2 - Vertraute Augen

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Meine messerscharfen Zähne treffen auf seine verschwitzte Haut.
Das warme Blut läuft geradewegs in meinen Mund und fließt meine trockene Kehle hinab. Er schreit vor Schmerzen und versucht sich loszureißen. Doch wenige Sekunden später verliert er sein Bewusstsein. Als sich mein Magen mit der roten Körperflüssigkeit füllt, merke ich deutlich, wie jede einzelne Zelle meines Körpers alles aufsaugt und sich daran stärkt. Mit sofortiger Wirkung fühle ich mich endlich wieder ausgesprochen Gut. Hitze durchströmt meinen kalten Körper und lässt mich wieder lebendiger fühlen. Als das Monster in mir endlich gestärkt ist, löse ich meinen Griff von ihm und lasse den bewusstlosen Mann auf den Boden sinken. Sein Herz schlägt noch immer, wenn auch nur noch kaum hörbar. Er hatte es verdient. Rede ich mir ein und mache kehrt. Irgendjemand würde ihn finden. Seine Verletzung am Hals würde nicht auf einen Biss hinweisen. Eher wie ein Messerstich. Und falls er es überleben würde, würde ihm niemand diese Geschichte glauben. Also schaue ich mich noch einmal um bevor ich mit einem Satz auf ein nahe gelegenes Dach springe. Niemand ist draußen unterwegs. Die kalte Nachtluft streichelt mein Gesicht und ich schließe die Augen. Es war ein wunderschönes Gefühl, wieder bei Kräften zu sein. All meine Sinne sind nun langsam wieder empfindlicher und ich höre in die Stille hinein, die mich umgibt. Ich treffe neben schlagenden Herzen auf leise Gespräche in verschiedenen Häusern. Ich nehme nun viel mehr war, als es noch vor ein paar Wochen der Fall war. Als ich mich so umschaue, bemerke ich leise Schritte ein paar Hundert Meter hinter mir. Ich drehe mich um und versuche, sie in der Dunkelheit genauer ausfindig zu machen. Doch es ist unklar aus welcher Richtung sie kommen und sie sind so leise, dass ein Mensch sie hätte niemals hören können. Ein Blick auf die Kirchenuhr, ein paar Kilometer westlich, verrät mir, dass es inzwischen halb drei ist. Langsam lasse ich mich vom Dach des Hauses herunterfallen und lande leise auf dem Boden. Immer noch fixiert auf die leisen Schritte. Sie werden nun immer schneller und kommen geradewegs auf mich zu. Hatte mich doch jemand gesehen? Nein, das konnte nicht sein. Meine Gedanken werden für ein paar Sekunden etwas panisch. Da meine Neugier größer ist als meine Angst, bleibe ich stehen, um zu sehen wer dort auf mich zukommt. Plötzlich werden die Schritte noch leiser, für mich kaum hörbar, und rasend schnell. Mit einem Mal habe ich das Geräusch in der nächtlichen Stille verloren. Ich blicke in die Dunkelheit und versuche sie wiederzufinden. Doch ich höre rein gar nichts mehr. Die Situation kommt mir etwas komisch vor also drehe ich mich auf der Stelle um und renne los. Ein so wunderschönes Gefühl hatte ich lange nicht mehr wahrgenommen. Die eisige Kälte des Windes durchfährt meinen Körper als ich geradewegs in Richtung Acker laufe. Ich bin so schnell, dass alles neben mir verschwimmt. Doch meine Sinne noch immer in der Lage, sich auf das zu konzentrieren, was für mich wichtig ist. Ich fühle mich frei und unantastbar. Ich renne immer schneller und schneller, vergesse ganz, weshalb ich eigentlich losgerannt war und verfehle plötzlich mein Ziel. Ich war weiter gelaufen, als ich es vorgehabt hatte. Also komme ich ruckartig zum Stehen und drehe mich um, um vielleicht von hier Jemanden erkennen zu können. Ich schließe meine Augen für einen kurzen Moment und konzentriere mich auf das winzigste Geräusch. Unter all dem leisen Vogelgezwitscher und rascheln im Gebüsch, gibt