Der erste Teil der 2. kleinen Kurzgeschichte:-) Lasst mich wissen, was ihr davon haltet:-)
1
„Singst du für mich, Miss Rose?"
Das kleine Mädchen lag blass und verängstigt in ihrem Bett und sah mich hoffnungsvoll an. Ihre Augen strahlten mit einer Inbrunst, um die ich sie beneidete. Wann hatten meine Augen das letzte Mal so gestrahlt, so gefunkelt, so wunderschön ausgesehen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Zu viel Realität hatte sich in meinen Traum vom Glück geschlichen und ihn Millimeter für Millimeter zerfressen. Zu viel Arbeit hatte graue Barrikaden aufgezogen, die ihren hässlichen Schatten in meinen Alltag warfen. Zu viel Gestrüpp versperrte mir die Sicht auf den rubinroten Sonnenuntergang.
Als die erdrückenden Gedanken begannen sich an mir fest zu knabbern, schlug ich ihnen hastig die Tür vor der Nase zu und blickte das Mädchen vor mir an. Ich lächelte, strich der Kleinen die Engelslocken aus dem Gesicht und erhob sanft meine Stimme in einem Lied, das mir meine Mutter schon vorgesungen hatte. Der Text war mir vertraut, mit meinem Herz und meiner Seele eng verschlungen bis jede Faser meines Körpers mit der Melodie selbst vibrierte. Erinnerungen an dunkle Nächte mit Eisblumen an meinem Zimmerfenster, an das schummrige Licht meiner Nachttischlampe, an die warme weiche Bettdecke um meinen kindlichen Körper, an die zarte Stimme meiner Mutter, die mich liebevoll in meinen Schlaf wiegte, tanzten vor meinen Augen. Ich hieß sie willkommen, ließ sie mich umschmeicheln und durchdringen bis ich den Stress des viel zu langen Tages vollkommen vergessen hatte.
„Mein liebes Kind, kennst du das Märchen vom Kronprinzen Therebinthias? Kennst du die Sagen, die sich um das Königreich in den Wolken ranken? Kennst du die Liebesgeschichte, die vor unendlichen Jahrzehnten unsere kleine Welt rettete? Hast du je die Vögel über den Skandal singen hören? Hast du je mit eigenen Augen gesehen, was so viele andere sahen, dort oben auf dem Schicksalsberg, als er starb, der Kronprinz, als ihm sein Atem entglitt und die Welt in Tränen und Dunkelheit versank? Mein Kind, ist die Wahrheit dir im Herzen verschlossen? Hast du jetzt schon verlernt, was Liebe heißt, radikale, bedingungslose Liebe? Hast du die grauen Felsen dich einsperren lassen? Hast du die Farbe des Himmels vergessen? Mein Kind, hast du verbannt das Geheimnis, das deine Augen einst funkeln ließ? Bist du nicht müde in die falsche Richtung zu stolpern? Willst du nicht fliegen lernen, dort, in den unendlichen Lüften des Himmels? Willst du nicht verstehen, die ganze Wahrheit, die Therebinthia wieder strahlen ließ? Bist du nicht neugierig zu erfahren, welch Glück der Kronprinz schenkte, welch Liebe dort in seinen Augen glitzerte, damals wie heute. Kannst du nicht glauben, dass keine Mauern mehr Trennung vorschreiben, dass die Angst nicht das letzte Wort behält, dass kein Feind mehr sein Schwert gegen dich erheben darf. Mein Kind, habe Mut und vertraue auf die Wahrheit, die dein Herz kennt."
Meine Stimme ebbte sanft in eine Stille ab, die sich noch an die Melodie meines Lieds erinnerte. Blinzelnd öffnete ich meine Augen, kehrte träge wieder zurück in die Realität, die so lieblich leicht meinen Erinnerungen gewichen war. In den Augen des Mädchens leuchtete reine Neugier, ein Beweis dafür, dass sie den Worten der Strophen aufmerksam gelauscht hatte. Ich kannte diese Neugier. Sie war mir vertraut, hatte mich als Kind ähnlich rastlos und sehnsüchtig gemacht. Und doch hatte ich aus Gewohnheit diese drängende Unruhe von mir abgeschüttelt, in den hintersten Tresor weggesperrt.
„Ich habe Angst, Miss Rose." Wisperte die Kleine und griff mit zittrigen Fingern nach mir.
„Shh." Beruhigte ich sie und strich ihr über die Wange. „Ich habe dir doch erklärt, was meine Freunde und ich tun werden. Du wirst tief und fest schlafen, während wir das böse Monster aus deinem Bauch holen, damit es dir keine Schmerzen mehr macht. Erinnerst du dich?"
DU LIEST GERADE
Katie's Song
Teen FictionEine Geschichte über die Schattenseite des Lebens. Katie hat vergessen, was es heißt, glücklich zu sein. Verrückt spielende Dopamin-Moleküle, frei gelassene Schmetterlinge, explodierendes Konfetti - das alles hat schon lange keine Hauptrolle meh...