustimmend zu und ergänzte: "Vielleicht hat sie aber auch Angst davor, sich mit anderen Leuten zu umgeben, weil sie denkt, dass sie sich wieder zu dem schüchternen Mädchen aus der 3. Klasse zurückentwickelt." "Das kann natürlich auch sein. wir werden es aber nicht herausfinden, wenn wir nicht mit ihr reden." "Sie wird wohl kaum mit uns reden wollen", meinte Jaspar. Da hatte er Recht. Wir mussten uns überlegen, wie wir mit ihr ins Gespräch kamen, ohne dass sie uns abwies...

Wenn Zufall zur Gewohnheit wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt