1 - Der Anfang vom Ende

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» Als kleines Mädchen hatte ich mir oft vorgestellt, wie es wäre, ein normales Leben zu haben. Wie es wäre nicht immer alles hinter mir zu lassen und von neu anzufangen. Wie es wäre normale Eltern zu haben, die sich nicht immer wieder aufs Neue streiten würden. Wie es wäre, einen Vater zu haben der im Büro arbeiten würde, anstatt im Gefängnis seine Strafe ab zu sitzen. Ich hatte mir gewünscht normal zu sein, bis mir eines Tages auffiel, dass es immer schlimmer kommen konnte. Und zwar indem ich am falschen Ort, zur falschen Zeit und durch einen kleinen Fehler alles verlor, was ich hatte und ich abgesehen von meiner Einsamkeit und dem Schmerz, den ich jederzeit verspürte, noch tiefer in das dunkle Loch hineingezogen wurde, aus welchem ich verzweifelt versucht hatte heraus zu kommen. Ich hatte meine Heimat und mein Leben verloren. Doch eines blieb mir. Der Schmerz. Und aus dem Schmerz wurde mit der Zeit Hass. Abgesehen von meiner Mutter war niemand mehr da, der mich wirklich liebte. Und somit fing ich an, alles und jeden zu hassen. Das Loch in meiner Brust schien jeden Tag größer zu werden und drohte, mich innerlich zu zerfressen. Doch plötzlich kam alles anders, als ich erwartet hatte. «

Die letzten Tage der Sommerferien sind für mich meistens dazu da, meine Sachen aus den Kisten aus zu packen und in meine neu aufgebauten Schränke zu räumen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich es bis jetzt schon getan habe, aber dieses ständige Umziehen geht mir einfach auf die Nerven. Jedoch nicht wegen der Freunde, die ich damit zurücklasse, sondern eher wegen des Einpackens und das anschließende Auspacken meines Hab und Guts. Ich hasse Menschenmengen und habe noch nie wirklich viele Freunde gehabt. Doch mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass man ohne sie besser dran ist. Ich habe keine Angst morgen in die neue Schule zu spazieren und fremden Menschen zu begegnen. Es ist immer wieder das Gleiche. Sie sind mir egal und ich bin es ihnen. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass hier Endstation ist, werde ich mich keinesfalls darum bemühen hier Freunde zu finden. Nein, ich bin kein sentimentaler, depressiver Teenager in einer rebellischen Phase. Ich habe in der Tat kein Interesse hier neue Kontakte zu knüpfen. Es war für mich schon schwer genug, in einem Raum voller Menschen zu sitzen, der für mich nichts anderes bedeutete als ein Tag voller Selbstbeherrschung. Überall warme, mit Blut gefüllte Körper und das Gefühl, von innen zu verbrennen und auszutrocknen. Es sind immer die gleichen Schmerzen. Unerträglich, aber unumgänglich.