es etwas, was ich nicht richtig zuordnen kann. Ich bin weit entfernt von all den Häusern und umgeben von purer Natur. Doch links von mir höre ich plötzlich ein lautes Klicken. Völlig verwirrt schnellt mein Blick in Richtung des Geräuschs. Doch ich erkenne nichts. Ich sehe so scharf wie lange nicht und meine Muskeln sind angespannt. Ich fühle mich eigenartigerweise beobachtet. Der Mann, den ich vorhin angegriffen hatte, konnte es nicht sein, da ich ihn nicht blutleer getrunken hatte. Denn um den Virus weiter geben zu können, musste man einen Menschen erst völlig seines Blutes entledigen. Doch das hatte ich nicht getan. Als ich in Gedanken versinke, höre ich die Schritte wieder. Nun rasen sie auf mich zu und meine angespannten Muskeln bewegen meinen Körper reflexartig nach vorn. Ich laufe blitzschnell wieder auf die Häuser zu, doch die Schritte halten mühelos mit meiner Geschwindigkeit mit. Was zum Teufel ist das? Binnen weniger Sekunden habe ich die ersten Häuser erreicht, bleibe stehen und drehe mich um. Nichts. Misstrauisch wandert mein Blick durch die dunkle Nacht. Ich beschließe nach Hause zu gehen und nicht weiter darüber nachzudenken. Mit menschlicher Geschwindigkeit jogge ich durch ein paar versteckte Gassen, bis ich die Ecke vor unserem neuen Haus erreiche. Ich spüre noch immer einen Blick auf mir, doch schenke meinem komischen Gefühl keine weitere Beachtung. Als ich die Einfahrt erreiche ist mein Fenster noch immer geöffnet und ich setze zum Sprung an. Mit einem Satz erreiche ich das drei Meter hohe Fenster und halte mich an der Fensterbank fest. Da das Haus sehr alt ist, und meine wiedererlangte Kraft für mich noch etwas ungewohnt ist, gibt es ein wenig nach und im selben Moment halte ich ein paar Holzsplitter in der rechten Hand. Mit größter Vorsichtig umklammere ich den Rahmen mit meinen dünnen Fingern und schwinge mich hindurch. Mit leisen Schritten durchquere ich mein noch nacktes Zimmer um mir eine Zigarette aus der fast leeren Schachtel zu nehmen. Als ich das Feuerzeug, welches auf der Fensterbank liegt, nehme um sie mir anzuzünden, betrachte ich meine verwundete Hand. Sie ist noch immer Blutverschmiert. Also lege ich beides wieder hin um mich auf den Weg in das Badezimmer zu machen. Im Haus ist es dunkel und aus dem Schlafzimmer dröhnt ein lautes Schnarchen meines Stiefvaters. Im Bad angekommen drehe ich den Wasserhahn auf und wasche mir das Blut von der Hand. Der Schmerz ist nun völlig verschwunden. Es würde eine Zeit dauern, bis die Wunde vollständig verheilt war, doch das war nicht weiter schlimm. Als das warme Wasser über meine Hand fließt, betrachte ich mich im Spiegel. Meine Iris ist nun etwas rötlicher, doch es dauert nicht lange, da würde sie wieder grün-braun sein. In höchstens ein paar Stunden wäre das Blut vollständig aus meinen Augen verschwunden. Und ich hatte noch ungefähr fünf Stunden vor mir, bis ich mich für die Schule fertig machen würde. Meine Zähne sind nun nicht mehr so scharf und sehen schon fast wieder normal aus, als ich mein Spiegelbild angrinse. Bevor ich das Badezimmer verlasse, spritze ich mir noch etwas Wasser ins Gesicht. Wieder in meinem Zimmer angekommen, nehme ich mir erneut Zigarette und Feuerzeug, lehne mich aus dem Fenster und atme den Rauch ein. Mein Blick ist auf den Boden gerichtet. Im selben Moment höre ich ein leichtes stöhnen und ein lautes Klick. Blitzschnell drehe ich meinen Kopf in Richtung des Geräusches, welches ich doch vorhin auf dem Acker gehört hatte und sehe nun in warme, dunkelgrüne Augen.

My name is CarolineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt