02. November
Heute haben sie Fabrice gefunden. Er war im Wald, bei der grossen Lichtung, ganz nass und schmutzig. Ich habe gesehen wie Herr Korner, unser Nachbar, ihn am Handgelenk halten musste, weil er wegrennen wollte und schrie. «Das ist bloss der Schock.» hat meine Mutter gesagt. «Wer weiss was der arme Junge alles durchgemacht hat. Das wird schon wieder.» Ich weiss nicht, was sie denkt. Wahrscheinlich denkt sie, er sei entführt worden. Schliesslich hat er liebevolle Eltern, eine kleine Schwester, welche ihn vergöttert. Und mich, Wolke, seine Freundin. Die weiss übrigens gerade überhaupt nicht, was sie machen soll.
Ich setzte mich in meinem Bett auf. Es war noch tief in der Nacht, vermutlich war ich vom Regen geweckt worden. Müde war ich nicht wirklich, darum stand ich auf und ging in die Küche hinunter.
Im Glas des Backofens konnte ich meine strubbeligen Haare sehen, kinnlang, dunkelbraun und gerade. Ich hätte sie nie so kurz geschnitten wenn Fabrice mir nich gesagt hätte, es sähe bestimmt toll aus. Die Friseurin, bei der ich war, hatte sie viel zu kurz geschnitten, ich sah aus wie ein Junge danach. Fabrice hatte gelacht, und mich dann für zwei Monate lang Werner genannt, aber peinlich war es ihm nicht.
Überhaupt hatte er immer hinter mir gestanden, wir haben ziemlich viel Zeit miteinander verbracht. Wenn auch nie zu Hause, meine Eltern sind in dieser Hinsicht ziemlich streng, und ich glaube, Fabrice ist nicht besonders gerne zu Hause, wieso auch immer. Darum haben wir uns immer im Park getroffen oder im Wald, haben uns einfach ins Gras gelegt und er hat mir Witze erzählt, welche ich nicht verstanden hatte.
Fabrice war eineinhalb Jahre älter als ich, da seine Mutter meine Kindergärtnerin war, sahen wir uns seit ich fünf war fast jeden Tag. Fabrice hatte mich aufgeklärt, mir gelernt wie man Fahrrad fährt und mich getröstet, wenn ich Streit mit meiner Schwester hatte. Ich glaube, ich hatte mich schon in ihn verliebt als ich vierzehn war, aber zusammen sind wir erst seit meinem sechzehnten Geburtstag, also seit einem halben Jahr, wenn man die Monate dazuzählt, die er verschwunden war. Sollte man nicht, denke ich. Ich hatte in diesen drei Monaten auch meinen besten Kumpel verloren, nicht nur meinen Freund.
Eines Tages war er einfach weg. Ich wollte ihn nach der Schule abholen und seine Mutter hatte mir gesagt, er sei nicht da. Nach zwei Tagen wurde die Polizei informiert, sie fanden ihn nicht. Ich habe die ganzen drei Monate nie geweint, ich war wie gelähmt. Jeden Tag habe ich gehofft, er würde wiederkommen, zu mir. Ist er aber nicht. Und deshalb möchte ich auch lieber glauben, dass er entführt wurde und nicht einfach nur abgehauen ist. Denn ich könnte es nicht ertragen, dass er von mir weggegangen ist.
Morgen würde ich ihn zum ersten Mal wiedersehen, einen halben Monat musste er in einer psychischen Anstalt verbringen, zur Beobachtung. Wie lang mochte sein Haar jetzt sein? Er hatte immer eher längere Haare gehabt, aber nie länger als bis zu den Ohren. Himmel war ich nervös. «Schlafen, Wolke, Schlafen. Das brauchst du.» Ich nahm mir aus dem Küchenschrank Baldriantropfen und ging dann wieder in mein Zimmer. Innerhalb von Sekunden war ich eingeschlafen.
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Vergiss mich
Romance«Ich liebe dich. Habe ich schon immer. Und ich gebe nicht auf. Ich kann nicht.» Seine Schritte knirschten im Schnee, als er sich langsam umdrehte. Sein Augen waren voller Spott. «Deshalb,» er zog verächtlich die Mundwinkel nach unten «deshalb hast d...