Ich bin neunzehn Jahre alt. Um genau zu sein, bin ich das schon eine ganze Weile. Ich werde nicht älter. Ich bin neunzehn Jahre alt, und werde es physisch auch immer bleiben. Das mag der Traum einer jeden Frau sein. Doch das war es nicht. Meine Mutter wusste es. Es mag komisch klingen, doch ich hatte eine unbeschreibliche Bindung zu ihr die man nicht in Worte fassen konnte. Ich hatte ihr damals die ganze Geschichte erzählt. Bis ins letzte Detail. Doch bis das ein Mensch erst richtig verstand und auch akzeptierte, musste einige Zeit vergehen. Um genau zu sein, waren es bei meiner Mutter fast sieben Jahre. Sieben Jahre um zu begreifen, dass ihre eigene Tochter nicht mehr das Leben haben konnte, wie sie es sich gewünscht hatte. Um zu akzeptieren, dass ihre eigene Tochter irgendwann alleine war. Verlassen von allen Menschen, die sie je geliebt hatte. Verlassen durch den Tod. Tod, der für sie damals als so unumgänglich erschien, und genau diese Ansicht es noch schwieriger machte, diese völlig neue Situation zu glauben, zu verstehen und schließlich zu akzeptieren. Da meine Mutter vor ein paar Jahren neu geheiratet hat, und mein Vater wegen eines Bankraubs noch immer im Gefängnis sitzt, sind wir nun auf Wunsch meiner Mutter von Glendale nach Evergreen gezogen. Jetzt stehe ich hier in einem leeren, weißen Zimmer und räume meine ganzen Bücher aus, weiß nicht mal wo hin damit und frage mich, was für einen Sinn denn alles eigentlich noch hat. Wenn mir das damals nicht passiert wäre, glaube ich nicht, dass ich hier so stehen würde. Vielleicht wäre ich jetzt verheiratet, hätte einen liebevollen Mann und ein oder zwei Kinder. Aber vielleicht wäre ich jetzt auch tot. Bei dem Gedanken daran läuft es mir eiskalt den Rücken runter. Allein der Gedanke daran, meine Mutter stände jetzt ohne ihre Tochter hier, wird mir schlecht. Ich weiß es noch ganz genau, es war der 20. Mai. 1989, ein Tag vor meinem Geburtstag und ich war auf einem unserer jährlichen Dorf-feste. Es war mitten in der Nacht und ich war mit meinen Freunden unterwegs. Die Straßen waren voll. Überall hörte man laute Musik, Gelächter und Geschrei. Lichterketten zierten unzählige Baumkronen. Es war an sich ein wunderschöner Anblick. Das Einzige was mir nicht gefiel, war, dass viel zu viel Alkohol getrunken wurde. Jedenfalls zogen wir mit unserer Gruppe durch die Straßen und suchten uns einen geeigneten Platz um eine kleine Pause zu machen und den Abend zu genießen. Die meisten von ihnen waren betrunken und ich saß auf einer Bank, sah dabei zu, wie sie sich die Köpfe mit Drogen und Alkohol weg schossen und nach ein paar Stunden nicht mehr wussten was sie taten. Es gab zu dem Zeitpunkt nur Wenige, mit denen ich mich noch vernünftig unterhalten konnte, ohne, dass ich mich über ihr Lallen aufregen musste. Als ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut hatte war es fast vier Uhr am Morgen und ich wartete immer noch auf Louis, mit dem ich damals zusammen war. Er war mein erster Freund. Und er war zu meinem Glück auch noch ein riesiges Arschloch. Ich hatte damals noch gedacht, er würde sich ändern. Doch ich war zu naiv und zu verliebt, um seinen wahren Charakter wirklich zu durchschauen. Die Stunden vergingen, und mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit, bis er schließlich auch noch auftauchte. Ich weiß es noch ganz genau. Damals war ich ein anderer Mensch. Viel sensibler und netter. Ich weiß noch wie mein Herz schneller Schlug als ich ihn an diesem Abend sah. Seine dunkelbraunen Augen sahen im dunklen Licht fast schwarz aus und seine blonden Haare waren wie immer leicht nach hinten gegelt. Erst beachtete er mich nicht, doch nach ein paar Minuten kam er zu mir und sagte er müsse mit mir reden. Sein angespannter Kiefer signalisierte mir, was kommen würde. Er würde wieder über uns sprechen und darüber nachdenken wollen wie es mit uns weitergehen sollte. Er hatte immer wieder Phasen, in denen er mir ein schlechtes Gewissen einreden wollte, ohne das ich je etwas falsch gemacht hatte. Doch durch diesen psychischen Wahnsinn fing ich langsam an, zu glauben was er sagte. Um sicher zu gehen, dass ich ihn nicht verlasse, sagte er mir hin und wieder, dass er mich wirklich liebt. Natürlich hat er das alles nie ernst gemeint, doch damals war ich viel zu naiv um die Wahrheit zu erkennen. Ich hatte ihn geliebt. Mehr als alles andere und doch hatte er mich nur benutzt. Als ich in diesem Moment beschlossen hatte ihn zu ignorieren um der ganzen Scheiße aus dem Weg zu gehen, war das mein erster Fehler. Ich wollte sein Spiel langsam einfach nicht mehr mitspielen. Zu oft hatte ich das gedacht, doch es war oft schwer, mich wirklich davon zu überzeugen. Ich hing zu sehr an ihm. Ich hatte mich schließlich zu meinem Freund Diego gesetzt, der mir schon immer etwas seltsam vorkam, mit seinem makellos schönen Gesicht, seiner blassen Haut und diesen fast schwarzen Augen. Er war sehr groß. Wahrscheinlich so um die 1,90 cm. Er war nicht sehr muskulös, aber dennoch nicht wirklich schmächtig. Es war ein perfektes Gleichgewicht. Wenn er lächelte, kam auf der rechten Seite ein Grübchen zum Vorschein. Das fand ich immer ziemlich außergewöhnlich. Er hatte sich immer im Hintergrund gehalten, wusste aber trotzdem stets über alles Bescheid. Wir saßen auf einer Steintreppe, umgeben von leeren Bierflaschen und unterhielten uns. Ich erzählte meist nur ihm wie ich mich fühlte und was wirklich in mir vorging. Er hatte mich immer verstanden. Seit unserer ersten Begegnung war zwischen uns eine Verbindung wie es bei Geschwistern der Fall war. Er versuchte mir Mut zu machen, und mich auf der anderen Seite zu trösten, weil er ganz genau wusste, wie Louis drauf war. Es hatte ihm nie wirklich gepasst, dass ich mit Louis zusammen war. Er hatte immer versucht, mich von ihm fern zu halten. Doch natürlich war ich zu stur. Diego wollte immer nur mein Bestes. Und fing an, mir gut zuzureden, wenn es mir schlecht ging.

My name is CarolineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt